An Elephant sitting still

Drama | China 2018 | 230 Minuten

Regie: Hu Bo

In einer Hochhaussiedlung am Rande der nordchinesischen Stadt Manjur leben drei Generationen in bitterer Armut. Der ökonomische Druck führt an einem einzigen Tag zu zwei Selbstmorden und einer versehentlichen Tötung. Um dem Schicksal und der Hoffnungslosigkeit für ein paar Stunden zu entrinnen, machen sich vier Anwohner auf den Weg, um in einer nahegelegenen Stadt einen Elefanten zu sehen, der völlig regungslos im Zoo sitzen soll. In schwebenden Kamerafahrten und fesselnden Nahaufnahmen erzählt der Film von den tödlichen Folgen ökonomischer Perspektivlosigkeit, ohne dabei je sein Ethos bedingungsloser Empathie preiszugeben. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DA XIANG XI DI ER ZUO
Produktionsland
China
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Dongchun Films
Regie
Hu Bo
Buch
Hu Bo
Kamera
Fan Chao
Musik
Lun Hua
Schnitt
Hu Bo
Darsteller
Zhang Yu (Yu Cheng) · Peng Yuchang (Wei Bu) · Wang Uvin (Huang Ling) · Li Congxi (Wang Jin) · Dong Xiang Rong (Schulrektor)
Länge
230 Minuten
Kinostart
15.11.2018
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion

Eindrucksvolles chinesisches Vierstunden-Drama über die Bewohner einer Hochhaussiedlung, die in bitterer Armut leben. An einem einzigen Tag verdichten sich ihre Schicksale.

Armut ist eine Krankheit. Von einer Generation an die nächste weitergegeben, dringt sie wie ein Virus in alle gesellschaftlichen Schutzzonen vor. Selbst die Familie wird als letzte, auf bedingungsloser Liebe gebaute Bastion des Zusammenhalts und der Empathie langsam von der Armut zersetzt. „An Elephant Sitting Still“ macht diese für das Auge nicht fassbare Gewalt eindringlich sichtbar. In der nordchinesischen Stadt Manjur durchdringt die Armut alle Facetten des Lebens.

Regisseur Hu Bo zeigt eine Gesellschaft am Rande der Stadt, deren Lebensrealität vollständig von der Armut durchdrungen ist; die Menschen werden von dem ökonomischen Druck regelrecht zermahlen. Das erste Opfer ist dabei die junge Generation. In seinem winzigen, unbeheizten Zuhause ist der Jugendliche Wei Bu permanent seinem Frust und Selbsthass sowie der Resignation seiner Eltern ausgesetzt. In der Schule muss er sich gegen das Mobbing der Mitschüler wehren. Als er sich in einer Auseinandersetzung schützend vor seinen Freund stellt, fällt dessen Peiniger eine Treppe hinunter und stirbt an den Folgen einer Kopfverletzung. Das aber ist nur die erste von mehreren Tragödien, die die Anwohner der schäbigen Hochhaussiedlung im Verlauf jenes Tages ertragen müssen, der im Mittelpunkt des Films steht.

Wei Bu flüchtet vor der Polizei, vor dem Bruder des Verstorbenen und seiner Familie, aber auch vor jener Tristesse, die sich wie Feinstaub über der Provinz ausgebreitet hat. Weder für ihn noch für die älteren Generationen scheint es ein Entrinnen aus der Trostlosigkeit der Großbausiedlung zu geben. Das Leben ist in den Armutsstrukturen stillgestellt. Während die Eltern ihren Kindern mit hoffnungsloser Apathie begegnen, sind die Großeltern, etwa der gütige Wang Jin, in den aufs pure Überleben ausgerichteten Strukturen nur noch Ballast. Ohne Einkommen oder Absicherung ist ihr Leben ein Warten vor dem Abtritt ins Altersheim. Nur seines Hundes wegen zieht Wang Jin nicht in ein solches Heim. Als sein Hund bei einem Spaziergang aber von einem anderen Hund getötet wird, fürchtet dessen Besitzer nur eine Forderung, die er nicht bezahlen will.

Schwebende Kamerafahrten fangen das Leid der Figuren ein

Der Pragmatismus der Armut, mit dem das tote Tier auf seinen finanziellen Wert reduziert wird, zwingt dann aber auch den anderen Mann, einen pensionierten Offizier, ins Altersheim. In einer der schönsten Sequenzen des Films besucht er das Heim, das sein Sohn für ihn ausgewählt hat. Scheinbar endlos schwebt die Kamera zu elegischen Gitarrentönen entlang der winzigen Zimmer, die die vereinsamten Alten beherbergen. Wie Geister schlurfen sie die wenigen Quadratmeter ihrer Zimmer ab oder stehen wie gefesselt vor den Fenstern der Einrichtung, die nur den Blick auf eine Wand freigeben.

„An Elephant Sitting Still“ begleitet das Leid der Protagonisten mit diesen schwebenden Kamerafahrten, die nie einen scharfen Blick auf die Umwelt zulassen. Stets sind die Figuren dicht in Nahaufnahmen zusammengedrängt, die keine Aussicht, keine Möglichkeit auf eine neue Perspektive, keinen Blick in die Ferne bieten. Es gibt hier keine Zukunft, alles geschieht im unabänderlichen Hier und Jetzt, das die Einwohner umschließt wie der graue Nebel die nordchinesische Provinz.

Hu Bo hält die Figuren in langen Einstellungen gefangen, vereinnahmt sie mit dem gleichen erbarmungslosen Fatalismus, der das Leben in Armut vereinnahmt hat. Es fällt schwer, dabei nicht an das Schicksal des Regisseurs zu denken, der sich kurz nach Fertigstellung des Films im Alter von 29 Jahren das Leben genommen hat.

Der Blick des Films kennt keinen Zynismus

„An Elephant Sitting Still“ ist dabei aber weder ein misanthropischer noch ein defätistischer Film. Hu Bo schwelgt nie im Elend seiner Figuren. Der Blick, den er auf das Leid der Menschen wirft, trägt keine Spur von Zynismus. Selbst unter der Last des ökonomischen Drucks, der die Empathie und Solidarität unaufhaltsam aus der Gemeinschaft presst, sucht der Film in jeder Sekunde der fast vierstündigen Laufzeit immer nach einem kleinen Augenblick der Hoffnung, nach einem kurzen Moment des Zusammenkommens.

„An Elephant Sitting Still“ ist ein beeindruckendes Plädoyer für Hoffnung und Empathie. Die Projektionsfläche dieses unvorstellbaren Weltbilds ist eine lokale Legende. Die Einwohner von Manjur erzählen von einem Elefanten, der im Zoo einer nahegelegenen Stadt regungslos dasitze. Ob er aus Protest oder Zufriedenheit ausharrt, weiß niemand. Doch der Glaube an diesen Elefanten reicht aus, um vier Menschen aus Manjur wieder zusammenzubringen. Gemeinsam brechen sie wie vier unheilbar Kranke zu einer letzten Reise auf, um das Tier still sitzen zu sehen. Ihre Reise kann sie nicht vor ihrer Lebensrealität retten und auch ihre Armut nicht heilen. Doch das Trompeten des Elefanten bringt für einen Augenblick einen Hoffnungsschimmer in eine Welt ohne Hoffnung.

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