Drama | Italien 2015 | 107 Minuten

Regie: Claudio Caligari

Die Freundschaft zweier junger Drogendealer aus Ostia wird vor Herausforderungen gestellt, als sich einer von ihnen verliebt und das kriminelle Leben hinter sich lassen will. Ein eindrucksvolles Drama über die Unfreiheit von Menschen angesichts sozialer Perspektivlosigkeit. Der Film des italienischen Regisseurs Claudio Caligari ist der Abschluss einer Trilogie über Menschen an den sozialen Rändern Roms, die in den 1960er-Jahren mit Pier Paolo Pasolinis „Accattone“ begann und die Caligari in den 1980er-Jahren mit „Amore tossico“ fortsetzte. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
NON ESSERE CATTIVO
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Kimerafilm/Rai Cinema/Taodue Film
Regie
Claudio Caligari
Buch
Claudio Caligari · Giordano Meacci · Francesca Serafini
Kamera
Maurizio Calvesi
Musik
Paolo Vivaldi · Alessandro Sartini
Schnitt
Mauro Bonanni
Darsteller
Luca Marinelli (Cesare) · Alessandro Borghi (Vittorio) · Silvia D'Amico (Viviana) · Roberta Mattei (Linda) · Alessandro Bernardini (Brutto)
Länge
107 Minuten
Kinostart
06.04.2017
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Krimi
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Verleih DVD
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Drama über zwei kleine Drogendealer in Ostia

Diskussion
In einer Szene greift der Kleinkriminelle Cesare am Strand von Ostia versehentlich in eine Spritze, die ein Junkie dort liegengelassen hat. Cesare ist außer sich vor Wut und lauert mit einer Planke in der Hand eine ganze Weile darauf, einen Heroinsüchtigen zu verprügeln. Bis ihn Vittorio, sein bester Freund, überreden kann, es sein zu lassen. Die Szene scheint wie eine Antwort auf das Werk, mit dem der 2015 verstorbene Regisseur Claudio Caligari Anfang der 1980er-Jahre italienische Filmgeschichte geschrieben hat. In „Amore tossico“ (1983) ging es um eben jene Heroin-Junkies, die sich am Strand den Stoff in die Adern spritzen. Deren Lebenswelt bannte Caligari, der zuvor schon einen Dokumentarfilm zum Thema gedreht hatte („Perché droga“, 1976), nach gründlicher Recherche mit Laiendarstellern suggestiv auf die Leinwand. In Italien hatte das für ähnliches Aufsehen gesorgte wie zwei Jahre vorher die Adaption von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ (fd 22 885) in Deutschland. Wichtige Impulsgeber für Caligari, der immer ein Außenseiter der italienischen Filmszene blieb und nach „Amore tossico“ nur noch zwei Spielfilme realisieren konnte, waren der Neorealismus und vor allem das Werk von Pier Paolo Pasolini. Seinen letzten Film „Tu nichts Böses“, dessen Montage Caligari nicht mehr selbst vollenden konnte, betrachtete er als Abschluss einer „Trilogie“ über die sozialen Outcasts an den Rändern Roms, die Pasolini mit „Accattone“ (1961, (fd 12 111)) begonnen und Caligari mit „Amore tossico“ weitergeführt hatte. Wie diese beiden Filme ist auch „Tu nichts Böses“ eine Klage über die Unfreiheit des Menschen angesichts sozialer Gegebenheiten, die keine echten Perspektiven eröffnen. Er solle nicht aufs Meer schauen, sagt ein älterer Gauner zu Cesare, sonst komme er noch auf Gedanken; eine Warnung, die ziemlich genau das Klima der Resignation auf den Punkt bringt, in dem Cesare und Vittorio leben: sich bloß keine Hoffnungen auf Veränderungen oder ein besseres Leben machen. Eine kurzzeitige Flucht versprechen allenfalls chemische Substanzen: Cesare mag über die Spritzen der Junkies fluchen, doch er kommt selbst nicht von den Pillen und dem Kokain los, mit dem er und sein Kumpel ihren Lebensunterhalt als Kleindealer bestreiten. Vittorio allerdings begehrt gegen diese fatale Schicksalsergebenheit auf, als er Linda kennenlernt, eine alleinstehende Mutter. Für sie zieht er sich aus der Dealerei zurück und nimmt einen Job auf einer Baustelle an. Gleichzeitig fühlt er sich aber weiterhin seinem Jugendfreund Cesare verpflichtet. Ob er ihm helfen kann, oder ob nicht vielmehr Cesares Einfluss Vittorios Neuanfangs torpediert, bleibt offen, zumal das Leben als Arbeiter alles andere als rosige Aussichten bietet. Obwohl der Film viel im Freien spielt, in den Straßen und an den Stränden von Ostia, spiegelt sich die soziale Enge in der Bildsprache. Besonders eindrücklich in einer der wenigen Rausch-Sequenzen, in der Vittorio kurz vor seiner Läuterung zugedröhnt auf einer an sich leeren Straße einen querstehenden Bus imaginiert, aus dem allerlei seltsame Gestalten dringen, mit einer Meerjungfrau, die mit ihrem Fischschwanz auf dem Asphalt so fehl am Platz und hilflos ist, wie sich Vittorio wohl in seinem ganzen Dasein fühlt. Die Inszenierung versteht es glänzend, solche seltsam poetischen Momente in die realitätsnahe Milieustudie einzubringen. Der Titel „Tu nichts Böses“ taucht im Film als Spruch auf dem Shirt eines Teddybären auf, den Cesare seiner kleinen Nichte schenkt. Das Mädchen, das bei seiner alten Mutter lebt, ist ähnlich wie die junge Stella in „Accattone“ eine Art unschuldiges Opferlamm, an dessen Schicksal sich die Härte des Milieus besonders deutlich zeigt. Die Männer haben etwas mehr Handlungsspielraum, der ihnen allerdings nur ermöglicht, selbst zu Tätern zu werden – die Option, nichts Böses zu tun, scheint nur zu haben zu sein, wenn man bereit ist, ein Leben hart am Existenzminimum zu akzeptieren. Hoffnung blitzt nur in kleinen Gesten der Solidarität auf; insbesondere in Vittorios hartnäckiger Verbundenheit mit Cesare, die zwar keine Wunder wirkt, sich aber doch gegen die umfassende Gleichgültigkeit behauptet.
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