David Copperfield - Einmal Reichtum und zurück
Drama | Großbritannien/USA 2019 | 119 Minuten
Regie: Armando Iannucci
Filmdaten
- Originaltitel
- THE PERSONAL HISTORY OF DAVID COPPERFIELD
- Produktionsland
- Großbritannien/USA
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Film 4/FilmNation/Searchlight Pictures
- Regie
- Armando Iannucci
- Buch
- Simon Blackwell · Armando Iannucci
- Kamera
- Zac Nicholson
- Musik
- Christopher Willis
- Schnitt
- Mick Audsley · Peter Lambert
- Darsteller
- Dev Patel (David Copperfield) · Hugh Laurie (Mr. Dick) · Tilda Swinton (Betsey Trotwood) · Peter Capaldi (Mr. Micawber) · Bronagh Gallagher (Mrs. Micawber)
- Länge
- 119 Minuten
- Kinostart
- 24.09.2020
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Drama | Komödie | Literaturverfilmung
- Externe Links
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Heimkino
Temporeiche, stilistisch extravagante Neuverfilmung des berühmten Romans von Charles Dickens, die im Kern um die Suche nach Identität kreist.
David Copperfield ist ein Mann, der nicht er selbst werden darf, obwohl er es ist, der seine Geschichte in dem gleichnamigen Film von Armando Iannucci erzählt. Es beginnt mit seiner Geburt; als Erzähler ist Copperfield (Dev Patel) schon anwesend, wenn seine Mutter Clara (Morfydd Clark) in den Wehen liegt und die Tante seines bereits verstorbenen Vaters, Betsey Trotwood (Tilda Swinton), sie davon überzeugen will, dass das Copperfield-Baby ein Mädchen sein wird.
David wird als Junge geboren und lebt fortan mit seiner Mutter und dem Kindermädchen Peggotty eine unbeschwerte Kindheit. Bis eine riesige Hand direkt in das Bild hineingreift und den jungen David aus seinem Glück herausreißt. Sein Stiefvater Mr. Murdstone (Darren Boyd) schickt ihn nach London, wo er in einem Internat unterkommt, das eigentlich eine Flaschenherstellungsfabrik ist. So beginnt das soziale Auf und Ab, das der privilegiert geborene David Copperfield von nun an durchlebt.
Die Locken der Angebeteten
Regisseur Iannucci nutzt visuelle Spielereien wie die Hand des Stiefvaters in der Fantasie des Kindes, um sich den originellen Beschreibungen des berühmten Romans von Charles Dickens zu nähern. Mit dem wiederholten Griff in die filmische Trickkiste werden die ausschweifenden Passagen der literarischen Vorlage auf kurze und vor Leben übersprudelnde Kapitel zusammengestutzt. Iannuccis Zugang zum Klassiker ist spielerisch. Das Fundament bildet der Humor, der ebenfalls weniger sprachlich denn visuell funktioniert. Wenn David Copperfield von der Liebe träumt, heben die Bilder mit ihm ab, um von einem Schnipsen des Arbeitskollegen in die Realität zurückholt zu werden. Wenn er ungestört träumen darf, sind die Locken der Angebeteten Dora (wie seine Mutter von Morfydd Clark gespielt) plötzlich überall zu sehen: auf Straßenschildern, dem Haupt des Kutschers und der Kuppel der St Paul’s Cathedral.
Die bildliche Verspieltheit setzt sich angenehm von der konservativen Modernisierungsstrategie der Klassikerverfilmungen ab, die sich damit zufriedengeben, die Handlung in ihrem Kern ins Heute zu überführen oder die Vorlage als schlichte Plot-Schablone benutzen. „David Copperfield“ bleibt der viktorianischen Ära treu und verwandelt sie zugleich in eine andere Welt. Die düsteren Wolken, die die beginnende Industrialisierung ausspuckt, treten in den Hintergrund, den das opulent aufgeplusterte Dekor und die blühende Landschaft Großbritanniens die meiste Zeit verdeckt. Das eigentlich belebende Element des Films ist das multikulturelle Ensemble, das ein Who-is-Who der britischen Schauspielriege mit einer Selbstverständlichkeit zusammenbringt, die gar nicht daran denkt, verschiedenen Ethnien eine „passende“ Rolle zuzuweisen.
Bunt und schnell
Iannuccis „David Copperfield“ ist bunt. Das Schicksal, das dem Protagonisten in Zeiten der Armut so hart und unerbittlich mitspielt, zeigt sich nicht tragisch, sondern komisch. Mit stilistischer Extravaganz und enorm hohen Tempo fliegt der Jugendroman am Elend vorbei. Die forcierte Erzählgeschwindigkeit wird dabei mitunter aber zum Problem. Dickens’ mehr als 600 Seiten langer Bildungsroman, der so sehr bis zum Bersten gefüllt ist, dass sich die Literaturwissenschaft auch nach mehr als 150 Jahren noch immer gerne an ihm abarbeitet, wird in schmale zwei Stunden Film gepresst. Die daraus entstehende Dynamik hastet von einem Großereignis zum nächsten durch Copperfields prägende Jahre.
Kaum haben sich die Figuren für eine Szene versammelt, weht ein aufkommender Sturm den Vorhang hinter ihnen weg und gibt damit den Blick auf die nächste Szene frei. Die exzentrischen Überblendungen und Übergänge nehmen so viel Fahrt auf, dass die Verbindungslinien zwischen den Lebensabschnitten der Hauptfigur nicht immer standhalten. Der große Bildungsroman zerfällt allzu oft in viele kleine Schnipsel, die eine Art Äquivalent zu den Wortfetzen sind, die Copperfield sammelt, um seine eigene Geschichte erzählen zu können.
„Ich bin David Copperfield“
Dabei vermag Iannuccis Exzentrik durchaus seine Vision einzulösen. Denn das ständige Spiel mit der Identität des Protagonisten, dessen Name von David zu Davy, Daisy, Trot und schließlich zu Doady wird, kommt schließlich als eine Art leichtfüßiger Zugang zu einem hart umkämpften Identitätsdiskurs daher. Mit Hilfe der vielen, kaum überschaubaren Beziehungen und Begegnungen mit den charakterlich, ethnisch und sozial so unterschiedlichen Menschen, Freunden und Verwandten, die ihm alle ihren eigenen Namen zuweisen, findet der Protagonist schließlich zu sich selbst. Von ihnen umringt, ruft er in einer Szene laut protestierend aus „I am David Copperfield!“ – und ist damit als zeitlose Figur ganz im Jetzt angekommen.