Die spanische Mttelmeerinsel Mallorca in der Nebensaison ist Schauplatz einer episodischen Tragikomödie um drei Menschen, teils Einheimische, teils Touristen, die auf ein Stückchen Glück hoffen. Der Film besticht und betört durch poetische Verdichtungen sowie seine komisch-melancholische Bildsprache und Erzählweise. Dokumentarisch komponierte Tableaus, reizvolle Kadrierungen und die gelungene Mischung aus Laien und Schauspielern vermitteln einen suggestiven, ironisch gebrochenen Eindruck des Urlaubsorts und der Sehnsüchte, die sich an ihn knüpfen.
- Ab 14.
Parasol - Mallorca im Schatten
Komödie | Belgien 2015 | 77 Minuten
Regie: Valéry Rosier
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Filmdaten
- Originaltitel
- PARASOL
- Produktionsland
- Belgien
- Produktionsjahr
- 2015
- Produktionsfirma
- Wrong Men/Datcha Film
- Regie
- Valéry Rosier
- Buch
- Valéry Rosier · Matthieu Donck
- Kamera
- Olivier Boonjing
- Musik
- Cyrille de Haes · Manuel Roland
- Schnitt
- Nicolas Rumpl
- Darsteller
- Alfie Thomson (Alfie) · Pere Yosko (Pere) · Julienne Goeffers (Annie) · Christian Carre (Christian) · Delphine Théodore (Rezeptionistin)
- Länge
- 77 Minuten
- Kinostart
- 24.08.2017
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Komödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Episodische, poetisch verdichtete Tragikomödie um drei Menschen auf Mallorca in der Nebensaison
Diskussion
„Tatsächlich war Can Picafort einst ein kleines Fischerdorf und hat sich im Laufe der Zeit eben komplett gewandelt. Heute gilt Can Picafort als beliebtes Urlaubsparadies, in dem es zur Sommerzeit auf fröhliche Art hoch hergeht.“ Soweit das Internet zu dem Ort an Mallorcas Nordküste, in dem „Parasol – Mallorca im Schatten“ von Valéry Rosier spielt.
Es ist Nebensaison in Can Picafort, der Sommer ist fast vorbei. Das Erlebnisfreibad hat schon geschlossen, am Pool sind viele Liegen frei und die Palmen biegen sich schon mal im kurzen Ansturm eines Regenschauers, der vom nahen Herbst kündet. Nur noch wenige Gäste fahren mit in der Touristen-Bimmelbahn, die Pere durch die Gassen des Ortes steuert, vorbei auch am „berühmten Tennisplatz, auf der linken Seite“ oder den „typisch mallorquinischen Bäumen“, wie er die vorüberziehenden Attraktionen via Mikrofon recht monoton begleitet.
Pere ist eine von drei Hauptfiguren in der episodisch angelegten, dokumentarischen Tragikomödie. Er hat eine vielleicht neunjährige Tochter, die wochenweise bei ihm und der getrennt lebenden Mutter aufwächst. Es steht nicht zum Besten um seine Beziehung zu dem Mädchen, auch weil er viel arbeitet. Das möchte er ändern – um jeden Preis. Der Engländer Alfie ist so gerade erwachsen und verbringt den Urlaub mit seinen Eltern und dem kleinen Familienhund auf dem Campingplatz. Er möchte etwas erleben – und dabei denkt er nicht an Bustouren mit seinen Eltern, an deren Ende ein gemeinsames Paella-Essen lockt. Dann gibt es noch die 73-jährige Annie. Sie ist abgehauen von zuhause, aus Belgien, verstört rufen ihre Kinder an, die nicht wissen, wo sie ist. Annie sehnt sich nach Liebe, nach Nähe, nach Sex: Und einiges sprach dafür, dass ihre Wünsche auf Mallorca erfüllt werden. Sie wohnt in einem Hotel unter anderen Rentnern. An den Animationen möchte sie nicht teilnehmen, für Gleichaltrige, die zu tanzenden, fast nackten Bodybuildern klatschen, hat sie nur Verachtung übrig.
Schon für einzelne Bilder, die man sich am liebsten an die Wand hängen würde, lohnt es sich, „Parasol – Mallorca im Schatten“ anzusehen. Zum Beispiel für die titelgebenden Sonnenschirme (Parasol heißt Sonnenschirm auf Englisch und Spanisch), die visuell und erzählerisch eingebunden werden und, fast wie in einem Dinggedicht, motivisch immer wiederkehren: Mal hängt ein bunt geringelter Schirm nach dem Sturm im Baum und will sich, verformt, nicht aus seiner grotesken Neuverortung lösen, mal deutet Annie – eine wunderschöne Szene ¬– vorsichtig einen Pole-Dance an mit einem zusammengefalteten, rot-weiß gestreiften Exemplar. Die Selfies, zu denen Alfie von seinen Eltern verpflichtet wird, schießen diese am verwaisten Pool des Campingplatzes, im Hintergrund leuchten die gelben Schattenspender.
Der Regisseur, Jahrgang 1977, hat sein Langfilmdebüt ungeheuer sicher und stilbewusst inszeniert und komponiert, voller Poesie, Melancholie und leiser, absurder Komik. Er mischt Laien mit professionellen Schauspielern, dreht, wenigstens vermeintlich, auch spontan an Originalschauplätzen: Etwa mit Alfie, der sich mit seinen neugewonnenen White-Trash-Freunden dem konzeptuellen Vollrausch hingibt, am Mini-Ballermann von Can Picafort.
Der dokumentarische Ansatz im Zusammenspiel mit einer sehr bewussten Bildkomposition erinnert an Ulrich Seidl, insbesondere an seinen episodischen „Hundstage“. Im Gegensatz zu diesem ist „Parasol – Mallorca im Schatten“ jedoch nicht zynisch, eher ironisch den Menschen und ihrem Streben zugewandt. Denn jeder, der hier im Urlaub ist, auf der Suche nach etwas Neuem, jemand anderem, nach Erholung und Ablenkung, wird umso erbarmungsloser zurückgeworfen auf sich selbst. Was nicht zwangsläufig böse enden muss.
Die Bildausschnitte sind gelegentlich ungewöhnlich gewählt, Köpfe oder Silhouetten füllen dann nur das untere Drittel des Bildes. Hier ist noch Luft nach oben, hier gibt es Hoffnung, oder, frei nach Friedrich Nietzsche: Hier ist die Hoffnung der Regenbogen über den herabstürzenden Bach des Lebens.
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