Hektisch wirft der Fotograf den Stromgenerator an, die Eltern und ihre Kinder stellen sich vor einer kitschigen Landschaftstapete in Pose, viel Zeit bleibt nicht, bevor die Elektrizität versagt. Die Familienfotos im Intro zu „Haus ohne Dach“ zeigen fröhliche Kinder, die Faxen machen, sich inszenieren, Rollen einnehmen. Die Eltern sind meist angeschnitten – eine Ankündigung, dass sie auch im übertragenen Sinn bald aus dem Bild sind.
Es war einmal eine Familie. Viele Jahre später ist der Vater gestorben, Gule und ihre drei Kinder Jan, Liya und Alan leben seit langem in Stuttgart, vom alten Zusammenhalt ist nur wenig übrig geblieben. Als die Mutter nach dem Sturz Saddam Husseins bei einem Familientreffen ankündigt, in ihre alte Heimat zurückkehren zu wollen, kommt es zu ersten heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Geschwistern.
Allzu schematisch sortiert die deutsch-kurdische Regisseurin Soleen Yussef in ihrem Debütfilm die Rollen: Jan ist das rationale Familienoberhaupt, Typ „Kontrollfreak“, Liya die in sich gekehrte und stark mit sich selbst beschäftigte Tochter, Alan der „Troublemaker“ und verantwortungslose Vater ohne Job und mit hitzigem Gemüt. Eine Szene später ist Gule tot. Die Geschwister beschließen, dem letzten Willen der Mutter nachzukommen, im kurdischen Teil des Irak neben dem Vater beerdigt zu werden.
„Haus ohne Dach“ ist eine Geschichte über Identität, Geschwisterrollen und kulturelle Entwurzelung. Trotz des spezifischen geografischen bzw. geopolitischen Rahmens – während die Geschwister sich dem kurdischen Heimatdorf der Mutter nähern, rücken die Truppen des Islamischen Staats in Richtung Mossul vor – hält sich der Film relativ eng an einen universellen Standard des Road Movie: eine (trotz familiärer Bande) zusammengewürfelte Gruppe, die erst durch Krisen und Zerwürfnisse zueinander findet, sowie diverse zu bewältigende Hindernisse (Checkpoints müssen passiert werden, das Auto hat eine Panne, die Großfamilie der Mutter versucht die Beerdigungspläne zu verhindern, der Sarg wird gestohlen).
Aus diesem etwas bemühten dramaturgischen Korsett, das zusätzlich auf die Enthüllung eines Familiengeheimnisses zusteuert, vermag sich der Film nie recht zu lösen. Zu offensichtlich gebaut ist die Geschichte, zu ausbuchstabiert wirken die Konfliktlinien, zu forciert erscheint das Ganze. Erst als sich die Geschwister auf ihrer Reise trennen und jeder für sich auf eigenen Wegen weiterreist – Jan mit einem Schäfer, Liya mit einem singenden Taxifahrer, Alan mit dem Teenager-Sohn eines Tankstellenbetreibers –, findet „Haus ohne Dach“ zu etwas mehr Offenheit. In diesen Momenten fängt auch die Landschaft an, sich zu aktivieren, mehr zu sein als eine Kulisse, in die man Figuren mit definierten Aufgaben hineinstellt.