Der gewaltsame Tod ihrer Eltern schweißt zwei Schwestern von klein auf zusammen. Ihre Symbiose löst sich auch 20 Jahre später nicht, als die Mörder der Eltern nach verbüßter Haftstrafe entlassen werden. Doch dann geschieht ein Unfall, der alles in Frage stellt. Der kunstvoll konstruierte Horrorthriller schlägt durch seine psychologisch packend entwickelte Handlung in Bann, wobei er sich bekannter Mythen bedient und mit einem überraschenden Finale aufwartet. Erst gegen Ende wird die dramaturgische Schraube etwas überdreht.
- Ab 16.
Die Vierhändige
Horror | Deutschland 2017 | 94 Minuten
Regie: Oliver Kienle
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Erfttal Film/Niama Film/Pantaleon/SWR/arte
- Regie
- Oliver Kienle
- Buch
- Oliver Kienle
- Kamera
- Yoshi Heimrath
- Musik
- Heiko Maile
- Schnitt
- Philipp Thomas
- Darsteller
- Frida-Lovisa Hamann (Sophie Tauber) · Friederike Becht (Jessica Tauber) · Christoph Letkowski (Martin) · Detlef Bothe (Günther Klinger) · Agnieszka Guzikowska (Maria Uchwat)
- Länge
- 94 Minuten
- Kinostart
- 30.11.2017
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Horror | Psychothriller | Thriller
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Psychologisch packender Horrorfilm um zwei Schwestern
Diskussion
Etwas Seltenes ist hier zu vermelden: ein Horrorfilm aus Deutschland. Es beginnt auch gleich mit einem Schock, den man nicht erwarten konnte. Schlimmer noch: Er legt sich wie ein düsterer Schleier über das Folgende. Zwei kleine Mädchen, Sophie und Jessica, spielen im Wohnzimmer vierhändig Klavier. Fast eine Idylle. Plötzlich klingelt es an der Tür, zwei bewaffnete Räuber, ein Mann und eine Frau, dringen ins Haus ein. Die Mädchen verstecken sich unter dem Sofa. „Ich passe auf dich auf!“, verspricht Jessica der jüngeren Schwester und hält ihr die Augen zu. So muss sie alleine mit ansehen, wie ihre Eltern erstochen werden.
20 Jahre später leben Jessica und Sophie noch immer im selben Haus zusammen. Zwei junge, schöne Frauen, denen die Welt offensteht. Doch aus dem Versprechen von damals ist eine Obsession geworden. Jessica leidet an Wahnvorstellungen. Überall sieht sie Gefahren, und so kontrolliert sie Sophie auf Schritt und Tritt. Sophie hingegen will Pianistin werden und ackert für die Aufnahmeprüfung am Konservatorium. Ausgerechnet jetzt werden die Täter aus der Haft entlassen. Jessica ist wild entschlossen, ihre kleine Schwester vor ihnen zu beschützen, koste es, was es wolle. Doch dann passiert ein Autounfall; Sophie wacht allein im Krankenhaus auf. Jessica ist tot, zumindest legt sich dieser Schluss nahe, weil die Bilder so eindeutig sind. Sophie hingegen macht nachts fortan die Straßen unsicher – in Gestalt von Jessica. Am anderen Morgen kann sie sich an nichts mehr erinnern.
„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, dieser oft verfilmte Horrormythos nach dem Roman von Robert Louis Stevenson, grüßt aus der Ferne, und damit ist auch das Motiv des Doppelgängers etabliert. Zunächst aber erzählt Regisseur und Drehbuchautor Oliver Kienle schlüssig die emotionale Geschichte einer fast schon symbiotischen Beziehung zweier Schwestern, die durch ein Trauma aneinandergekettet sind und nicht voneinander loskommen. Wenn Jessica das Vorspiel ihrer Schwester unterbricht und somit ihre Karriere zerstört, ist diese Abhängigkeit ebenso verstörend wie beklemmend. Doch das packende Drama wandelt sich schnell zum effektiven Horror. Die Inszenierung findet für die Verwandlung der Figur Bilder und Motive, die mit ihrem Hang zum Übernatürlichen eng dem Genre und seinen Konventionen verpflichtet sind.
Frech und selbstbewusst bedient sich Kienle dabei der Versatzstücke des Horrorfilms und des Psychothrillers – hier ein flackerndes Licht, dort eine quietschende Tür, dann wieder eine unheilvolle Ecke, hinter der etwas lauern könnte. Da Sophie an ihrem Verstand zweifelt, spricht sie Nachrichten auf ihren Anrufbeantworter, um sie später abzuhören – in der Hoffnung, so ihre Identität festzuhalten. Eine schöne Idee, ebenso wie die GPS-Signale ihres Mobiltelefons, mit der sie ihre nächtlichen Streifzüge rekonstruieren will.
So zieht sich das Doppelgängermotiv, bei dem sich zwei Frauen komplementär ergänzen, durch den ganzen Film. Kienle treibt die Geschichte mit solchen Ideen wuchtig voran, und das funktioniert deshalb so gut, weil die Darstellerinnen so engagiert spielen. Besonders Friederike Becht darf als wilde Jessica, die das tut, was Sophie sich nicht traut, über sich hinausgehen. Doch dann überdreht Kienle die dramaturgische Schraube, es gibt eine Wendung, die alles in Frage stellt. Als Zuschauer ist man verwirrt. Eine Schwester? Zwei Schwestern? Kann man alleine vierhändig Klavier spielen?
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