Fearless - Jenseits der Angst

Drama | USA 1993 | 122 Minuten

Regie: Peter Weir

Ein erfolgreicher Architekt überlebt die Folgen eines Flugzeugabsturzes. Während er in der Öffentlichkeit als Held gefeiert wird, steht er selbst seinem früheren Leben, in das er sich erneut zu integrieren versucht, wie ein Fremder gegenüber. Eher eine Exegese über die verwandelnde Kraft des Todeserlebnisses als ein Katastrophenfilm, schließt Peter Weirs neues Werk am kompromißlosesten an die Anfänge seiner Karriere an: ein ins Spirituelle überhöhtes Drama, das die scheinbaren Gewißheiten des modernen Lebens in Frage stellt. (Kinotipp der Katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
FEARLESS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Spring Creek
Regie
Peter Weir
Buch
Rafael Yglesias
Kamera
Allen Daviau
Musik
Maurice Jarre
Schnitt
William M. Anderson
Darsteller
Jeff Bridges (Max Klein) · Isabella Rossellini (Laura Klein) · Rosie Perez (Carla Rodrigo) · Tom Hulce (Brillstein) · John Turturro (Dr. Bill Perlman)
Länge
122 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Flugzeugkatastrophen haben die Phantasie der Filmemacher zu allen Zeiten beflügelt, von Henry Kosters "Reise ins Ungewisse" (1951, fd 1609) über die melodramatische "Airport"-Trilogie der 70er Jahre, der Zucker-Brüder ausgelassene "Airplane! "-Parodie (1980, fd 22 711) bis zu Stephen Frears vielschichtiger Satire "Ein ganz normaler Held" (1992, fd 30 087). "Fearless" hat mit allen früheren Ab-sturzfilmen nichts als das Faktum des Unglücksfalls gemein. Es ist ein Film so eigener Art, daß sich selbst die Kinowerbung davor scheut, die Katastrophe deutlich in den Mittelpunkt zu rücken. "Fearless" ähnelt mehr einer in Bilder umgesetzten Exegese über die verwandelnde Kraft des Todeserlebnisses. Schon die ersten Einstellungen des Films signalisieren, daß es hier nicht um die realistische Rekonstruktion eines Flugzeugabsturzes und seiner Folgen geht, sondern um die Dimension hinter der oft beschriebenen Realität: Die Kamera ist fixiert auf ein Maisfeld, aus dem nachtwandlerisch Menschen sich ihren Weg bahnen. Ein Mann mit einem Baby auf dem Arm, gefolgt von einem kleinen Jungen, geht an den sichtbar werdenden Trümmern eines abgestürzten, auseinandergebrochenen Flugzeugs vorbei. Seine Bewegungen sind automatisch; seine Augen verraten, daß er nicht wahrnimmt, was sie sehen. Menschen sprechen ihn an, aber die Stimmen erreichen ihn nur halblaut wie aus weiter Ferne. Wirklich scheint nur der Schmerz der anderen: der Verletzten, der Mutter, die verzweifelt nach ihrem Baby sucht. Das Leben hat nichts Wirkliches an sich, ähnelt jenem orientierungslosen Grenzbereich zwischen Traum und Erwachen, den wir alle kennen.

"Während meiner Nachforschungen für den Film", sagte Regisseur Peter Weir in einem Interview der"Los Angeles Times", "bin ich häufig auf Andeutungen einer spezifischen mystischen Bewußtseinslage gestoßen, auf die Dichter oft anspielen, in der sich Körper und Seele voneinander trennen und die eine fähig ist, die Existenz der anderen gleichsam losgelöst zu betrachten." Max, ein erfolgreicher Architekt in mittleren Jahren, der sich mit seinem Partner und Freund auf einer Geschäftsreise befand, hat den grauenhaften Unfall überlebt. Mehr noch, in den Augen der Öffentlichkeit ist er ein Held, weil er etlichen Mitreisenden beim Verlassen des Wracks geholfen hat. Doch seine Rückkehr in das bisherige Leben ist alles andere als die Fortsetzung seiner beinah verlorenen Existenz. Zwischen den Personen seines Vertrauens - der Frau, mit der er 16 Jahre lang verheiratet ist, dem Sohn, der Frau seines bei dem Unglück umgekommenen Freundes - bewegt er sich wie ein Fremder. Es ist sein Leben, zu dem er heimkehrt, und doch erkennt er sich darin nur wie ein Akteur, der das alles längst hinter sich gelassen hat. Schon während der grauenvollen Minuten des hilflosen Wartens vor dem Eintritt der Katastrophe gab es für ihn einen Augenblick, in dem seine angeborene Angst vor dem Fliegen und die Anspannung der Situation ins Gegenteil umgeschlagen sind. in eine plötzliche überirdische Ruhe, so als wäre schon alles vorbei. In jener Sekunde hat Max eine Grenze überschritten, die jede Furcht ausgelöscht hat. Das Erlebnis, dem Tod ins Angesicht gesehen zu haben, hat ihm gleichzeitig die Angst vor dem Tod genommen.

