Drama | UdSSR 1986 | 133 Minuten

Regie: Georgi Danelija

Ein Bauarbeiter und ein Student werden unversehens auf einen Wüstenplaneten teleportiert, auf dem die Menschen unter Tage hausen und sich einem ritualisierten Dasein verschrieben haben. Die satirische Science-Fiction-Allegorie aus dem Jahr 1986, die in der Sowjetunion eine enorme Wirkung entfaltete, geht der Frage nach, welches Maß an Anpassung Menschen ertragen können, ohne sich selbst zu verlieren. Die Kritik am mangelnden Umweltbewusstsein ist nur ein Element des dystopischen Entwurfs, der gegen Trägheit und Genügsamkeit opponiert und sich über die Widersprüche des realen Sozialismus lustig macht. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
KIN-DZA-DZA!
Produktionsland
UdSSR
Produktionsjahr
1986
Produktionsfirma
Mosfilm
Regie
Georgi Danelija
Buch
Georgi Danelija · Rewas Gabriadse
Kamera
Pawel Lebeschew
Musik
Gija Kantscheli
Schnitt
Natalja Dobrunowa
Darsteller
Stanislaw Ljubschin (Wladimir Nikolajewitsch Maschkow) · Jewgeni Leonow (Uef) · Juri Jakowlew (Bi) · Lewan Gabriadze (Gedewan Alexandrowitsch Alexidse) · Olga Maschnaja (Decont)
Länge
133 Minuten
Kinostart
10.09.2020
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Komödie | Satire | Science-Fiction
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Satirische Science-Fiction-Allegorie aus dem Jahr 1986, die in der Sowjetunion eine enorme Wirkung entfaltete und davon handelt, welches Maß an Anpassung man ertragen kann, ohne sich selbst zu verlieren.

Diskussion

Der in Tiflis geborene Regisseur Georgi Danelija (1930–2019) galt neben Eldar Rjasanow als Großmeister der sowjetischen Filmkomödie. Zu seinen künstlerischen Tugenden gehörte die pointierte Alltagsbeobachtung mit lyrischer Grundierung, die selbst seinen boshafteren Grotesken eine luftige Leichtigkeit bescherte. Dabei erhob sich Danelija nicht über seine Helden, sondern verspottete und verlachte an ihrer Seite die Untiefen der Bürokratie sowie den in vielen Lebensbereichen obwaltenden Provinzialismus unter realsozialistischen Bedingungen. Subversiv im umstürzlerischen Sinne waren seine Filme nicht; das wäre in der Sowjetunion auch kaum denkbar gewesen. Doch sie polemisierten gegen Dummheit, Trägheit und allgemeine opportunistische Genügsamkeit.

Umso gespannter war das Publikum, als Danelija und sein langjähriger Drehbuchautor Rewas Gabriadse, ebenfalls ein Georgier, einen satirischen Science-Fiction-Film ankündigten. Produziert von Mosfilm Moskau, kam das Werk unter dem merkwürdigen Titel „Kin-dza-dza!“ im Dezember 1986 auf die Leinwände und avancierte binnen kürzester Zeit zum Publikumserfolg. Einzelne groteske Wortschöpfungen, die sich durch den Film zogen, gingen für geraume Zeit in die russische Alltagssprache ein, etwa „Pepelats“ für Raumschiff, „Gravitsappa“ für ein Teil des Pepelats-Motors, „Tschatl“ für Geld, „Tsak“ für ein Glöckchen an den Nasen niederer Zeitgenossen, „Kü“ als Schimpfwort und „Ecilop“ für Polizei.

Der Film grub sich tief ins Gedächtnis ein

Der Film grub sich so tief ins Gedächtnis seiner Zuschauer ein, dass Danelija 2013 ein animiertes Remake schuf: seine letzte Arbeit. Im Ausland blieb „Kin-dza-dza!“ hingegen weitgehend unbekannt; auch die DDR zeigte ihn nicht. So findet die deutsche Kinopremiere mit rund 34-jähriger Verspätung statt.

