Itzhak Perlman - Ein Leben für die Musik

Dokumentarfilm | USA/Israel 2017 | 83 (TV auch: 53) Minuten

Regie: Alison Chernick

Dokumentarisches Filmporträt des US-amerikanischen Violinisten Itzhak Perlman, das den charismatischen, weltbekannten Musiker bei Konzertreisen, Proben und Lehreinheiten begleitet und im Kreis seiner Familie filmt. Dabei kommt es dem in der Tradition des „Direct Cinema“ stehenden Film nicht auf biographische Vollständigkeit an, vielmehr gelingt es ihm, aus zahlreichen Momentaufnahmen ein vielschichtiges Abbild zu erstellen. Neben Selbstbewusstsein, Vitalität und musikalischen Grundsätzen vermitteln sich dabei auch Selbstzweifel, das Trauma eingeschränkter Beweglichkeit in Folge einer Polio-Erkrankung als Kind und der Umgang des jüdischen Künstlers mit seiner Religion und dem Erbe des Holocaust. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
ITZHAK
Produktionsland
USA/Israel
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
Voyeur Films/The Paul E. Singer Foundation/American Masters Pic.
Regie
Alison Chernick
Buch
Alison Chernick
Kamera
Christopher Gallo · Daniel Kedem · Chris Dapkins · Mikko Timonen
Schnitt
Helen Yum
Länge
83 (TV auch: 53) Minuten
Kinostart
09.08.2018
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Musikdokumentation
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Arsenal (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl.)
DVD kaufen

Dokumentarisches Filmporträt des US-amerikanischen Violinisten Itzhak Perlman als vielschichtiges Abbild eines charismatischen Musikers zwischen Vitalität und Selbstzweifeln.