Die Menschen, mit denen er sein früheres Leben verbracht hat, erscheinen ihm wie Fremde von einem anderen Planeten. Identifizieren kann er sich nur mit denen, die das gleiche erlebt haben wie er. Vor allem mit Caria, einer jungen Mutter, die ihr Kind bei dem Absturz verloren hat, und die nicht weiß, daß es ein unterdrückter Schuldkomplex ist, der sie daran hindert, ins Leben zurückzukehren. Mit ihr bewegt er sich durch die Straßen des vorweihnachtlichen San Francisco, als ob er die Stadt und die kleinen Freuden des Lebens zum ersten Mal entdecke. Und für sie riskiert er noch einmal die Konfrontation mit dem Tod, der seine Schrecken für ihn verloren hat, um sie von ihren Schuldgefühlen zu befreien.

Es ist aber nicht nur Max, dessen Leben aus dem Gleis geraten ist. Auch seine Umwelt muß sich in einer Welt zurechtfinden, der keiner gewachsen ist, weil unsere moderne Gesellschaft auf sie nicht vorbereitet. Peter Weir: "In der modernen westlichen Welt sterben die meisten Menschen, ohne daß wir ihrem Tod beiwohnen. Wir haben in unserer Kultur Alter und Tod erfolgreich unter den Teppich gekehrt. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, ... daß die meisten Sterbefälle zu Hause stattfanden, und die Szene am Totenbett war Gegenstand zahlloser Gemälde. Heute ist der Tod eine ziemlich entlegene Angelegenheit. Unfälle passieren täglich um uns herum, aber der Ort des Geschehens wird rasch von allen Spuren gesäubert ... Man könnte annehmen, daß diese Aversion dem Tod gegenüber etwas damit zu tun hat, daß Spiritualität in der modernen Gesellschaft nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Ich komme gerade aus Bali,... wo alles mit Religion zu tun hat. In Bali wird die materielle Seite des Lebens als unwirklich angesehen; die Substanz ist, was wir nicht sehen können. Dieser Glaube mag eine Rolle dabei spielen, daß die Balinesen fähig sind. den Tod auf eine Weise zu akzeptieren, die dem Westen verwehrt ist." Die professionell mit dem Tod zu tun haben, der Anwalt und der Psychotherapeut, erstarren in ihrer automatisierten Routine zu den einzigen Karikaturen, die der Film zuläßt, womöglich weiter von der existentiellen Wahrheit entfernt als irgend jemand sonst. Tod ist kein natürlicher Bestandteil unseres Lebens mehr, ist wegorganisiert worden in einen Grenzbereich, der sich persönlicher Erfahrung gemeinhin entzieht, wird wie ein Makel oder wie ein Geschäft behandelt, hat mehr mit Krankheit und Lebensversicherung zu tun als mit der Grundsubstanz unseres Daseins. Ihm plötzlich in Gestalt eines "Auferstandenen" begegnen zu müssen, wirft die Menschen aus der Bahn.

Welten trennen diesen Film von den medienüblichen traditionellen Katastrophen-Abenteuern. Welten aber trennten Peter Weirs Filme schon immer von den vereinfachten Abziehbildern der Realität, die Hollywoods Filmindustrie gemeinhin liefert, in der er nun schon seit über einem Jahrzehnt arbeitet. Wie er es stets wieder fertigbringt, dem kommerziellen Apparat Filme wie "Der einzige Zeuge" (fd 25 072), "Mosquito Coast" (fd 26 027) und "Der Club der toten Dichter" (fd 28 082) abzutrotzen, ist sein Geheimnis. Doch noch nie haben ihn seine Produzenten so kompromißlos zu den Anfängen seiner Karriere zurückkehren lassen wie mit "Fearless".

