The Umbrella Academy

Comicverfilmung | USA 2019 | Minuten

Regie: Andrew Bernstein

Eine Serie nach der gleichnamigen Comicreihe von Gerard Way und Gabriel Bá: An einem Tag im Jahr 1989 werden unerwartet mehrere Kinder von Frauen geboren, bei denen zuvor keine Schwangerschaft feststellbar war. Sieben der Kinder adoptiert ein exzentrischer Wissenschaftler und Millionär und formiert sechs von ihnen, die über übernatürliche Fähigkeiten verfügen, zur "Umbrella Academy", um sie darauf vorzubereiten, einst die Welt zu retten. Doch die seltsame "Familie" zerbricht. Jahre später nach dem Tod ihres Adoptivvaters kommen die noch lebenden Geschwister als junge Erwachsene wieder zusammen, um das Rätsel von dessen Ableben zu lüften, und stoßen dabei auf eine tödliche Gefahr für die ganze Menschheit: In wenigen Tagen droht der Weltuntergang. Von dort aus entfaltet sich über vier Staffeln ein episches Abenteuer, in dessen Verlauf sich die seltsame Familie immer wieder neu zusammenraufen muss, um apokalyptische Katastrophen zu verhindern, und doch mit jeder Rettung nur neue Probleme verursacht, bis sich schließlich ihre Realität in ein Multiversums-Gewirr verzweigter Zeitstrahlen verwandelt hat und eine letzte, radikale Entscheidung getroffen werden muss. Die Adaption des Stoffes legt ihr Hauptgewicht darauf, ihn als Drama einer dysfunktionalen Familie zu entwickeln, und ordnet die spielerisch-fantastischen Elemente des Comics der Charakterentwicklung unter. Dank guter Schauspieler und einer reizvollen Inszenierung entsteht daraus eine spannende, sehr menschliche Variation des Superhelden-Themas. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
THE UMBRELLA ACADEMY
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Dark Horse/Universal Cable Productions
Regie
Andrew Bernstein · Peter Hoar · Ellen Kuras · Stephen Surjik · Jeremy Webb
Buch
Jeremy Slater · Steve Blackman
Kamera
Neville Kidd · Craig Wrobleski
Musik
Jeff Russo
Schnitt
Todd Desrosiers · Timothy A. Good · Wendy Tzeng · Amy E. Duddleston · Jon Dudkowski
Darsteller
Colm Feore (Sir Reginald Hargreeves) · Tom Hopper (Luther Hargreeves/Nr. 1) · Elliot Page (Viktor/Vanya Hargreeves/Nr. 7) · Robert Sheehan (Klaus Hargreeves/Nr. 4) · Emmy Raver-Lampman (Allison Hargreeves/Nr. 3)
Länge
Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Comicverfilmung | Fantasy | Serie

Eine Serie nach der gleichnamigen Comicreihe von Gerard Way und Gabriel Bá um eine dysfunktionale Superhelden-Familie.

Diskussion

Staffel 1

Auf Fotos aus den Kindertagen gruppieren sich sechs maskierte kleine „Superhelden“ um ihren Adoptivvater und Führer Reginald Hargreeves. Obwohl es einst sieben Kinder waren, die der exzentrische Millionär, Forscher  und Erfinder bei sich aufnahm, alle geboren am gleichen Tag, alle von Müttern, die zuvor keinerlei Anzeichen von Schwangerschaft erkennen ließen. Doch eines der Kinder, die  junge Vanya, schaffte es nicht in die „Umbrella Academy“, jenes Team, das Hargreeves von Kindesbeinen an darauf trillte, Schurken zu bekämpfen und später einmal die Welt zu retten. Denn Vanya scheint über keine der außergewöhnlichen Kräfte zu verfügen, die ihre Adoptivgeschwister haben, und musste deshalb bei den Familienporträts und den spektakulären Einsätzen des Teams außen vor bleiben – ein Ausgeschlossensein, das tiefe Wunden hinterlassen hat.

