Rolling Thunder Revue: A Bob Dylan Story by Martin Scorsese

Dokumentarfilm | USA 2019 | 142 Minuten

Regie: Martin Scorsese

Im Herbst 1975 startete Bob Dylan mit befreundeten Musikern zur „Rolling Thunder Revue“-Tournee, die sie mehrere Monate durch eine Reihe US-amerikanischer Städte führte, wo sie in kleinen Spielstätten intime Konzerte gaben. Das dabei entstandene Filmmaterial dient als Basis einer dokumentarischen Rekonstruktion, bei der die damaligen Weggefährten zu Wort kommen, aber gleichzeitig auch am Dylan-Mythos gestrickt wird. Authentisch erscheinen nur die von Dylan in Auftrag gegebenen ausgiebigen Konzertmitschnitte und die Einbettung in die damalige US-Politik. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
ROLLING THUNDER REVUE: A BOB DYLAN STORY BY MARTIN SCORSESE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Grey Water Park/Sikelia
Regie
Martin Scorsese
Kamera
Howard Alk · Paul Goldsmith · Ellen Kuras · David Myers
Schnitt
Damian Rodriguez · David Tedeschi
Länge
142 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Musikfilm
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Neuerliche Bob-Dylan-Dokumentation von Martin Scorsese, der Aufnahmen einer Konzerttour im Herbst 1975 für ein illustres Spiel zwischen Mythos, Projektion und Selbstdarstellung nutzt.

Diskussion

Bob Dylan lässt sich ungern vor den Karren spannen. Wenn er sich für etwas engagiert, dann aus eigenem Antrieb heraus. Als er 2016 als erster Musiker den Nobelpreis für Literatur erhalten sollte, konnte der Preis erst nach viel Hin und Her übergeben werden – unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Dankesrede des Folk-Poeten. Regisseur Martin Scorsese hat den Künstler, der sich so gerne in Schweigen hüllt, dennoch zum Reden gebracht. Wobei sich Dylan auch hier aus dem Geschirr zu winden weiß. Denn so recht vermag man in „A Bob Dylan Story“ zwischen Fiktion, Realität und Projektion nicht zu unterscheiden.

Im Zentrum steht eine Art Zirkus-Tournee namens „Rolling Thunder Revue“, die selbst für seinen Gründer schwer zu fassen ist. Zumindest deutet das der Sprung auf die Metaebene an, mit der die Dokumentation ihren klassischen Beginn konterkariert und den Wahrheitsgehalt sogleich in Frage stellt: Dylan konstatiert verlegen lachend, dass er sich nach 40 Jahren nicht mehr daran erinnern könne, worum es der Tournee gegangen sei, eigentlich um „nichts“. 15 Jahre nach Scorseses Doku-Zweiteiler No Direction Home – Bob Dylan (2005) über die erste Schaffensphase obliegt es diesmal allein dem Regisseur Martin Scorsese, die Manege mit Artisten zu füllen.

Folk-Songs & Bombenteppiche

Für die „Rolling Thunder Revue“ reiste Dylan im Herbst 1975 bis zum Frühjahr 1976 mit einer Handvoll Folk-Musiker in abgelegene US-Städte, um in wechselnder Besetzung in kleinen Spielstätten aufzutreten, unter anderem auch inmitten einer Gruppe Mahjong-spielender Frauen. Der Titel der Tour entstamme dem Namen eines indianischen Medizinmannes, so Dylan. Erst später hätten sie herausgefunden, dass der Begriff auch für die Bombenteppiche der US-Streitkräfte in Vietnam genutzt wurde.

Wie innere Detonationen müssen sich auch die intimen Konzerte mit den damals schon zu Weltruhm erlangten Musikern angefühlt haben. Seinen Mitreisenden eröffnete Dylan die Möglichkeit, die extremste Version ihrer selbst herauszukehren. So sieht es zumindest der immer wieder zu Wort kommende, fiktive Filmemacher Steve Van Dorp, von dem behauptet wird, dass er die Tournee damals mit der Videokamera begleitet habe.

Was Van Dorps Doku-Material enthüllt, bei dem es sich eigentlich um die von Dylan beauftragten Aufnahmen für das Filmprojekt „Renaldo and Clara“ (1978) handelt, sind Begegnungen mit Joan Baez, Ramblin’ Jack Elliott, Joni Mitchell, Sam Shepard und Patti Smith. Ein Fokus liegt bei der geheimnisvollen Violinistin Scarlet Rivera, ein anderer auf dem verstorbenen Beat-Poeten und Dylan-Freund Allen Ginsberg.

Links zu den US-Traumata der Zeit

Scorsese verbindet Dylans Bühnenauftritte vortrefflich mit den US-amerikanischen Traumata der Zeit: Watergate, Nixon, Vietnam, die Anschlagsversuche auf Gerald Ford. Der Rahmen reicht von der 200-Jahres-Feier der Unabhängigkeitserklärung bis zu Dylans Engagement für den des Mordes verdächtigten Boxer Rubin „Hurricane“ Carter, dessen Schicksal zum Gegenstand seines gleichnamigen Songs wurde.

Zwischen die damalige Bühnen- und Backstage-Auftritte werden aktuelle Interviews mit den gealterten Wegbegleitern geschnitten. Neben den Musikern finden sich Tour-Manager, Produzenten, Journalisten und Kurzzeit-Garderobieren wie Sharon Stone, deren „Kiss“-Shirt Dylan bei einem Konzert aufgefallen sei. Was für ein Zufall, dass es von der Schauspielerin in diesem Shirt ein altes, ziemlich gestellt wirkendes Modell-Foto gibt.

Hier liegt der clevere Kniff von Scorseses Erzählstrategie, die in der Montage Mythos und Selbstdarstellung einer Tour hinterfragt, die Dylan schon damals als musikalische „Commedia dell’arte“ verstand. Ab und zu kommen auch Ressentiments oder Verstimmungen zwischen den Beteiligten zum Vorschein, wobei das Augenzwinkern der vermeintlich pikierten Interviewpartner deutlicher ist als ihr Naserümpfen. Das Ringen einiger Akteure um Dylans Aufmerksamkeit hat einen selbstironischen Touch. Seine Genialität wiederum enthüllt sich oft erst auf den zweiten Blick – in kleinen Anekdoten, denen genauso wenig zu trauen ist.

Das Ergebnis ist ein dokumentarisches Potpourri, das mit der eigenen Kohärenz um Orientierung ringt, ähnlich den hier gefilmten, unter Drogen stehenden Rock’n’Rollern der 1970er-Jahre. „Rolling Thunder Revue“ ist ein lebendiges Zeitzeugnis, das sich eher einem Lebensgefühl als der Historie verpflichtet fühlt. Das Siegel der Authentizität tragen allein Dylans Bühnen-Auftritte, denen genug Raum gegeben wird, um den Ausnahmestatus des Künstlers zu unterstreichen.

Zwischen Realität & Fiktion

„Nichts“ sei von dieser Tournee übriggeblieben, behauptet Dylan am Ende des Films. Nur „Asche“ – und diese wundervolle Annäherung an einen Mythos, der angesichts der kleinen Spielstätten so vielen verschlossen blieb. Eines jedoch scheint sicher zu sein: Bob Dylan hat sich wieder versteckt. Nur diesmal direkt vor unseren Augen – und mit einer indirekten Dankesrede an seine damaligen Bewunderer und Begleiter.

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