Baran ist ein Profi. Das war der Tellerwäscher in der Strandbar in Marmaris nicht von Anfang an. Aber Baran hat seine Kollegen genau beobachtet: ihre simplen Strategien, ihre Taschenspielertricks, eine Art Code oder das Spiel mit bekanntem Ausgang zwischen den Frauen mit Geld aus dem Westen und den türkischen Gigolos.
Regisseur Ilker Çatak beginnt seinen Film mit Baran, einem Mann, der buchstäblich nichts zu verlieren hat. Im Zentrum von „Es gilt das gesprochene Wort“ steht aber Marion: eine, die zunächst glaubt, nichts mehr zu verlieren zu haben. Auch Marion ist ein Profi. Sie ist Pilotin, die sich abgebrüht und cool durch eine von Eitelkeiten und Hybris geprägte Männerwelt bewegt.
Sie gewinnt immer
Anfangs sieht man sie in einer Szene im Cockpit über den Wolken, wo sie so knallhart wie rhetorisch elegant ihren unaufmerksamen, aber überheblichen Co-Piloten auflaufen lässt. Sarkasmus und Ironie sind ihre Waffen, sich die Welt vom Hals zu halten. Auch ihren Freund Raphael, einen Berufsmusiker mit Familie, hält sie so auf emotionaler Distanz. Er spielt das Spiel mit, als wäre es seines, als ginge es darum, zu gewinnen. Doch es ist Marions Spiel. Und sie gewinnt immer.
Çatak und sein Co-Autor Nils Mohl zeichnen die Figuren präzise; sie charakterisieren sie vor allem über ihre Sprache, in lebensechten, manchmal bissigen und sehr witzigen Dialogen. Baran ist zurückhaltend und vorsichtig, er macht nicht viele Worte, wohl auch, weil er entdeckt hat, dass das auch nach hinten losgehen kann. Marion und Raphael liefern sich vordergründig witzige, wortreiche Gefechte: so virtuos wie destruktiv kaschieren sie auf diese Weise Verletzungen und Selbstverletzungen. Ebenso detailgenau werden auch die Milieus geschildert, von den Gigolos im Touristenort über Marions oder Raphaels Arbeitswelt bis hin zu Nebenschauplätzen wie dem Standesamt oder einer Schule – meist ohne naheliegende Klischees zu benützten.
Marmaris, Strandbar, Schnäppchenpreis
Als Marion erfährt, dass sie schwer krank ist, reagiert sie darauf ausnahmsweise erwartbar. Härter als mit anderen geht sie nur mit sich selbst um. Raphael schlägt eine Reise in die Türkei vor. Last Minute, Marmaris. Schnäppchenpreis, Strandbar, Hotel. Als ihr Freund für sie da sein will und Nähe einfordert, zieht sie die Notbremse.
Anne Ratte-Polle erfasst die Rolle der Marion vollkommen, ihre Blicke und Gesten, aber auch ihre Intonation zeichnen das Bild einer zutiefst verletzten Frau, die sich über die Jahre einen auch für sie selbst undurchdringlichen Panzer antrainiert hat. Gemeinsam mit ihrem Gegenüber Oğulcan Arman Uslu als Baran macht sie die Risse sichtbar. Die Chemie zwischen den Schauspielern stimmt; ihre Kombination ist beispielhaft für ein kongeniales Casting.
Bemerkenswert ist auch die Abwesenheit eines allzu deutschen Erklärzwangs, der Mut zur Lücke. Mündige Zuschauer dürfen beispielsweise darüber nachdenken, warum Marion sich dafür entscheidet, Baran auf seine dringliche Bitte hin mit nach Deutschland zu nehmen; sie dürfen die widerstreitenden Gefühle der Figuren kombinieren – und aushalten. Aus diesen Widersprüchlichkeiten erwächst eine große Spannung; die Figuren sind wie im realen Leben komplex und schwer zu durchschauen, ihr Handeln und ihre Entscheidungen sind nicht abschätzbar. Ein paar dramaturgische, der Klimax zuarbeitende Taschenspielertricks am Ende wären gar nicht notwendig gewesen.
Eine große Liebesgeschichte
Es fällt gar nicht auf, dass „Es gilt das gesprochene Wort“ auch über gegenwärtig so relevante Themen wie Integration spricht. „Es gilt das gesprochene Wort“ ist kein Thesenfilm, der wesenhaft zum Erklärzwang neigt, sondern eine große, wahrhaftige Liebesgeschichte und ein Drama, das sich im Herzen wie in den Wortwitzen die Leichtigkeit einer romantischen Komödie bewahrt.