Drama | Frankreich/Georgien 2020 | 130 Minuten

Regie: Dea Kulumbegashvili

In einem georgischen Bergdorf begegnet die christlich-orthodoxe Mehrheit einer Gemeinde der Zeugen Jehovas zunehmend feindlicher, was in einem Brandanschlag auf deren Gemeindehaus kulminiert. Bei der Frau des Vorstehers führt das zu einer existenziellen Verunsicherung, die allmählich alle Lebensbereiche und auch ihren Glauben erfasst. Eine weitere Gewalterfahrung spitzt die Ereignisse zur Tragödie von antiker Wucht zu. Ein fulminantes Filmdebüt mit spiritueller Grundierung, das die Machtverhältnisse innerhalb des Dorfes präzise ausleuchtet und deren Wirkung auf die Figuren mit einer artifiziell überhöhten, ungemein suggestiven Bild- und Tonsprache transparent macht. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BEGINNING
Produktionsland
Frankreich/Georgien
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
First Pictures/OFA
Regie
Dea Kulumbegashvili
Buch
Dea Kulumbegashvili · Rati Oneli
Kamera
Arseni Khachaturan
Musik
Nicolas Jaar
Schnitt
Matthieu Taponier
Darsteller
Ia Sukhitashvili (Yana) · Rati Oneli (David) · Kakha Kintsurashvili (Alex) · Saba Gogichaishvili (Giorgi)
Länge
130 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Ein meisterliches Filmdebüt über ein Bergdorf, in dem eine Gemeinde der Zeugen Jehovas durch die Feindlichkeit der christlich-orthodoxen Mehrheit erschüttert wird.

Diskussion

Die erste, lange Einstellung: ein karg eingerichteter Gemeinderaum der Zeugen Jehovas in einem georgischen Bergdorf, aufgenommen in einer Totale von der Rückwand des Zimmers. Nach und nach betreten die Gemeindemitglieder den Saal. Männer, Frauen und Kinder, begrüßt von David, dem Vorsteher (Rati Oneli), und seiner Frau Yana (Ia Sukhitashvili). Als der Gottesdienst beginnt, fliegen plötzlich Brandsätze durch Tür und Fenster. Das Haus geht in Flammen auf, niemand wird ernsthaft verletzt, aber der feige Anschlag reißt tiefe Wunden in den Seelen. Während der Predigt hat David auf die biblische Legende von Abraham und seinem Sohn Isaak verwiesen: Abraham, den Gott auf eine harte Probe stellt, indem er ihm befiehlt, das Kind zu opfern. Im Finale des Films schließt sich dann der Kreis, vollendet sich eine Tragödie von antiker Wucht.

Glasklar, schnörkellos, mit spiritueller Grundierung

„Beginning“ ist der erste lange Spielfilm der georgischen Regisseurin Dea Kulumbegashvili. Er wurde nach Cannes eingeladen und erhielt auf den Festivals von San Sebastián und Toronto Preise. „Beginning“ ist ein fulminantes Debüt, glasklar, schnörkellos, mit spiritueller Grundierung. Die Geschichte einer existentiellen Verunsicherung, die alle Lebensbereiche umfasst: Beruf, Familie, Glauben. Gedreht in ausführlichen, oft totalen oder halbtotalen Einstellungen, fast ohne Fahrten und Schwenks (Kamera: Arseni Khachaturan) und so intensiv gespielt, dass die Krise des Paares und vor allem der Frau für die Zuschauer geradezu physisch erfahrbar wird. Der Vorgang bekommt eine mythische Dimension; es geht um Unterdrückung und Aufbegehren, Liebe und Verrat, Scham, Misstrauen und Rache, und das ohne jeden Anflug von Naturalismus.

Zur Schlüsselszene des Films wird eine Vergewaltigung, die in Realzeit, aber mit erheblicher Entfernung der Kamera, im Dunkel an einem nächtlichen Flusslauf inszeniert ist. Während David in der weit entfernten Stadt nach Sponsoren für den Wiederaufbau seines Gemeindehauses sucht, wird Yana, vermutlich durch einen der Männer, die die Brandsätze geworfen haben, bedrängt und schließlich vergewaltigt. Für die Frau, die sich ihrer Lage an der Seite eines eher selbstbezogenen Ehemannes zunehmend bewusst wird, ist das eine Katastrophe. Schon zuvor skizziert der Film auch das Verhältnis zu ihrer Mutter, eine kalte Beziehung, obwohl sich Yana doch so sehr nach Liebe sehnt.

Zum stärksten – und vielleicht wichtigsten – Moment wird ihr gemeinsamer Spaziergang mit ihrem Sohn Giorgi. Wenn sich Yana auf den weichen Waldboden legt und die Augen schließt, verstummen selbst der Gesang der Vögel, das Zirpen der Grillen und das Plätschern des nahegelegenen Bergbachs. Die Kamera ist auf Yanas Gesicht gerichtet, minutenlang und ohne Schnitt. Eine Todessehnsucht, Gegenwehr gegen jenes Leben, dessen Sinn sie immer weniger erkennt. Nicht nur in dieser Szene wird deutlich, dass „Beginning“ auch über ein ausgefeiltes Tonkonzept verfügt: Wenn die Innenwelt der Figur das verlangt, verfällt das Universum in bedrückende Stille.

Auf den Spuren von Reygadas und Bresson

Dass der mexikanische Regisseur Carlos Reygadas als ausführender Produzent am Film beteiligt ist, kommt nicht von ungefähr. Stilistisch nährt sich „Beginning“ von seinem Werk ebenso wie von Arbeiten eines Ingmar Bergman, Akira Kurosawa und Robert Bresson. Dabei schließt Kulumbegashvilis artifizielle Stringenz keineswegs die profane Realität aus, in der sich die Figuren bewegen. Die Machtverhältnisse innerhalb des Dorfes – und innerhalb der Familie – werden präzise erfasst. Das Dorf, dessen christlich-orthodoxe Mehrheit die kleine Gemeinde der Zeugen Jehovas zu Außenseitern abstempelt; die Polizei, die kein Interesse daran hat, die Tat wirklich aufzuklären, sondern zur Verunsicherung der Bedrohten beiträgt. Ob der Vergewaltiger tatsächlich ein Polizist ist oder das nur vorgibt, wird nicht unbedingt deutlich, spielt aber keine Rolle. Ob so oder so, stets geht es um Macht, um Zwang, um Herrschaft.

Auch David, Yanas Ehemann, gibt in diesem Gefüge keine wirklich gute Figur ab. Dass Yana schließlich ihren Sohn zu opfern bereit ist und der Täter einer Strafe nicht entgeht, ist dann ganz in den Bereich einer übersinnlichen Legende entrückt. Die Schlussszene bedient den Mythos und gerät zum unvergesslichen Menetekel.

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