Wie so häufig in Weirs Filmen sind es weniger die Ereignisse, sondern deren Inszenierung, die das Wesen des Films bestimmen. Bereits die Behandlung der Absturz-Katastrophe selbst ist ungewöhnlich. Als der Film beginnt, ist alles schon vorbei. Sensationshungrige sehen sich enttäuscht. Keine dramatisch rekonstruierte "Crash Landung", nur noch Bilder der Folgen. Auch sie distanziert, wie Traumsequenzen. Erst mit wachsendem Abstand des Helden, je mehr er mit seiner Reintegration in die Welt der eigenen Vergangenheit kämpft, kehren die Eindrücke von der Katastrophe als Erinnerungsfetzen zurück, in die Handlung eingebaut als Motivationspartikel für ein Verhalten, das dem Publikum zunächst fremd und absurd vorkommen muß. Erst ganz zum Schluß des Films, als Max in einem Asthma-Anfall erneut zwischen Leben und Tod schwebt, erscheinen die Details des Absturzes auf der Leinwand. Aber auch jetzt nicht als realistische Reportage, sondern verfremdet zu einem übersinnlichen Ereignis, das durch die Verwendung der elegischen Musik des ersten Satzes von Henryk Goreckis Dritter Sinfonie, der Lamentation des Heiligen Kreuzes, vermehrten Abstand von jeder Irdischkeit gewinnt. Musik hat seit der Pannöte in "Picknick am Valentinstag" (fd 20 381) in allen Filmen Peter Weirs eine große Rolle gespielt. In "Fearless" ist es (bis auf den Schluß) deren Abwesenheit. Obwohl Maurice Jarre im Nachspann genannt wird, gibt es so gut wie keine Musik. Dem korrespondiert die übrige Tonebene, in der Umweltgeräusche stark zurückgenommen sind, in mehreren Szenen total ausgeschaltet werden. Der ganze Film ist überschattet von einer mysteriösen Stille, in der sich die vertrauten Landschaften zu surrealen Bausteinen verwandeln, die neuer Entdeckung bedürfen. Man muß hineinlauschen in jede Szene des Films, genau hinhören auf Max" wie aus weiter Ferne kommende Stimme. Mit scheinbar geringen Mitteln knüpft Weir an die Spiritualität seiner frühen australischen Filme an. Wie in "Picknick am Valentinstag" taucht der Zuschauer in eine andere, mystische Welt ein, wie in "Die letzte Flut" (fd 20 916) durchdringen sich Traum und Realität.

Weirs Filme haben sich stets erst aus der Betrachtung einer "zweiten Schicht" hinter der Oberfläche der eigentlichen Handlung erschlossen. Das moderne Sydney ist unterhöhlt von den Kultstätten der Eingeborenen, den "Zeichen der Traumzeit", die sich unaufhaltsam zu verwirklichen beginnen ("Die letzte Flut"); eine private Zweierbeziehung droht an den Auswirkungen der brisanten politischen Situation zu scheitern ("Ein Jahr in der Hölle", fd 24 024); die in sich ruhende Harmonie gläubiger Menschen wird durch den Einbruch einer rücksichtslosen Umwelt aus dem Gleichgewicht gebracht ("Der einzige Zeuge"); der idealistische Geist scheitert fast an den Machtstrukturen des Systems, das er bekämpft ("Club der toten Dichter"). Die Kehrseite konventioneller Realität ist es, die Weir stets fasziniert hat, die Infragestellung scheinbarer Gewißheiten. Es sind Situationen der Beunruhigung, oft bis ins Extrem der Klaustrophobie reichend, die ihn interessieren, und die er inszeniert. Es ist eine konstante Suche nach geistiger Freiheit, die selbst noch in seiner einzigen Komödie, "Green Card" (fd 28 719), gegenwärtig ist. In "Fearless" treibt er diese Suche bisher am weitesten, indem er eine repräsentative Angstsituation zu einem spirituellen Drama überhöht, in dem das Mysterium des Todes realer ist als alle Erscheinungsformen irdischen Lebens.
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