Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse

Komödie | Schweiz 2019 | 93 Minuten

Regie: Michael Steiner

Ein junger Jude aus Zürich soll nach dem Willen seiner Mutter bald heiraten, weshalb sie ihm eine Kandidatin nach der anderen aus dem jüdisch-orthodoxen Umfeld präsentiert. Doch der Student verliebt sich in eine nichtjüdische Kommilitonin, was ihm viel Ärger mit seiner Mutter einhandelt, aber auch zum Beginn eines turbulenten Emanzipationsprozesses wird und eine Auseinandersetzung mit der jüdischen Identität nach sich zieht. Die herzhafte Komödie nach einem Roman von Thomas Meyer lebt von Tempo, glänzenden Darstellern, neckischen Details und dem Zürcher Lokalkolorit und gewinnt dem Zusammenprall von Religionen und Kulturen höchst vergnügliche Momente ab. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
WOLKENBRUCHS WUNDERLICHE REISE IN DIE ARME EINER SCHICKSE
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
DCM/Schweizer Fernsehen/Turnus
Regie
Michael Steiner
Buch
Thomas Meyer
Kamera
Michael Saxer
Musik
Adrian Frutiger
Schnitt
Benjamin Fueter
Darsteller
Joel Basman (Mordechai "Motti" Wolkenbruch) · Noémie Schmidt (Laura) · Inge Maux (Frau Wolkenbruch) · Udo Samel (Herr Wolkenbruch) · Sunnyi Melles (Frau Silberzweig)
Länge
93 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Komödie | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Beschwingte Literaturverfilmung nach einem Roman von Thomas Meyer, der von der Emanzipation eines Sohnes aus der Bevormundung durch seine jüdische Mutter handelt.

Diskussion

Ihr Motti sei früher doch ein so „lib eyngl“ und „hartsik bebele“ gewesen, lamentiert Mutter Wolkenbruch. Nun aber ist ihr jüngster Sohn erwachsen und soll möglichst schnell eine Frau finden, die orthodox-jüdisch sein und in die Familie passen soll; die Mame organisiert für Mordechai deshalb fleißig eine „schidech“ (Brautschau) nach der anderen.

Doch Motti ist im Zürich der Gegenwart aufgewachsen. Er hat keine Lust, eine Frau zu ehelichen, nur weil seiner Mutter deren Nase passt. Er möchte eine, die ihm gefällt, am liebsten eine mit einem knackigen „tuches“ (Hintern), wie seine Mitstudentin Laura einen hat.

Das unsagbare Wort

Laura ist ganz anders als die strenggläubigen „mejdlech“, die die Mame ihm präsentiert. Sie ist weltoffen, jobbt in einem Club, hat ein fröhliches Lachen. Mit anderen Worten: sie ist eine „schikse“ (Nichtjüdin) und spricht Motti eines Tages unverhofft an; wenn Mutter Wolkenbruch später das ihr unsagbare Wort auf die Lippen bringt, kippt sie in Ohnmacht; es ist eine köstliche Rolle für die Schauspielerin Inge Maux.

Motti aber will die Kaffeepause mit Laura in der Uni-Mensa so wenig ausschlagen wie ihre Einladung in ein Zürcher Szenenlokal; dass das eine heikel ist und anständige Juden das Lokal meiden, kümmert ihn nicht. Als Laura ihn dann auch noch zu ihrer WG-Party einlädt, verschafft sich Motti Luft, indem er sich mit der nächsten Heiratskandidatin zum Schein verlobt. Was bei der Mame zu einem Freudeausbruch führt, hat aber auch einen Autounfall zur Folge und beschert Motti eine modische Brille, die seine Mutter schlicht grässlich findet.

Rund um das in der Literatur (etwa bei Philip Roth) wie im Film (etwa bei Woody Allen) beliebte Klischee der jüdischen Mutter, die ihren Sohn dominiert, hat der Schriftsteller Thomas Meyer seinen Debütroman „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ (2012) aufgebaut. Das Buch wurde nicht zuletzt wegen seiner von jiddischen Ausdrücken durchwobenen Sprache kontrovers diskutiert. Es stand monatelang auf den Bestsellerlisten und hat inzwischen eine Fortsetzung erhalten: „Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit einer Spionin“ ist soeben erschienen.

Fokus aufs Komische

Zwischen den beiden Romanen hat Meyer das Drehbuch zu „Wolkenbruch“ verfasst. Verfilmt hat es Michael Steiner, der mit „Mein Name ist Eugen“ (2004) und „Grounding“ (2005) auf der Liste der zehn erfolgreichsten Schweizer Filme aller Zeiten steht. „Wolkenbruch“ ist als Literaturverfilmung durchaus geglückt. Das hängt auch damit zusammen, dass Meyer die Handlung mit einem feinen Gefühl fürs filmische Medium straffte und mit dem Fokus auf das Komische leichtfüßiger und witziger gestaltete. In Michael Steiner fand er überdies einen Komplizen, der den sprachlichen Gestus des Romans in die Originalfassung des Films übernahm: Wo Juden miteinander reden, wird nicht Deutsch, sondern Jiddisch oder Hebräisch gesprochen; Laura hingegen, die von der Westschweizerin Noémie Schmidt gespielt wird, parliert mit charmantem französischem Akzent.

Der vielleicht größte Trumpf des Films aber ist die Besetzung Mottis mit Joel Basman. Der 1990 geborene Zürcher Schauspieler ist nicht sonderlich groß und wirkt eher schlaksig; eine gewisse Ähnlichkeit mit Woody Allen ist ihm ebenso wenig abzusprechen wie schauspielerisches Talent. Zudem stammt Basman aus einer jüdisch-nichtjüdischen Familie und ist mit der Wolkenbruch-Thematik durchaus vertraut.

Zürcher Lokalkolorit

Die Mutter-Sohn-Szenen gehören zu den Höhepunkten einer herzhaft-lustigen Komödie, die im Zusammenprall von Kulturen und Religionen von der ungestümen Emanzipation eines Sohnes aus den Armen seiner Mutter berichtet. Vieles in „Wolkenbruch“ ist Zürcher Lokalkolorit, da an „echten“ Schauplätzen in den „jüdischen“ Quartieren der Stadt gedreht wurde. Dass eine Mutter wenig ausrichten kann, wenn ihr Sohn sein Herz verliert, dürfte allerdings überall auf der Welt ähnlich sein. Und dass letztlich der Rabbi dafür verantwortlich ist, dass Motti in Israel die befreiende Wirkung der Lust entdeckt, ist eines von vielen neckischen Details, die „Wolkenbruch“ nicht nur zu einem der besten Schweizer Filme jüngerer Zeit, sondern generell zu einer guten Komödie machen.

Kommentar verfassen

Kommentieren