Ob sie es damit schlechter getroffen hat als die anderen oder nicht, lässt sich allerdings nicht so leicht beurteilen. Glücklich scheint jedenfalls keines der erwachsenen Hargreeves-Kinder zu sein, als sie sich anlässlich des Todes von Sir Reginald wieder in dem ebenso noblen wie verschrobenen Stadthaus, in dem sie aufgewachsen sind, nach vielen Jahren der Trennung wiedersehen. Ben alias Nr. 6 ist mittlerweile verstorben; Nr. 5, der das Talent hat, durch Zeit und Raum zu springen, verschollen; der Rest trägt schwer an den Erinnerungen an eine Kindheit, die von der Lieblosigkeit des Vaters und dessen ständigem Druck geprägt war.

Ein Team, das vor allem mit inneren Brüchen kämpft

Es ist eine reichlich dysfunktionale Familie, die die Serie „The Umbrella Academy“ auf der Basis der von Musiker Gerard Way geschriebenen und von Comic-Künstler Gabriel Bá illustrierten gleichnamigen Graphic Novels vorstellt: ein Team, das nicht zuletzt mit den eigenen inneren Brüchen zu kämpfen hat. Gerard Way, bekannt geworden als Frontmann der US-Emorock-Band „My Chemical Romance“ und seit 2007 neben seiner Solomusikerkarriere auch als Comicautor unterwegs (für den Verlag Dark Horse, wo er mit „Umbrella Academy“ als Autor debütierte, aber auch für DC Comics und mittlerweile auch für Marvel), ließ seine Affinität zur Musik auch in seine Autorenarbeit einfließen; das merkt man nicht nur dem Titel seines ersten „Umbrella Academy“-Bandes an, auf den sich die neue Serie stützt („The Apocalypse Suite“), sondern auch der Tatsache, dass über die Figur der Vanya (Ellen Page), die Violinistin ist, die Musik zum bedeutsamen Element der Story wird. Die Serie setzt Musik ebenfalls als wichtigstes Stilmittel ein; nicht nur in den Szenen, in denen Vanya mittels ihrer Violine dem Gefühl, nicht dazu zu gehören, ein Ventil verschafft, sondern auch durch einen Soundtrack, der immer wieder Popsongs quer durch die letzten Musik-Jahrzehnte einsetzt, um die emotionale Situation der Figuren zu akzentuieren (wobei unter anderem Arrangements von Way bzw. Stücke von „My Chemical Romance“ zum Tragen kommen).

Inhaltlich nimmt die Adaption durch Steve Blackman und Jeremy Slater die Comicvorlage als Gerüst, geht aber frei damit um. So werden z.B. die im Comic weißen „Umbrella Academy“-Mitglieder ganz im Sinne der „Diversity“ zum ethnisch bunt gemischten Haufen. Interessant ist aber vor allem, dass Blackmann und Slater die fantastischen, „comichaften“ Aspekte der Story zurückfahren; so wurden z.B. der Superschurke Dr. Terminal und das „Orchestre Condamné“ mit seinem sinistern Dirigenten ganz aus der Geschichte gestrichen – um sie weniger als typische Superhelden-vs.-Superschurken-Action zu erzählen, sondern das Ganze mehr in Richtung psychologisches Familiendrama zu entwickeln.

Space Boy, The Rumour und Co.

Auch die außergewöhnlichen Fähigkeiten der „Umbrella Academy“-Mitglieder spielen in der Serienadaption eine auffällig verhaltene Rolle, und richtig heroisch ist keine dieser beschädigten Figuren: Luther bzw. "Space Boy", einst „Nr. 1“, ist zwar übermenschlich stark, sein Oberkörper hat jedoch seit einem Eingriff seines „Vaters“ die Gestalt eines haarigen Gorilla, was Luther schamhaft verbirgt und Kontakt zu anderen Menschen meidet; die letzten Jahre hat er im Auftrag Reginalds allein auf dem Mond verbracht. Diego, der übernatürlich geschickt mit Messern umgeht, reibt sich als dunkler Rächer in der Verbrechensbekämpfung auf, balanciert dabei aber selbst am Rande der Kriminalität und  gerät öfters mit der Polizei aneinander. Allison, die als „The Rumour“ einen unheimlichen psychischen Einfluss auf  andere Menschen ausüben kann, hat es zum Filmstar geschafft, ist aber privat todunglücklich, seitdem ihr Exmann das Sorgerecht für die kleine Tochter bekommen hat. Klaus, dessen besondere Fähigkeit darin besteht, Tote zu sehen und mit ihnen zu kommunizieren, erträgt sein Leben nur mit Hilfe von Drogen.