Diskussion
Ein Auftritt in der „Ed Sullivan Show“ war in den 1950er- und 1960er-Jahren im amerikanischen Showgeschäft der berufliche Ritterschlag, der Erfolgsgeschichten von Elvis Presley über die Beatles bis zu den Muppets in den USA erst möglich machte. So ging es auch dem pummeligen, kraushaarigen 13-Jährigen, den Ed Sullivan im Jahr 1958 dem Fernsehvolk präsentierte: Der 1945 in Tel Aviv geborene Itzhak Perlman trug in der Sendung den 3. Satz von Mendelssohns Violinkonzert in e-Moll vor, wobei er die Melodie so rasant interpretierte, dass ihm das begleitende Orchester hörbar kaum folgen konnte. Selbst damalige Zuschauer, denen die Namen von Jascha Heifetz und Yehudi Menuhin als Lobpreiser des Jungen nichts sagten oder die, wie Ed Sullivan in seiner Ankündigung, mit der Zunge über das Wort „Violinvirtuose“ gestolpert wären, konnten begreifen, welch begnadeter Musiker sich hier vorstellte. Ein idealer Auftakt zu einer beispiellosen Weltkarriere, und doch blickt Itzhak Perlman fast 60 Jahre später skeptisch auf die Umstände dieses Auftritts zurück. In Alison Chernicks dokumentarischem Porträt „Itzhak Perlman – Ein Leben für die Musik“ zeigt er sich überzeugt, dass seine Einladung erfolgte, um das Publikum mit seinem Schicksal zu rühren: Dem eines Kindes, dessen Finger derart agil hatten werden können, wohingegen es seit einer Polio-Erkrankung mit vier Jahren nur noch mit Gehhilfen laufen konnte. Der Kontrast zwischen Itzhak Perlmans selbstbewusstem Auftreten und tiefsitzenden, unüberwindbaren Unsicherheiten teilt sich in dem Film immer wieder mit. Der mittlerweile über 70-Jährige ist meist auf einem Elektromobil unterwegs, mit dem er souverän durch Konzerthallen, Zelte und die eigene Wohnung steuert und nur gelegentlich auf Hindernisse stößt, die er nicht einfach umkurven kann. Bei Proben und Konzerten scheint er ohnehin stets in seinem Element zu sein, egal ob er auf internationalen Bühnen mit klassischen Orchestern brilliert, als Gast von Billy Joel im Madison Square Garden Rockmusik interpretiert oder im New Yorker Baseball-Stadion vor dem Spiel der „Mets“ die Nationalhymne spielt. Der über ein gutes Jahr hinweg entstandene Film zeigt Perlman zudem als Musiker, der stets auch imstande ist, neugierig und voller Elan als rhetorischer Botschafter seiner Kunst aufzutreten. Selbst wenn er vielleicht nicht in jeder Situation die originellsten Worte findet, strahlt er gegenüber Staatsoberhäuptern ebenso wie gegenüber Fans und Kollegen große Weltgewandtheit aus. Diesem Mann, so scheint es, hat die Begeisterung für sein Instrument enorme Sicherheit verliehen, ohne dass er dabei die Fähigkeit zur Selbstironie verloren hätte: „Falls ich einen Fehler mache, geht einfach mit!“, scherzt er einmal im Kammermusik-Kreis. Alison Chernick führt allerdings auch vor, dass bei Perlman neben der Lebensfreude sehr leicht auch verbitterte Züge zum Vorschein kommen: Da sind die Erinnerungen an die schmerzhafte Krankheit und die hilflosen Behandlungsmethoden der hinzugezogenen Ärzte, da sind die elterlichen Lehransprüche, denen er als Kind nie genügen konnte. Vor allem aber ist es das Erbe des Holocaust, dem seine Eltern in den 1930er-Jahren durch die Emigration aus Europa entgingen, das Itzhak Perlman immer wieder neu betroffen macht. Als ihm ein befreundeter Geigenbauer ein Instrument zeigt, das einem jüdischen Deutschen gehörte und in das ein Nazi bei einer Reparatur Hakenkreuz und Hitlergruß einritzte, drängt Perlman, dass dieser Violine keine Saiten mehr aufgezogen werden dürften. Die Ohnmacht, die ihn angesichts des Zivilisationsbruchs der Nazis befällt, ist unmittelbar zu spüren. Es sind diese Einblicke in die tieferen Schichten von Itzhak Perlmans Gefühlsleben, die den Dokumentarfilm zum runden Porträt machen. Alison Chernick ist erkennbar nicht an einem Abhaken aller Lebensstationen des Musikers interessiert und streut biographische Informationen nur dort ein, wo sie das Charakterbild sinnvoll ergänzen; auch die Chronologie der Ereignisse spielt sie für sie keine große Rolle. Stattdessen verlässt sich die Regisseurin auf die Prinzipien des „Direct Cinema“, das Dasein des Porträtierten möglichst lebensnah einzufangen, und schließt an Klassiker des auf solche Art entstandenen Musikfilms wie „Don’t look back“ (1967) und „Gimme Shelter“ (1971, (fd 17 498)) an. Zu verdanken ist dies vor allem dem Charisma von Itzhak Perlman sowie dem seiner Frau Toby, die sich als Glücksfall für den Film erweist: Viele Aspekte vermitteln sich über den lebendigen Dialogaustausch des seit über 50 Jahren verheirateten Ehepaars, zudem erweist sich Toby Perlman als wichtigste Stütze ihres Manns zwischen Konzertreisen, Lehreinheiten und dem Feiern des Sabbats in ihrer New Yorker Wohnung. Auf die treusorgende Ehefrau lässt sie sich dennoch nicht reduzieren, wenn sie auch als seine kritischste Zuhörerin auftritt, die ihn auf Fehler aufmerksam macht, wo er selbst durchaus zufrieden mit seinem Spiel ist. Und die gleichwohl Itzhak Perlmans größte musikalische Verehrerin bleibt: „Wenn ich ihn höre, ist das für mich gleichbedeutend mit atmen.“
Kommentar verfassen

Kommentieren