Dokumentarfilm | Frankreich 2018 | 115 (TV: 60,55) Minuten

Regie: Agnès Varda

Ausgehend von einer Collage öffentlicher Auftritte blickt die 90-jährige französische Filmemacherin Agnès Varda auf ihre Arbeit und ihr Leben zurück. Assoziativ verknüpft sie Filme, Fotografien und Performances miteinander und zieht einen Bogen von ihrer „analogen Zeit“ zu ihrer Entdeckung digitaler Techniken ab dem Jahr 2000. Der Wechsel zwischen Vortrag, Gesprächen und Filmausschnitten ist zwar filmisch eher konventionell, geht aber durch die hohe Dichte an Informationen sowie Charme, Witz und Großzügigkeit von Agnès Varda weit über vergleichbare filmgeschichtliche Dokumentationen hinaus. Der Querschnitt durch ein faszinierendes Oeuvre, beendet wenige Wochen vor dem Tod der Künstlerin im März 2019, mündet in eine wehmütige Coda. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
VARDA PAR AGNÈS
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Ciné Tamaris/Arte France/HBB26/Scarlett Prod.
Regie
Agnès Varda · Didier Rouget
Buch
Agnès Varda
Kamera
François Décréau · Claire Duguet · Julia Fabry
Schnitt
Agnès Varda · Nicolas Longinotti
Länge
115 (TV: 60,55) Minuten
Kinostart
06.02.2020
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Künstlerporträt
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
good!movies
DVD kaufen

Die Filmemacherin, Fotografin, Installationskünstlerin und Wegbereiterin der Nouvelle Vague Agnès Varda gibt mit einer assoziativen Collage großzügige Einblicke in ihr Werk. Eine außergewöhnliche filmgeschichtliche Dokumentation.

Diskussion

In „Die Sammler und die Sammlerin“ (2002), einem ihrer schönsten Filme, porträtierte Agnès Varda Sammler und Sammlerinnen, die auf frisch abgeernteten Feldern Zurückgebliebenes auflesen – etwa für die kommerzielle Verwertung zu groß geratene oder in Herzform gewachsene Kartoffeln –, aber auch Sozialhilfeempfänger, Rentner und andere prekär lebende Menschen, die in den Städten von der Straße aufheben und einsammeln, was andere wegwerfen: essbare Reste auf Wochenmärkten, Sperrmüll. Die Idee des Weitergebens war ihr nah, damit konnte sie etwas anfangen.

In „Varda par Agnès“ erzählt Varda auf der Bühne eines Opernhauses sitzend von den drei Wörtern, die sie in ihrem künstlerischen Schaffen stets geführt und begleitet hätten: Inspiration, Kreation und Teilen. Das Teilen („partage“) und Sammeln wird zum entscheidenden Element auch des Films. Wobei Varda in ihrem Parcours durch das eigene künstlerische Werk weniger ein „eingesammeltes“ Wissen teilt als eine persönliche Erfahrung. Die Geste dahinter ist großzügig, die Haltung warm und auf Augenhöhe. Auch den Filmschaffenden, mit denen Varda zusammengearbeitet hat – die Kamerafrau Nurith Aviv, Schauspielerinnen wie Jane Birkin und Sandrine Bonnaire – begegnet sie so. Sie nennt sie Komplizinnen.

Collage aus öffentlichen Auftritten

„Varda par Agnès“ ist eine Collage aus verschiedenen öffentlichen Auftritten, bei denen die im März letzten Jahres verstorbene Filmemacherin, Fotografin und Installationskünstlerin über ihre Arbeit sprach – irgendwie mag die Bezeichnung „Masterclass“ trotz ihres von vielen Kritikern zugeschriebenen Status als „Großmutter der Nouvelle Vague“ nicht so recht zu ihr passen. Diese werden ergänzt durch Ausschnitte aus ihren Filmen, Fotos und einige neu gedrehte Szenen. Dabei knüpft der Film auch an ihr Autoporträt „Die Strände von Agnès“ (2008) an.

Entsprechend ihrer „Cinécriture“, wie Varda ihren Stil der assoziativen Sprünge, Brüche und Mischformen (dokumentarischer Realismus und überformte Fiktion, Laiendarsteller und Stars) nannte, bewegt sich auch „Varda par Agnès“ im Zickzackkurs durch ihr Werk, das immer von der eigenen – auch ortsspezifischen – Lebensrealität ausging und von den Perspektiven, die sich davon ausgehend auf das Zeitgeschehen werfen ließen. Auch wenn sie viel unterwegs war, reichte mitunter schon der Blick vor die eigene Haustür: In „Daguerréotypen“ (1975) setzte sie den Händlern und Handwerkern ihrer Straße, der Rue Daguerre, ein liebevolles Denkmal. Varda entschlüsselte die berühmten Mythologien der Côte d’Azur, drehte in Kuba, sie brachte ihre Schwangerschaft in ein dialektisches Verhältnis zu der Welt der Armen, Alten und Clochards im Quartier der Rue Mouffetard und verarbeitete als überzeugte Feministin in gleich mehreren Filmen die Kämpfe der Frauenbewegung.

Mythos Hollywood, Modeleisenbahnen, M. Cinéma

Als sie mit ihrem Mann, dem Filmemacher Jacques Demy, in Los Angeles lebte, filmte sie spontan einen dort lebenden Onkel, Demonstrationen der Black Panthers und Murals, aber eben auch den Mythos Hollywood in Form einer verrückt zwischen Politik, Pop, Kunst und Fiktion sich bewegenden Erzählung („Lions Love“). Sie interessierte sich für Menschen, die Modelleisenbahnen horten, hatte aber auch ihren Spaß dabei, in „101 Nacht – Die Träume des M. Cinéma“ (1995) die Stars des französischen Kinos einzusammeln und Robert De Niro mit Catherine Deneuve in ein Boot zu setzen.

Nachdem der Film floppte, begann für Varda noch mal ein ganz neuer Lebens- und Arbeitsabschnitt. Varda drehte fortan digital, parallel dazu erweiterte sie ihr Schaffen ins Kunstfeld und stapfte auch schon mal im Kartoffelkostüm durch ihre Installation. Am Ende von „Varda par Agnès“ rekapituliert Varda ihren letzten Film, „Augenblicke: Gesichter einer Reise“ (2017), den sie mit dem Streetart-Künstler und Fotografen JR gemacht hat. Die beiden sitzen am Strand, ein Sandsturm fegt und lässt ihr Bild fast verschwinden. „Ich verlasse Sie“, sagt Varda.

Kommentar verfassen

Kommentieren