Ausschlaggebend für die Handlung der Serie ist, wie im Comic, zunächst das Talent von Nr. 5: Der findet just am Tag, an dem seine Geschwister die Asche von Sir Reginald verstreuen, nach Hause. Nachdem er ein ganzes Leben in einer postapokalyptischen Zukunft verbracht hat, ist er nun als sein dreizehnjähriges Selbst zurückgekehrt, um die anderen vor dem in wenigen Tagen drohenden Ende der Welt zu warnen und es, wenn möglich, zu vereiteln. Was sich nicht nur deshalb als schwierig gestaltet, weil weder er noch die anderen eine Ahnung haben, was den Weltuntergang auslöst, sondern auch weil ihm zwei Killer im Auftrag eines dubiosen „Komitees“ gefolgt sind: Die dubios-kafkaeske Organisation (im Comic „Temps Aeternalis“ genannt), deren Gestaltung in der Serie ein bisschen an Terry Gilliams „Brazil“ erinnert, wacht mit Argusaugen darüber, dass niemand den vorgesehenen Lauf der Geschichte ändert.

Fokus auf der Familiengeschichte

Die Serie spielt zwar lustvoll mit den skurrilen Seiten des „Umbrella Academy“-Universums – wie dem sprechenden Schimpansen-Butler Pogo – dämmt sie jedoch ein und hält den Fokus fest auf der düsteren Familiengeschichte: Die zehn Folgen der ersten Staffel konzentrieren sich darauf, den einzelnen Hargreeves-Kindern ein markantes Profil zu geben (wobei auch diverse Rückblenden in die Vergangenheit eine Rolle spielen) und sie immer wieder in Auseinandersetzungen und vorsichtige Annäherungen zu verwickeln. Wobei die Serie sich, wie der Comic, wenig harmoniesüchtig gibt und mehr von Einsamkeit, Enttäuschungen und der Fragilität von Beziehungen als von Team-Building erzählt und vor allem in Ellen Page und Robert Shehaan fantastische Darsteller hat, um das zu vermitteln. Das einzige unbelastete Verhältnis der Serie dürfte das von Nummer 5 zu jener Schaufensterpuppe sein, die er sich als letzter Mensch in den Tagen der Postapokalypse zum Ersatz-Gegenüber erkoren hat. Und der einzige Anflug von echter Romantik bleibt ausgerechnet einem der Killer vergönnt, die eigentlich Nr. 5 eliminieren sollen.

Auch dank der formalen Ambitionen der Serie, die immer wieder nach interessanten Kameraperspektiven, aussagekräftigen Songs für den Soundtrack und Momenten sucht, die als stilistisch überhöhte Inseln aus dem Fluss der Handlung heraus ragen wie im Comic große Splash Panels aus der Sequenz der kleineren Bilder, liefert „The Umbrella Academy“ eine sehr reizvolle, melancholisch-menschliche Umsetzung des Comics. Wovon man sich auch als Leser selbst überzeugen kann: Die Reihe erscheint passend zur Netflix-Serie, die am 15.2.2019 startet, in einer überholten Neuauflage beim Verlag Cross Cult.

Buchhinweis: „The Umbrella Academy“, Bd. 1 („Weltuntergangs-Suite“). Hardcover, 192 Seiten, 19, 80. EUR; im Cross Cult Verlag erschienen am 11.2.2019. Bd. 2 erscheint am 12.2.2019; Bd. 3 am 10.9.2019.