Der Film beginnt in Moskau in der Gegenwart der 1980er-Jahre. Der Bauarbeiter Wladimir, genannt Wowa, und der georgische Student Gedewan begegnen auf der Straße einem zerlumpten Mann, der ihnen erklärt, dass er auf seinen Planeten zurückwolle und dazu gewisse Koordinaten benötige. Die beiden glauben ihm nicht, drücken aber selbst auf das Knöpfchen seines Teleportiergeräts – und finden sich inmitten einer Wüste wieder. Wie sich herausstellt, handelt es sich dabei keineswegs um eine sowjetische Wüste, etwa die Karakum, sondern um jenen fernen Planeten, von dem der Außerirdische sprach: den Plük.

Ein Planet, an dem sich seine Bewohner vor langer Zeit versündigt hatten. Das oberirdische Leben ist so gut wie abgestorben, weil das Wasser extensiv zur Gewinnung eines Treibstoffs namens Luz genutzt wurde und nur noch aus Luz zurückgewonnen werden kann, was teuer ist und Wasser zur Kostbarkeit werden lässt.

Die „Plükaner“ kriechen an die Oberfläche

Die Dystopie von „Kin-dza-dza!“ scheint zunächst auf eine Kritik am mangelnden Umweltbewusstsein zu zielen. So zeigt das Setting des Films ein verrostetes Schiff, das auf Sand liegt; ein Motiv, das auf das Schicksal des Aralsees verweisen könnte, jenes zentralasiatischen Salzsees, der seit den 1960er-Jahren austrocknet. Auch ein altes, längst stillgelegtes Riesenrad gehört zur Ausstattung. Dort, wo sich einst ein Vergnügungspark befand, findet heute das Leben nur noch unterhalb der Erdoberfläche statt.

Das Umweltthema ist allerdings nur eines von vielen Motiven dieses Films. In der Hauptsache geht es um eine satirische Spiegelung menschlicher Haltungen und Eigenschaften angesichts einengender, ja existentiell bedrückender Umstände. Nach und nach öffnen sich diverse Deckel aus Blech und Stahl, und Plükaner kriechen an die Oberfläche, mit denen sich die beiden Erdenbewohner arrangieren müssen. Da gibt es Privilegierte und Unterwürfige und eine Menge Rituale, die nicht mehr hinterfragt, sondern bedingungslos ausgeführt werden.

Auch Wowa und Gedewan müssen sich weitgehend fügen, um überhaupt jemals wieder eine Chance auf eine Rückkehr zur Erde zu erhalten. Zwei Pazaken, also Unterwürfige, werden dabei zu ihren ständigen Begleitern. Diese Rollen wurden mit den berühmten Komödianten Jewgeni Leonow, einem kleinen rundlichen Gemütsmenschen, der es 2001 sogar auf eine russische Briefmarke brachte, und Juri Jakowlew besetzt. Als Uef und Bi haben sie es sich auf dem unwirtlichen Planeten bequem gemacht, stets auf eigenen Nutzen bedacht, durchaus tollpatschig und trotz aller Tücken liebenswert.

Von Beckett’scher Qualität

Unterstützt von der minimalistisch-volksliedhaften Musik des georgischen Komponisten Gija Kantscheli fragt der Film danach, welche Maß an Anpassung ein Mensch aushalten kann, ohne sich selbst und seine Würde aufzugeben, ja ob es ein richtiges Leben im falschen geben kann. Im Gewand der Science-Fiction-Allegorie kreist der Film um das Problem, das weit über das Sowjetsystem hinaus von Bedeutung bleibt: Wann ist der Mensch ein Mensch? Wowa und Gedewan sind selbst überrascht, wie schnell sie sich an die Rituale auf dem Planeten Plük anpassen. Seinen Eindruck von Plük, diesem „Sandhaufen am Hintern des Universums“, fasst Gedewan so zusammen: „Und weil ihr sagt, was ihr nicht denkt, und denkt, was ihr nicht denkt, sitzt ihr Leute in Käfigen rum. Und das ist auch der Grund für die verheerenden Zustände, die ich hier beobachte.“ Fast eine Beckett’sche Sentenz.

Georgi Danelija schrieb sich selbst einen Kleinstauftritt ins Drehbuch: Als Abradox, der Gouverneur des Planeten Alpha, auf dem Wowa und Gedewan, Uef und Bi zwischenlanden, verwandelt er Menschen in Pflanzen: „Als Pflanze weiterzuleben, ist gut für sie.“ Obwohl sich seine Untertanen tief vor Abradox verbeugen, erscheint auch diese Lösung nur als ein schwacher Trost.

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