Es braucht keinen Unfall mit Chemikalien wie im Comic, um aus Arthur Fleck den Joker zu machen – die ganze Stadt ist toxisch, ein soziales Säurebad. In den Straßen von Gotham City türmt sich wegen eines Streiks der Müll; die Ratten, die der Unrat anzieht, werden zum ernsten Gesundheitsproblem. Noch gefährlicher sind allerdings die Menschen. Während der Comedian Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) den Passanten im Clownskostüm ein Lächeln abzuringen versucht, wird er von Jugendlichen brutal zusammengeschlagen: ein Tiefpunkt in seinem ohnehin tristen, freudlosen Leben. Das Lachen vergeht Arthur trotzdem nicht: ein ununterdrückbares, zwanghaftes, aus dem Körper förmlich herausbrechendes Lachen, das ihn manchmal anfallartig heimsucht. Schon vom Zuschauen tun einem das Zwerchfell und die Kehle weh.
Der Schmerz der Abgehängten
In Todd Phillips’ „Joker“ über die DC-Comicfigur, die als Nemesis von Bruce Wayne alias Batman zu den bekanntesten Comic-Schurken gehört, findet Arthurs Leiden eine unerwartete Resonanz, die schließlich dazu beiträgt, ihn in den Joker zu verwandeln. Nachdem er im Clownskostüm in der U-Bahn einen tragisch endenden Zusammenstoß mit drei arroganten, rücksichtslosen Yuppies hatte, avanciert der Clown plötzlich zur Ikone aller Elenden und Abgehängten in Gotham. Dass der reiche Thomas Wayne (Brett Cullen), der fürs Amt des Bürgermeisters kandidiert, bei einer Stellungnahme kundtut, dass in den Augen jener, die „etwas aus ihrem Leben gemacht haben“, alle anderen sowieso „Clowns“ seien, gießt noch mehr Öl ins Feuer und sorgt dafür, dass auf den Straßen von Gotham eine Revolte ausbricht. Das damit einhergehende Chaos und die Bestätigung durch die Randalierer, die mit Clownsmasken an den Privilegien der Elite rütteln, tragen dazu bei, dass sich aus dem geschundenen Kokon des Arthur Fleck der schrecklich-schillernde Schmetterling Joker zu lösen beginnt.
Der Superschurke als gebrochener Antiheld
Mit der motivischen Bezugnahme auf die „Occupy“-Bewegung erinnert der Film von Todd Phillips an den Abschluss von Christopher Nolans „Batman“-Trilogie, „The Dark Knight Rises“. Während dort dem Thema der sozialen Revolte am Ende aber der Stachel genommen wird, wenn der Volksaufruhr als Produkt der Intrige der Superschurkin enttarnt wird und Gotham zum Status quo zurückkehrt, lässt Phillips den Zorn und die Wut der Massen, die in der Joker-Figur ein Ventil finden, stehen und verwandelt die Figur vom Superschurken zum gebrochenen Antihelden. Dass ausgerechnet ein Film über den Joker das tut, was das Gros der Superheldenfilme in den vergangenen 15 Jahre geflissentlich unterlassen hat, nämlich die Kämpfe der Hauptfigur in eine Volksbewegung münden zu lassen, ist eine wahrlich sardonische Pointe.
Doch alle Hoffnung, dass der Aufstand die Welt zum Besseren verändern könnte, erstickt der Film im Keim. Am Ende regieren Chaos und Destruktion. Man ahnt, dass dies nur die Sehnsucht nach dem starken (Bat-)Mann befeuern wird, der im Alleingang für Ordnung sorgt. In einer Welt, in der sich Autokraten wachsender Popularität erfreuen, eine beängstigende Perspektive.
Angesiedelt ist der Film in einer Stadtkulisse, die ans New York der 1970er-Jahre und an Filme von Martin Scorsese wie „Taxi Driver“ denken lässt, aber dennoch beunruhigend gegenwartsdiagnostisch wirkt - als Stimmungsbild eines Landes wie der USA, in der sich gesellschaftliche Gegensätze verstärken und das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Demokratie unter der Präsidentschaft von Donald Trump ernsthaft Schaden nimmt.
Der Film seziert den Zynismus einer kaputten Welt
Nach Jack Nicholson, der die Joker-Figur in Tim Burtons „Batman“-Film lange geprägt hat, und der durch den frühen Tod von Heath Ledger morbid umwölkten Interpretation in „The Dark Knight“ schafft es jetzt Joaquin Phoenix, der Figur einen ganz eigenen, fulminanten Stempel aufzudrücken. Phillips holt sie, soweit es nur geht, aus der Sphäre des Comics in die Wirklichkeit, indem er auf fantastische, „übermenschliche“ Elemente komplett verzichtet. „Joker“ seziert eine Welt, die so pervertiert ist, dass sich das Lachen mit der Gewalt verschwistert und der Witz am Ende immer auf Kosten der Schwachen geht – als böseste Form des Humors, dem Zynismus, den der Film analysiert, ohne selbst je zynisch zu werden.