Staffel 2

Was für ein grandioses Scheitern! Am Ende von Staffel 1 stand die Zerstörung des Planeten Erde durch einen Meteoriten-Hagel. Die Serie hatte sich kurzerhand von der guten, alten Genre-Regel verabschiedet, dass die Superhelden am Ende den Tag retten, und stattdessen mit der griechischen Tragödie geflirtet: Die Hargreeves-Sprösslinge ebneten letztlich der Katastrophe gerade durch die Versuche, sie zu verhindern, den Weg: Die Bestrebungen, das „schwarze Schaf“ der Familie, Vanya (Ellen Page), unter Kontrolle zu halten, waren der Grund für einen aus der Verzweiflung geborenen, explosiven Ausbruch von deren Super-Kräften, die in einem spektakulären Finale wortwörtlich den Mond vom Himmel holten.

Allerdings weiß man seit „Terminator“, dass es ein probates Mittel gibt, um selbst Apokalypsen nochmal ein Schnippchen zu schlagen: Zeitreisen! Dass Vanya und ihre Sippschaft von der "Umbrella Academy" nun noch eine zweite Staffel bestreiten können, haben sie den Zeitsprung-Talenten von „Nummer Fünf“ (Aidan Gallagher) zu verdanken: Der eigentlich erwachsene, aber im Körper eines präpubertären Knirpses gefangene Held beförderte sich und seine Adoptivgeschwister, wie die Exposition der neuen Staffel nun zeigt, zurück in die frühen 1960er-Jahre.

Präsident Kennedy und das Schreckgespenst eines Atomkriegs

Womit die Serienmacher interessanten neuen Stoff gewinnen. Band 2 der Comicreihe von Gerard Way und Gabriel Bá, die der Serie zugrunde liegt, heißt „Dallas“ – das deutet an, dass das Ereignis eine Rolle spielt, das am 22. November 1963 in der texanischen Großstadt stattfand: die Ermordung John F. Kennedys. Sie hält als eine Art Fixpunkt her, auf den sich die Handlung ausrichtet. Nachdem die Hargreeves-Geschwister beim Sprung durch die Zeit versprengt wurden und an unterschiedlichen zeitlichen Stellen der frühen 1960er-Jahre gelandet sind, sieht Nummer Fünf sogleich ein neues Weltende nahen, diesmal verursacht durch einen Nuklearkrieg zwischen den USA und der Sowjetunion.

An diesem Krieg müssen wohl einmal mehr sie selbst schuld sein; ihr Auftauchen in den 1960ern muss irgendwie ins Zeitkontinuum hineinpfuschen und Änderungen bewirken, die den Kalten Krieg eskalieren lassen. Und die Person von Präsident Kennedy, sein Sterben oder Überleben, muss dabei eine entscheidende Rolle spielen. Also macht sich Fünf auf, um nach und nach seine Geschwister dort einzusammeln, wo es sie hin verschlagen hat, um mit ihnen einmal mehr zu versuchen, das Unheil zu verhindern. Nach dem grandiosen GAU am Finale der ersten Staffel scheint außer ihm allerdings kaum einer Ambitionen zu haben, sich erneut am Weltretten zu versuchen.

