Gut möglich, dass der Filmemacher Edgar Reitz irgendwann vielleicht keine Freunde mehr hat. Denn alle Geschichten, die er verfilmte, sagt er, hätten persönliche Erinnerungen ausgelöscht. Als eine befreundete Frau, die als Figur in seine „Heimat“-Saga einging, den Kontakt zu ihm suchte, wehrte er ab. „Das ist aber furchtbar traurig“, kommentiert die Dokumentaristin Anna Hepp.
„800 Mal einsam – Ein Tag mit dem Filmemacher Edgar Reitz“ ist ein Porträt des Filmemachers, der als Mitunterzeichner des Oberhausener Manifests zu den Wegbereitern des „Neuen Deutschen Films“ zählte, des Machers von Filmen wie „Mahlzeiten“ (1967), „Der Schneider von Ulm“ (1978), „Susanne tanzt“ (1979) und insbesondere der „Heimat“-Trilogie. Es ist aber auch ein Film über die Bewunderung und Ehrfurcht einer jungen Filmemacherin („Ich mag ihr Lächeln“) für einen inzwischen 88-jährigen Filmkünstler und dessen Werk. Dass sie beides nicht zu trennen vermag, macht Hepp gleich zu Beginn deutlich: Jede Figur, die Reitz entwickelt habe, projiziere sie auf ihn. – „Gut“, entgegnet daraufhin Reitz, „das ist ihr Problem“.
Die Lichtburg als Schauplatz
Als Ort für die Begegnung mit – oder auch: der Inszenierung von – Edgar Reitz hat Hepp die Lichtburg in Essen gewählt, die in den 1950er- und 1960er-Jahren das wichtigste Premierenkino Deutschlands war. Das Bild, ganz von Reitz-Filmen affiziert, die immer mal wieder in Ausschnitten auf der Kinoleinwand zu sehen sind, ist schwarz-weiß. Meist sieht man die beiden auf Kinostühlen sitzen und reden; doch der Film begibt sich immer mal wieder auch auf Raumerkundungen.
Mit dem Bild des riesigen Saals mit seinen leeren Stuhlreihen versucht Hepp anfangs gleich ein Gespräch über Einsamkeit zu initiieren. Reitz geht in seiner trockenen Art auf alles ein; er spricht ernst, schmucklos. Aber es ist auch etwas Martialisches, Territoriales in seiner Sprache. „Ich gehöre zu den Menschen, die sich in der Schlacht erholen“.
Der Filmemacher erzählt: über sein Aufwachsen in den Kriegsjahren, den Vater, der ihn als Ingenieur sehen wollte und nicht als Künstler, über den Drang seiner Generation, die Plätze der Väter zu besetzen, über die große Krise nach dem Misserfolg von „Der Schneider von Ulm“. Reitz besann sich auf seine Heimat, den Hunsrück, begann zunächst die Lebensläufe seiner Familie aufzuschreiben und die Lücken mit Fantasie aufzufüllen. Das war der Ausgangspunkt von „Heimat“.
Kameras, Kabel, Mikro-Angeln
Reitz ist ein eher ruhiger Mann. Der Film ist es nicht. Ständig sieht man Techniker durchs Bild laufen, Mikrofon-Angeln, Kameras, Kabel. In den Filmen von Reitz gibt es auch hin und wieder Film- bzw. Kamera-im-Film-Momente (die Hauptfigur in „Mahlzeiten“ etwa arbeitet als Fotografin). In „800 Mal Einsam“ aber werden sie mehr und mehr zum aufdringlichen Element ohne echtes Motiv. Auch die Versuche, die Wiederholungsschleifen in „Susanne tanzt“ aufzunehmen – Sätze der Filmemacherin werden geloopt – wirken weniger spielerisch als bemüht. Gelegentlich geht es auch in Farbe in den Wald hinaus, weil sich dort der Heimatbegriff am ehesten festmachen lässt – „das Waldgefühl“, wie Reitz es nennt. Das Gespräch setzt sich auf der Wurzel eines umgefallenen Baums fort.
Nur einmal kommt Reitz richtig in Fahrt und teilt gegen die Ignoranz und das Nichtwissen der Fernsehanstalten aus. Es kränkt ihn, dass ein Filmemacher seines Rangs irgendwelchen Angestellten ständig neue Drehbuchfassungen vorlegen muss. Von diesen Verletzungen ist spürbar etwas zurückgeblieben. Aber es ist auch etwas Sanftes und Versöhnliches an Reitz. Im Grunde brauche er nicht viel: „Wenn man mir eine gute Arbeit gibt, kann mir nichts passieren“.