Bruno und Bettina
Dokumentarfilm | Deutschland 2018 | 101 Minuten
Regie: Lutz Dammbeck
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2018
- Produktionsfirma
- Lutz Dammbeck Filmprod.
- Regie
- Lutz Dammbeck
- Buch
- Lutz Dammbeck
- Kamera
- Yutaka Yamazaki
- Länge
- 101 Minuten
- Kinostart
- 07.12.2018
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- TMDB
Interviewfilm mit dem 80-jährigen japanischen Drehbuchautor und Regisseur Masao Adachi, in dessen Leben Kunst und Revolution eine ungewöhnliche Verbindung gefunden haben.
„Das Szenario für eine Guerilla-Operation zu schreiben, ist von der Form her das gleiche wie ein Filmdrehbuch zu schreiben“, erklärt der japanische Regisseur Masao Adachi gegen Ende von „Bruno & Bettina“. Adachi muss es wissen, denn er hat beides gemacht: Kino und Revolution. Als Regisseur und Drehbuchautor von sogenannten „Pinku eigas“, billig produzierten Erotikfilmen, die in den 1960er-Jahren in Japan aufkamen und in denen sich sexuelle Freizügigkeit mit avantgardistischer Erzählkunst und oftmals politischen Themen verband, stand er 1968 der Neuen Linken Japans nahe. 1971 reiste er über Cannes, wo er das Festival besuchte, direkt in den Libanon, um gemeinsam mit Kōji Wakamatsu einen Propagandafilm für die „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) zu drehen. Drei Jahre später schloss er sich der von Fusako Shigenobu gegründeten Nihon Sekigun an, der Japanischen Roten Armee (JRA). 23 Jahre gehörte Adachi der linken Terrororganisation an – bis zu seiner Verhaftung im Jahr 1997.
Schwarzer Cardigan mit palästinensischer Flagge
In dem Interviewfilm von Lutz Dammbeck mit dem irritierend schönen Titel „Bruno & Bettina“ sitzt der fast 80-jährige Adachi mit schlohweißem Haar auf einem roten Sessel in der Bibliothek des Goethe-Instituts in Tokio. Er trägt einen schwarzen Cardigan, an dem gut sichtbar ein Abzeichen der palästinensischen Flagge steckt. In seiner dunklen Sonnenbrille spiegelt sich schemenhaft das kleine Filmteam. Dann stellt Dammbeck Fragen, die nicht zu hören, aber zu lesen sind – präzise, mitunter sehr spezifische, gelegentlich auch mit Archivbildern, Dokumenten und Filmausschnitten unterfütterte und in jedem Fall informierte Fragen in weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund (die Literaturliste wird am Ende des Films nachgereicht): zur Re-Education nach 1945 (über dieses Thema lernten sich Adachi und Dammbeck bei einem Symposium in Tokio kennen), der japanischen Avantgardeszene und ihrer Berührung mit dem New Yorker Underground, zur Figur des rechten Schriftstellers Yukio Mishima und den Geschlechterverhältnissen in den Pink-Filmen, zu der Radikalisierung der Linken und der Globalisierung des Terrorismus und vieles mehr.
Was Adachi darauf antwortet, ist spannend wie ein politischer Krimi. Seine Sätze sind eher knapp und analytisch als ausholend; Adachi ist kein Anekdotenerzähler. Seine Erzählung formt sich zu einem fesselnden Porträt der japanischen Linken, die in Adachis Augen anfangs ohne eigene Inhalte – außer der vagen Idee von „Revolution“ – und ohne Waffen in den Bergen trainierte und mit nur geringem Erfolg den Anschluss an andere revolutionäre Gruppen suchte: „Wie soll man mit den Black Panthers sprechen ohne Englischkenntnisse?“, fragt Adachi. Wenige Jahre später zählte er zu einem der Protagonisten eines internationalen Terrornetzwerks, verkehrte mit Wadi Haddad und Mitgliedern der RAF und ging an den Flughäfen der Welt an seinem eigenen Fahndungsfoto vorbei.
Als Adachi erzählt, wie er im Libanon die Botschaft um eine Dolmetscherin fürs Arabische bat, wechselt er plötzlich vom Japanischen ins Englische. Manchmal unterstreicht der in seinen Gesten stets kontrollierte Mann seine Worte mit markanten Handbewegungen: kreisende zu der Geschichte über Yoko Ono, die in ihrer Wohnung stundenlang Curryreis für hungrige Leute kochte. Stechende zur weiblichen Handlungsmacht in den für männliche Dominanz und Gewalt berüchtigten Pink-eigas.
Die Stasi-Akten bringen Adachi aus dem Konzept
Aus dem Konzept fällt Adachi nur einmal. Dammbecks Frage nach seinem in Stasi-Akten verzeichneten MfS-Namen „Bruno“ – hinter „Bettina“ soll Fusako Shigenobu gestanden haben – kommt für ihn überraschend. Erstmals nimmt er seine Sonnenbrille ab, schaut, nun mit Lesebrille, etwas irritiert auf die Kopien, die der Filmemacher aus Deutschland mitgebracht hat.
Es sind nicht zuletzt solche kleinen Veränderungen in der Erzählhaltung, die das Interview zu einem nie ganz lesbaren Bild modulieren. Wenn Adachi am Ende „Bruno“ sagt, lässt er den Namen fast aus dem Mund plumpsen. Erstaunen, Spott, Unschuld und Verschlagenheit verbinden sich zu einem undurchdringlichen Gemisch.