Reibungen am Zeitgeist der 1960er

Die Serienschöpfer gehen, wie schon in Staffel 1, sehr frei mit der Comic-Vorlage um und verwenden nur einzelne Motive, um damit eine eigenständige Serienhandlung zu kreieren. Diese baut wieder stark auf die familiären An- und Abstoßungskräfte, die Verletzungen und Missverständnisse, die Sehnsüchte nach Nähe und Anerkennung, die zwischen den „Umbrella Academy“-Mitgliedern schwelen – wobei auch der in Staffel 1 verstorbene Familienpatriarch Reginald Hargreeves (Colm Feore), der in den frühen 1960ern noch in Saft und Kraft steht, einmal mehr eine Rolle spielt. Diese familiären Konfliktlinien werden ergänzt durch Reibungen der aus der Gegenwart stammenden Helden mit der Lebenswelt der 1960er-Jahre: Während Klaus (Robert Sheehan) zugedröhnt auf dem Zeitgeist surft, indem er die New-Age-Welle reitet, kollidiert die farbige Allison (Emmy Raver-Lampman) frontal mit einem Jahrzehnt, in dem Rassentrennung noch an der Tagesordnung ist. Vanya wiederum hat wegen einer Amnesie keinerlei Erinnerungen daran, wer sie ist, und beginnt ausgerechnet auf einer Farm irgendwo in der stockkonservativen Provinz zarte lesbische Bande zu einer blonden Farmersfrau zu knüpfen. Und Self-Made-Rebell Diego (David Castaneda) landet prompt in der Irrenanstalt.

Und da einmal mehr das Zeitkontinuum auf dem Spiel steht, kommt als weitere entscheidende Front natürlich auch die „Kommission“ wieder ins Spiel, eine Mischung aus monströsem Beamtenapparat und Tarantino-mäßigem Killertrupp, in dem die extravagante, herrlich biestige „Leiterin“ (Kate Walsh), die der Umbrella Academy schon in Staffel 1 die Hölle heißmachte, nun einen veritablen Coup d’État plant und ein ums andere Mal dafür sorgt, dass sowohl die Spannungs-Schraube angezogen als auch das Level kafkaesker Absurdität gesteigert wird, mit dem es die „Umbrella Academy“ zu tun bekommt.

Clevere Winkelzüge rund um Zeit-Paradoxien und die angebliche Macht des Fatums

Dem Drehbuch gelingt es, diese unterschiedlichen Handlungsstränge elegant zu verbinden und nach und nach immer enger zusammenzuführen. Der Rückgriff auf die amerikanische Geschichte bleibt dabei nicht viel mehr als ein Spiel – anders etwa als in der Serienfortschreibung von „Watchmen“, die mit Rückblenden in reale und alternative US-Geschichte ganz ernsthaft über die identitätsstiftende Macht der Historie (und der Bilder, die davon gemacht werden) reflektiert. Aber es ist ein rundum amüsantes Spiel voll cleverer Winkelzüge rund um Zeit-Paradoxien und die Macht des angeblich unverrückbaren Fatums, der schließlich doch keiner der gebeutelten Helden sich kampflos beugen will. Dabei unterhält die Serie erneut nicht nur durch ihre feine Balance zwischen Fantasy-Action, makabrer Komödie und Drama, sondern auch durch ihre stylische Inszenierung, die sich immer wieder in einzelnen Sequenzen von einem exquisiten Soundtrack zu tänzerisch-energetischen Höhenflügen pushen lässt.

Staffel 3

Am Anfang von Folge 3 wird in einem szenischen Zwischenspiel das sogenannte „Großvater-Paradox“ erklärt, das ein Dilemma im Konzept von Zeitreisen beschreibt: Was wäre, wenn jemand, der seinen Großvater leidenschaftlich hasst und für sämtliche Missstände in seiner Familie verantwortlich macht, in der Zeit zurückreisen könnte und diese Fähigkeit nutzen würde, um seinen Großvater schon in jungen Jahren umzubringen – und zwar vor jenem Zeitpunkt, in dem dieser das Elternteil zeugt, von dem der Mörder abstammt? Damit hätte der Killer zwar die Ursache seines Leidens beseitigt, aber auch die Bedingung seines eigenen Lebens eliminiert und dürfte also gar nicht existieren. Doch wer hat dann den Großvater ermordet?

Ein Paradox, und solche Paradoxe sind verheerend, nicht nur für die unmittelbar Betroffenen, sondern fürs ganze Universum. Dumm nur, dass zu dem Zeitpunkt, als sich die Umbrella-Academy-Mitglieder mit dem Thema auseinandersetzen, das Kind längst in den Brunnen gefallen, sprich: das Paradox, das sich zur Apokalypse auszuwachsen droht, schon entstanden ist.

