Aalto - Architektur der Emotionen

Dokumentarfilm | Finnland/Frankreich 2020 | 103 (TV auch: 52) Minuten

Regie: Virpi Suutari

Dokumentarfilm über das finnische Architekten-Ehepaar Alvar und Aino Aalto, die mit ihren Bauten und Design-Entwürfen das 20. Jahrhundert prägten. Mit einer großen Fülle an Fotografien und privaten Filmaufnahmen des Paares zeichnet der Film das intensive Familien- und Arbeitsleben des Paares nach und würdigt den oft übersehenen Anteil Aino Aaltos an der Arbeit ihres Mannes. Eine Rolle spielt auch die Zeit nach ihrem Tod 1949, als Alvar erneut eine Designerin heiratete und mit ihr ein zweites Mal durchstartete, wobei er auch in Deutschland wichtige Gebäude errichtete. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
AALTO
Produktionsland
Finnland/Frankreich
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Euphoria Film/Yleisradio (YLE)/AVROTROS/ARTE France
Regie
Virpi Suutari
Buch
Jussi Rautaniemi · Virpi Suutari
Kamera
Heikki Färm · Jani Kumpulainen
Musik
Sanna Salmenkallio
Schnitt
Jussi Rautaniemi
Länge
103 (TV auch: 52) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber (16:9, 1.78:1, frz.)
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Dokumentarfilm über das finnische Architekten-Ehepaar Alvar und Aino Aalto, die mit ihren Bauten und Design-Entwürfen das 20. Jahrhundert prägten.

Diskussion

„Strahlungsintensiv“, nennt ihn der Schweizer Architekt Karl Fleig. Er habe beim Arbeiten „unanständige Lieder“ gesungen und seine Kollegen lässig im Bademantel empfangen. Ein intellektueller Architekt wäre Alvar Aalto nie gewesen. Etwa, weil sich der Finne von dem Naturschönen inspirieren ließ, von Blättern und Blüten? Weil er versuchte, mit „intuitiver Sensibilität“ die Beziehung von Mensch und Raum zu humanisieren und sich damit in der eher Frauen zugeschriebenen Sphäre bewegte? Aalto selbst erklärte 1938 in einem Vortrag, sein Anliegen sei es, zu gewährleisten, dass die „innere Natur der Architektur ein Fluktuieren sei, eine Entwicklung, die natürliches, organisches Leben andeutet“.

Oder weil Aalto seine Frau Aino an seinen Entwürfen und Aufträgen nicht nur beteiligte, sondern mit der vier Jahre älteren Designerin, die mit der Formung von Holz experimentierte, gemeinsam als Team auftrat? In den meisten Lexika fristet Aino bis heute ein Schattendasein am Rande ihres Gatten, einem der wichtigsten Protagonisten der Moderne.

Selbst die Rockefellers klopften an

Regisseurin Virpi Suutari aber würdigt Ainos kreativen Anteil in der ersten Hälfte ihres elegischen Porträts mit einer atemberaubenden Fülle an Fotografien und privaten Filmaufnahmen, flankiert von der eingesprochenen Korrespondenz der Eheleute und zeitgenössischen Wochenschauimpressionen.

Das Paar teilte offenbar die Leidenschaft für die Dokumentation des gemeinsamen Familien- und Arbeitslebens und nutzte jeden freien Moment dazu, den anderen abzulichten, stets mit einem ausgeprägten Interesse für technische Innovationen und die Avantgarde-Ästhetik. Als Kulisse dienten oft die jeweiligen Bauprojekte, etwa das wegweisende Sanatorium in Paimio, wo beide in Liegestühlen posierten, aber auch die vielen Reisen nach Frankreich, Italien oder die USA.

Nicht nur die Presse war regelrecht besessen von ihren Möbeln, Leuchten und Glasobjekten, die sich mit den weichgekurvten Linien dem rational-funktionalistisch ausgerichteten Programm der Moderne widersetzen. Selbst die Rockefellers klopften einkaufswillig an.

Die sich an Design-Klassiker wie „Paravent 100“, „Hocker 60“ oder die legendäre „Savoy-Vase“ in langen Einstellungen anschmiegende Kamera analysiert im Wechselspiel mit Archivaufnahmen und Off-Kommentaren von Kollegen, Kritikern und Kindern die besondere Formensprache. Eine Preziose ist auch das Filmmaterial vom 4. CIAM-Kongress an Bord des französischen Schiffs Patris II zwischen mediterraner Sonne und Seeluft. Der Kongress im Sommer 1933, an dem Le Corbusier und andere Berühmtheiten teilnahmen, begann zwei Wochen, nachdem die Nationalsozialisten das Bauhaus geschlossen hatten.

Möbel sicherten ihr Auskommen

Mal bewegt man sich zu einer perfekt auf die Bilder abgestimmten Musik durch den ondulierten Raum des Finnischen Pavillons auf der New Yorker Weltausstellung von 1939, mal entlang der geschwungenen Backstein-Fassade des 1946 auf dem Campus des MIT in Cambridge, Massachusetts, realisierten Baker House. Man trifft auf Avantgardekünstler wie László Moholy-Nagy oder Fernand Léger, die zum Freundeskreis von Alvar und Aino Aalto gehörten. Die Begegnung mit Maire Gullichsen, die eigentlich eine Galerie für Avantgardekunst eröffnen wollte, führte 1935 zur gemeinsamen Gründung der Möbelfirma Artek. Sie sicherte dem Paar während des Zweiten Weltkriegs ein Auskommen und gehört heute zum Möbelhersteller Vitra.

Gullichsen war auch die Bauherrin der Villa Mairea, für die sich Aalto von der Auflösung der Zentralperspektive durch den Kubismus inspirieren ließ. Als Aino 1949 an Krebs starb, startete Alvar wenige Jahre später mit seiner zweiten Frau Elissa Mäkienemi nochmal durch. Er baute viel in Deutschland, aber auch das Konzert- und Kongresshaus „Finlandia“ in Helsinki, das 1975 kurz vor seinem Tod eröffnet wurde. Aus dieser Zeit sind viele Radiointerviews und Fernsehdokumentationen mit Aalto erhalten, die diese facettenreiche und spannend-entspannende Annäherung an einen Workaholic abrunden. Neben rund 200 ausgeführten Bauten hinterließ der bestvernetzte Kosmopolit 300 weitere Entwürfe, darunter eine Piazza in Montreal und ein Kunstmuseum im iranischen Shiraz.

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