„Hex, hex!“, sagt Bibi Blocksberg, und schon ist der Zauber vollbracht. Das ist natürlich Humbug. Denn richtig Zaubern ist eine Kunst. Wer eine gute Hexe sein will, muss das ganze dicke Zauberbuch auswendig können. So zumindest steht es in Otfried Preußlers „Die kleine Hexe“, neben „Der Räuber Hotzenplotz“ das beliebteste Kinderbuch des Autors, geschrieben vor 60 Jahren.
127 Jahre zählt dessen Titelheldin und ist damit für eine Hexe noch blutjung. Viel zu jung auf alle Fälle, als dass sie zu Walpurgis auf dem Blocksberg mit den anderen ums Feuer tanzen dürfte. Dabei würde die kleine Hexe nichts lieber als das tun. Denn obwohl der Rabe Abraxas, mit dem sie im Wald in der Nähe eines Dorfes wohnt, sprechen kann und ihr ein guter Freund ist, fühlt sie sich einsam.
Wenn sie am Tag vor dem großen Fest Regen herbeizuzaubern versucht und dabei einmal mehr nur Tannenzapfen, Wäscheklammern und Löffel, aber keine Tropfen vom Himmel fallen, und sie niemandem um Rat fragen kann, ist das ganz schön frustrierend. So fliegt die kleine Hexe gegen Abraxas’ Rat und hinter seinem Rücken trotzdem zum Blocksberg. Stürzt sich freudig in die ekstatisch ums Feuer tanzende Hexenmenge, wird von der Wetterhexe Rumpumpel aber prompt entdeckt und verraten.
Der Rat der Hexen fordert drakonische Strafen. Die Oberhexe aber gibt der kleinen Hexe eine Chance. Binnen eines Jahres, in der Nacht vor Walpurgis, soll sie erneut vor ihnen erscheinen und beweisen, dass sie eine gute Hexe ist. Indem sie alle 7892 Sprüche des Zauberbuches auswendig aufsagen kann. Wieder zu Hause, beginnt die kleine Hexe fleißig zu üben. „Vintulus, vantulus, ventulus, vuntulus, verivox, varifux, vurufex, hexzerrex“: Herrliche Reime sind das. Doch nicht einfach zu lernen. So gerät der kleinen Hexe zwischendurch einiges köstlich schief: Rabe Abraxas mit Hasenohren ist auch bildlich ein herrlicher Jux. Und wie die kleine Hexe auf dem Markt einem armen Mädchen, das seine Ware nicht los wird, zarte Farben und betörende Düfte an seine Papierblumen zaubert, ist nicht nur für die kleine Vroni entzückend.
Überhaupt ist dieser Film von Michael Schaerer prächtig geglückt, der unter anderem „Stationspiraten“ (fd 40 144) gedreht und bei der Preußler-Verfilmung „Das kleine Gespenst“ (fd 42 041) den Schnitt verantwortet hat. Der Wald, in dem die kleine Hexe wohnt, ist farbensatt und wunderlich belebt. Ihr Häuschen ist hübsch windschief, hat ein Strohdach und einen krummen Kamin. Der Rabe Abraxas, der im Film prominenter vorkommt als im Buch, sieht verblüffend lebensecht aus. Und die kleine Hexe, gespielt von Karoline Herfurth und im fröhlichen Mehrschichten-Look gekleidet, hat zwar eine spitze Nase, ist ansonsten aber ganz im Sinne der Vorlage keinesfalls furchterregend. Wenn man Menschen in Not aus der Patsche helfe und Böse bestrafe, so ihr Credo, sei man eine „gute“ Hexe. Der Hexenrat aber sieht das anders, und so sind zum Finale die schwarzmagischen Künste der kleinen Hexe tatsächlich gefragt.
Kindgerecht, frech-lustig und ein bisschen magisch-poetisch ist „Die kleine Hexe“ und übrigens auch musikalisch ein gelungener Wurf. So verspielt das von Nora, Diego und Lionel Vincent Baldenweg komponierte Hexenmotiv klingt, so folkloristisch-archaisch mutet die Tanzmusik auf dem Blocksberg an. Der musikalische Höhepunkt aber ist das auf Besen, Gläsern, Gießkanne, Cohiba-Box, Waschbrett, Radiator, Pfannendeckel, Nasenpfeife, Waldsäge und Benzinkanister improvisierte Hauskonzert, das die kleine Hexe für Vroni und Thomas in ihrem Haus spontan zaubert.