Der Weltuntergang, mal wieder

In Staffel 2 hatte es die Held:innen per Zeitreise zurück in die 1960er-Jahre verschlagen; ihr Auftauchen dort hatte die Vergangenheit verändert und die Gefahr eines weiteren Weltuntergangs, eines „nuklearen Holocausts“, verursacht, den es dann im Lauf von Staffel 2 abzuwenden galt. Was auch gelang, allerdings zu dem Preis, dass sich bei der Rückkehr der Helden in ihre eigene Zeit nun herausstellt, dass das Zeitreise-Abenteuer auch wieder unliebsame Veränderungen und ein handfestes Großvater-Paradox generiert hat: In der Gegenwart, in der sich die Umbrella-Academy-Mitglieder nun wiederfinden, dürften sie eigentlich gar nicht existieren; ihr Ziehvater Reginald Hargreeves hat andere übermenschlich begabte Babys adoptiert und zur „Sparrow Academy“ herangezogen; sie selbst wurden nie geboren, weil ihre Mütter vor ihrer Geburt unter dubiosen Umständen verstarben.

Dass sie nun doch in dem Zuhause auftauchen, das in der neuen Realität das der Sparrows ist, zündet als Folge des Paradoxes im Keller des Hauses ein feuriges Phänomen, das die Umbrellas verharmlosend „Kugelblitz“ taufen werden, das aber tatsächlich die Fähigkeit hat, alles Sein auszulöschen, und schon bald erste Spuren seines Zerstörungswerks hinterlässt. Die Umbrella Academy ist zunächst zu sehr damit beschäftigt, sich mit den als Konkurrenz empfundenen Sparrows herumzuschlagen und eigene Wunden zu lecken, um das zu realisieren. Als dann die Crew um „Nr. 1“ Luther (Tom Hopper) doch kapiert, was Sache ist, ist es fast schon zu spät – und auch dann dämmert den Held:innen noch nicht, aus welcher Richtung ihnen die wahre Gefahr droht.

Zwischen Kugelblitz und Vater-Komplex

Nachdem Staffel 2 aus den Reibungen der einzelnen Umbrella-Academy-Mitglieder mit dem Zeitkolorit der 1960er-Jahre sehr schöne Funken geschlagen hatte, fällt die Konfrontation mit dem Sparrows vergleichsweise enttäuschend aus: Die Drehbuchautoren schaffen es nicht, die neu eingeführten Charaktere so markant zu konturieren, dass sie der neuen Staffel zusätzlich Reiz verleihen könnten. Dafür arbeiten sie aber sehr unterhaltsam an der Entwicklung ihrer Hauptcharaktere weiter, deren innere Konflikte den eigentlichen Zunder liefern: Allison (Emmy Raver-Lampman), bisher eines der ausgleichenden Elemente in der verkrachten Umbrella-Sippschaft, verkraftet es nicht, dass ihr in der alternativen Gegenwart die ersehnte Wiedervereinigung mit ihrer geliebten Tochter verwehrt bleibt, und legt eine zunehmend düstere Wandlung hin; Vanya findet nach ihrer Romanze mit einer Farmersfrau in Staffel 2 (parallel zu Schauspieler Elliot Page) den Mut, öffentlich kundzutun, dass sie sich als Mann fühlt und fortan Viktor ist, was seine Ziehgeschwister gut aufnehmen – doch dann wird er auf eine Weise von dem in Staffel 2 Geschehenen eingeholt, die einen Keil zwischen ihn und die anderen treibt.

