Bis wir tot sind oder frei

Biopic | Deutschland/Schweiz 2020 | 119 Minuten

Regie: Oliver Rihs

Der Schweizer Kriminelle Walter Stürm (1942-1999) war in den 1980er-Jahren als „Ausbrecherkönig“ und für seine schelmischen Aktionen landesweit bekannt. Das autobiografische Drama erzählt davon, wie er über die idealistisch gesinnte Rechtsanwältin Barbara Hug (1946-2005) zur Gallionsfigur der gegen das politische Establishment protestierenden Jugend wurde. Der Film rückt Stürms Wahrnehmung als eine Art Robin Hood zurecht, fiktionalisiert aber zugleich viele Elemente. Dadurch wirkt manches geglättet. Geglückt und darstellerisch gelungen ist jedoch die Erzählung um zwei schillernde Außenseiter, deren Karrieren sich gegenseitig fatal befeuern. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BIS WIR TOT SIND ODER FREI
Produktionsland
Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Contrast Film Zürich/Port au Prince Film & Kultur Prod./Niama Film
Regie
Oliver Rihs
Buch
Dave Tucker · Oliver Rihs · Norbert Maass · Ivan Madeo · Oliver Keidel
Kamera
Felix von Muralt
Musik
Beat Solèr
Schnitt
Andreas Radtke
Darsteller
Joel Basman (Walter Stürm) · Marie Leuenberger (Barbara Hug) · Jella Haase (Heike Vollmer) · Anatole Taubman (Peter Rothenburg) · Bibiana Beglau (Meret Spengler)
Länge
119 Minuten
Kinostart
31.03.2022
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Biopic | Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo (16:9, 1.85:1, DD5.1 schweizerdt./dt.)
Verleih Blu-ray
EuroVideo/Port-au-Prince
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Drama um eine idealistische Verteidigerin der protestierenden Schweizer Jugend in den 1980er-Jahren, deren Wege sich mit einem als „Ausbrecherkönig“ bekannten Kriminellen kreuzen.

Diskussion

Zürich, 1980. Nachdem die Stadtregierung 60 Millionen Franken für die Sanierung des Opernhauses bewilligte, für die Forderungen der Jugend nach alternativkulturellen Angeboten aber kein Gehör bewiesen hat, versammeln sich am 30. Mai mehrere Hundert Jugendliche vor dem Opernhaus. Sie unterstreichen ihre Forderungen mit Sprüchen, Bannern, Farbbeuteln und Eiern. Die Polizei antwortet mit Gummischrot und Tränengas. Der Opernhauskrawall dauert zwei Tage lang. Er fordert mehrere Hundert Verletzte, verursacht Schäden in Millionenhöhe und markiert den Auftakt einer zweijährigen Phase, in welcher sich Frust und Wut der Schweizer Jugend über das repressive Establishment, fehlende kulturelle Freiräume und soziale Freiheiten nicht nur in Zürich immer wieder gewalttätig entladen.

Zusammen mit der demonstrierenden Jugend steht auch die Zürcher Anwältin Barbara Hug (Marie Leuenberger) auf der Straße. Sie ist Mitglied des Zürcher Anwaltskollektivs, das den Idealen der (damaligen) politischen Linken entsprechend sich für die wirksame rechtliche Vertretung der Schwachen engagiert. Die Preise sind moderat, es gibt offene Rechtsberatung ohne Voranmeldung, die Juristen haben sich ein Engagement für Arbeitnehmer, Frauen und Mieter aufs Banner geschrieben. Zur Klientel der Kanzlei gehören insbesondere Menschen, die in Konflikt mit der Repressionsmaschinerie des Staates geraten sind.

Der Ausbrecherkönig nutzt das Chaos

An einem der Sommertage, an dem in Zürich erneut Demonstranten und Polizei aneinandergeraten, gelingt dem „Ausbrecherkönig“ Walter Stürm (Joel Basman) zum sechsten Mal die Flucht aus der Haft. Als Polizist verkleidet, mit der eigene Strafakte unter den Arm, setzt er sich in ein Polizeiauto und braust mitten im tobenden Treiben davon. Bei einem „Abstecher“ zu einem Juweliergeschäft an der Bahnhofstrasse parkt er wenig später das Polizeiauto kurzerhand in der Schaufensterauslage. Die Flucht, der Einbruch und der Juwelenraub mitten am Tag sind „Stürm at his best“, ein dreister „Schelmenstreich“, der von der Unerschrockenheit, Cleverness und Intelligenz des Täters zeugt.

Wenn man im Falle eines Allzeit-Kriminellen wie Walter Stürm überhaupt von „Verdiensten“ für den Staat oder die Gesellschaft sprechen kann, wäre anzuführen, dass Schweizer Strafanstalten heute wegen Stürm um einiges ausbruchsicherer sind.

Während Stürm das Weite sucht, verspricht Hug Demonstranten, die von der Polizei festgenommen wurden, sich um sie zu kümmern. Zu ihren Schützlingen gehört auch Heike (Jella Haase), eine junge Deutsche mit Verbindungen zur terroristischen Roten Armee Fraktion (RAF). Bei der Gerichtsverhandlung liefern sich der Staatsanwalt Peter Rothenberg (Anatole Taubman) und Hug ein heftiges verbales Gefecht, in dessen Folge Hug im Saal zusammenbricht. Barbara Hug (1946-2005) litt zeitlebens an den Folgen eines missglückten medizinischen Eingriffs in der Kindheit. Sie war gehbehindert, auf Schmerzmittel angewiesen und musste, weil sie nur eine, noch dazu schlecht funktionierende Niere besaß, regelmäßig zur Dialyse.