Diego (David Castaneda) bekommt von seiner Geliebten aus Staffel 2, Lila, einen renitenten Zwölfjährigen aufgehalst, der angeblich sein Sohn ist und ihn zwingt, ungeahnte Vaterqualitäten zu mobilisieren, während Klaus (Robert Sheehan) die alternative Realität nutzt, um sich an die dortige Version seines Ziehvaters Reginald (Colm Feore) heranzumachen und zu versuchen, den Vaterkomplex-Felsbrocken, den ihm sein verkorkstes Verhältnis zu dessen Pendant aufgehalst hat, zu bearbeiten. Was die Steilvorlage liefert, den bisher nur als Nebenfigur aufgetretenen exzentrischen Millionär Reginald diesmal mehr zu involvieren, was gegen Ende der Staffel spannende Volten schlägt.

Ein stylischer Rahmen

Wenn auch nicht ganz so pointiert wie in Staffel 2, gelingt doch auch Staffel 3 wieder eine unterhaltsame Weiterführung der Saga nach der gleichnamigen Comicreihe von Gerard Way und Gabriel Bá. Musikgetriebene inszenatorische Kabinettstückchen (wenn sich etwa gleich in Folge 1 das erste Face-off zwischen Umbrella und Sparrow Academy zunächst statt als Kampf als Tanz-Contest zu den Klängen von „Footloose“ entfaltet) und ein reicher Fundus an originellen Szenerien (vor allem das retro-glamouröse „Hotel Oblivion“, das die Umbrellas zu ihrer neuen Operationsbasis machen), liefern einen stylischen Rahmen für eine weitere Runde Hardcore-Familientherapie, in deren Verlauf sich die Umbrellas ab und an mit neuen Gegnern wie den Sparrows prügeln, sich vor allem aber gegenseitig durch den emotionalen Wolf drehen, um jenseits aller Rivalitäten und alter und neuer gegenseitiger Verletzungen doch wieder am Ende am selben Strang zu ziehen. Ein Strang, der freilich auch gleich schon wieder die Lunte legt für die nächste Katastrophe, die die Welt vernichten könnte: Staffel 4 kommt bestimmt!

 

Staffel 4

In der Realität, in der die Hargreeves-Geschwister am Ende von Staffel 3 gelandet sind, gibt es Menschen, die vom „Umbrella-Effekt“ sprechen. Damit meinen sie keinesfalls das, was Wirtschaftswissenschaftler unter diesem Terminus verstehen. Es geht vielmehr um die beunruhigende Erfahrung, von Déja-vus und Erinnerungen heimgesucht zu werden, die man eigentlich gar nicht haben dürfte, da sie aus einer alternativen Wirklichkeit stammen. Die Abenteuer, die die ehemaligen Mitglieder der „Umbrella Academy“ in Staffel 1 bis 3 erlebt haben, ihre Versuche, ein ums andere Mal dem drohenden Weltuntergang ein Schnippchen zu schlagen, und die Umtriebe ihres egozentrischen Übervaters Reginald Hargreeves sind nicht ohne Folgen geblieben: Der einst konsistente Zeitstrahl ist wild ausgewuchert.

Multiversums-Unbehagen

Das Ergebnis davon ist, dass sich viele Menschen wie im falschen Film fühlen, geworfen in eine Realität, die sie von einer rücksichtslosen Elite manipuliert glauben. Aufgehetzt von den dubiosen Pseudowissenschaftlern Gene und Jean Thibodeau (Nick Offerman und Megan Mullally), die mit breitem Kaugummi-Akzent und Country-Western-Look wie die Inkarnation liberaler Albträume vom ländlichen Hillbilly-Amerika wirken, hat sich eine Widerstandsbewegung gebildet, die sich „die Hüter“ nennt. Diese will einer „Reinigung“ des verzweigten Zeitstrahls den Weg ebnen. Und dieser Weg führt im Zweifelsfall über die Leichen der Hargreeves-Sippschaft samt Reginald (Colm Feore). Letzterer ist in der aktuellen Dimension, in der die vierte Staffel spielt, wieder quicklebendig und an der Seite seiner auf dem wahren Zeitstrahl eigentlich längst verstorbenen Frau Abigail reicher denn je an Geld und Einfluss.

Um die Pläne der „Hüter“ zu vereiteln, die unter anderem ihren in Staffel 3 neu gefundenen Bruder Ben (aus der Swallow-Academy-Zeitlinie, gespielt von Justin H. Min) betreffen, müssen sich Luther (Tom Hopper), Diego (David Castaneda), Viktor (Elliot Page) & Co. notgedrungen ein letztes Mal zusammenraufen und zudem erneut mit ihrer ambivalenten Vaterfigur auseinandersetzen.

Aktuelle Resonanzen

Es ist ein durchaus interessantes Szenario, dass sich die Serienmacher um Steve Blackman und Jeremy Slater für die finale Staffel ihrer Superhelden-Serie nach der Comic-Vorlage von Gabriel Bá und Gerard Way vorgenommen haben. Die Held:innen finden sich zwischen den Fronten einer innerlich gespaltenen Gesellschaft wieder, die bei aller Multiversums-Fantastik deutliche Berührungspunkte zum aktuellen politischen Klima in den USA aufweist. Spätestens wenn in einer eindrucksvollen Sequenz gegen Ende die „Hüter“ tatsächlich mobil machen und zu den Waffen greifen, kann man gar nicht anders, als sich ans rechtsrevolutionäre Gewaltpotenzial der Trump-Anhängerschaft erinnert zu fühlen.

Diese aktuellen Resonanzen bringt die vierte Staffel allerdings nicht konsequent zum Klingen, sondern zwirbelt sie in eine Story hinein, die - ganz wie der Zeitstrahl - zu verzweigt ist, um eine stringente Stoßrichtung zu entwickeln. Die Macher lassen es sich nicht nehmen, einmal mehr viele Steilvorlagen für heftige, von einem markanten Soundtrack unterstützte Actionsequenzen zu liefern; zudem frönen sie einmal mehr der Lust am Absurden und bedienen vor allem reichlich auch das Familienmelodram, das in die Konflikte, Marotten und Neurosen des dysfunktionalen Hargreeves-Clans eintaucht.

Schlenker auf dem Weg zum Showdown

Wobei die Geschichten um die einzelnen Figuren, die hier zunächst ohne ihre übermenschlichen Kräfte auskommen müssen, durchaus Witz und skurrilen Charme besitzen. Sie drehen sich beispielseise um das labile „enfant terrible“ Klaus (Robert Sheehan), der seinem selbstzerstörerischen Lebensstil nun den Rücken gekehrt hat, aber dafür ins andere Extrem verfallen und geradezu manisch auf Sicherheit bedacht ist. Oder um Allison (Emmy Raver-Lampman), die Klaus Unterschlupf gewährt, mit mäßigem Erfolg an ihre Schauspiel-Karriere anknüpft und ihrer Tochter Claire eine gute Mutter zu sein versucht. Oder um Diego (David Castaneda) und seine Frau Lila (Ritu Arya), die gegen die Tristesse einer kleinbürgerlichen Routine ankämpfen, als Paar aber auseinanderdriften, als es Lila zusammen mit Nummer 5 (Aidan Gallagher) auf ein episches Abenteuer im Gewirr der Zeitstrahlen verschlägt, die kurioserweise durch ein U-Bahn-Netz verbunden sind - einer der schönsten Abwege, die die Staffel beschreitet.

So vergnüglich das mitunter ist, bremst es aber doch die übergreifende Handlung aus, die sich um die Hüter und ihre Pläne mit Ben und einer mysteriösen jungen Frau namens Jennifer (Victoria Sawal) entfalten. Und wenn schließlich alles in einem gewaltigen Showdown kulminiert, der ein bisschen an die legendäre Schlacht um die Starcourt Mall in der dritten Staffel von „Stranger Things“ erinnert, und sich für die Hargreeves’ ein letztes, qualvolles Dilemma zwischen Selbstaufopferung und Weiterkämpfen auftut, hat man das Gefühl, dass alles zu langsam und zugleich aber auch viel zu schnell gegangen ist. Erst zu viele Schlenker, dann kein Raum, um den liebgewonnenen Figuren einen wirklich überzeugenden Abschluss zu gewähren.

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