Hugs Krankheitsgeschichte, ihre körperliche Versehrtheit spielen in dem Film von Oliver Rihs keine unwichtige Rolle. Nicht nur, weil sie Marie Leuenberger als Schauspielerin körperlich einiges abverlangt, sondern weil sie Hugs Radius einschränken und der Film dies auch immer wieder zeigt. Etwas zu kurz kommen dabei die Erklärung ihrer Ideale und Vorstellungen und die erbitterten Kämpfe, die sie gegen die in ihren Augen unhaltbaren Zuständen in der Schweizer Justiz führt. Diese werden oft auf Parolen und Schlagworte reduziert.

Die Anwältin und der Kriminelle

Es ist Walter Stürm, der sich Hug nähert, die nach ihrem Zusammenbruch auf einer Parkbank sitzt, und ihr seine Akte überlässt. Die Dokumente lassen sich als Diebesgut vor Gericht zwar nicht verwenden, doch sie enthalten Hinweise über die Zustände in Schweizer Strafanstalten, die für Hug von Interesse sind. Die Schriftstücke bringen die Anwältin auf die Idee, Stürm, der durch seine Ausbrüche und seinen lauthals geführten Kampf gegen die Isolationshaft seit Jahren in der Öffentlichkeit wahrgenommen und jüngst sogar von der Jugendbewegung gefeiert wird, zum Botschafter ihrer eigenen Angelegenheiten zu machen.

Sie übernimmt sein Mandat. Als er sie wenig später um Fluchthilfe bittet, fährt sie mit ihm nach Deutschland, in jene Kommune, in der die inzwischen aus der Schweiz ausgewiesene Heike lebt. Stürm beeindruckt Heikes Wohngenossen mit seinen Safeknacker-Künsten, verspricht ihnen 50 Sturmgewehre für den bewaffneten Widerstand und beginnt mit Heike ein Techtelmechtel.

Die Geschichte spinnt sich sprunghaft weiter. Stürm landet nach einem Banküberfall, bei dem sein Kumpel die Nerven verliert und gewalttätig wird, wieder in Isolationshaft. Er tritt in den Hungerstreik. Hug setzt sich für ihn ein, bringt ihm Schreibmaschine und Papier. Sie bittet ihn, seine Erinnerungen aufzuschreiben und seine Gedanken zum Verlust der Würde festzuhalten; die Qualität des Schweizer Birchermüslis wird dabei zum MacGuffin. Mit tatkräftiger Unterstützung aus Deutschland kommt Stürm erneut frei. Er setzt sich nach Spanien ab. Hug besucht ihn. Während eines Ausflugs ans Meer scheint die Sonne; für die beiden als Paar scheint alles möglich. Doch Stürm will diese „Scheißfreiheit“ nicht, schon gar nicht geschenkt von Barbara Hug.

Frei nach Stürms Autobiografie

„Bis wir tot sind oder frei“ lautet im Film die Überschrift von Stürms autobiografischen Aufzeichnungen, die Hug zu publizieren verspricht. Sie sind in Wirklichkeit nie erschienen, vielleicht auch gar nicht fertig geworden; so genau nimmt es der Film, der mit dokumentarischen Einblendungen beginnt, dann doch nicht. Ihm liegt die von Reto Kohler verfasste Stürm-Biografie „Stürm. Das Gesicht des Ausbrecherkönigs“ (2004) zugrunde. Das Drehbuch stammt von Oliver Rihs, Dave Tucker, Ivan Madeo, Norbert Maass und Oliver Keidel. „Bis wir tot sind oder frei“ ist temporeich inszeniert und kurzweilig; bisweilen blitzt hinter allem Ernst, den die Geschichte kennzeichnet, ein lakonisch-leiser Witz auf.

Die Beziehung von Stürm und Hug, im Film wohl um einiges romantischer dargestellt, als sie in Wirklichkeit gewesen sein dürfte, lebt von der schauspielerischen Chemie zwischen Basman und Leuenberger. Während Marie Leuenberger ihrer Figur eine fast schon männlich anmutende, derbe Ruppigkeit verpasst, überzeugt Joel Basman durch eine chamäleonartige Wandelbarkeit, die der Figur Stürms sehr zugutekommt. In der Darstellung von Stürm mögen zwar einige seiner Charakterzüge wie sein Ruf des Gentleman-Ganoven und sein Verhältnis zu Frauen etwas zu kurz kommen; auch hätte man gern mehr über Hugs Beweggründe und ideologische Überzeugung erfahren. Doch das sind Klagen auf hohem Niveau. Denn als Film, in dem sich die Karrieren und Lebenswege zweier Außenseiter, die sich unter „normalen“ Umständen kaum aufeinander eingelassen hätten, unhaltbar ineinander verflechten, ist „Bis wir tot sind oder frei“ durchaus gelungen.

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