„Meine Tochter ist ein Phantom“, klagt eine Mutter, „ich will sie nur schütteln“. Der Film von Marie-Castille Mention-Schaar beginnt als eine Art Selbsthilfegruppen-Collage. Begleitet vom hochemotionalen Gesten- und Mienenspiel der Anwesenden wirbeln die Begriffe nur so durcheinander: Verrat, Schuld, Rebellion, spirituelle Suche. Zwischen hilflose Deutungsversuche mischen sich Selbstanklagen, vor allem aber herrscht totale Erschütterung darüber, die eigenen Kinder nicht mehr wiederzuerkennen. Was die Kinder phantomhaft macht: Sie haben sich dem radikalen Islam angeschlossen.
„Der Himmel wird warten“ erzählt von zwei Teenagern in Marseille, die sich über Netzkontakte dem IS anschließen – und von der Verzweiflung und Hilflosigkeit ihrer Familien. Mélanie ist ein empfindsames Mädchen, das gefühlvoll Cello spielt und ihren Weltverbesserungsdrang mit eher rührenden Aktionen auslebt; etwa Bleistifte sammeln für Burkina Faso.
Als ihre Oma stirbt und sie in schwere Melancholie verfällt, findet sie im Internet Kontakt zu einem muslimischen Jungen, der sie zu verstehen scheint. Mit nicht allzu subtilen Methoden macht er sie emotional abhängig und dreht sie Schritt für Schritt zur Dschihadistin um.
Sonia wird zu Beginn des Films verhaftet, sie stand in Kontakt mit Islamisten, die in Frankreich einen Anschlag planten. Im Laufe des Films und einer Reihe von Gruppensitzungen findet das Mädchen allmählich zu seiner „ursprünglichen“ Identität zurück.
Dounia Bouzar, die die Leiterin der Gruppe spielt, hat einige Bücher über den radikalen Islam geschrieben, zudem hat sie ein Präventivzentrum gegründet. In dieser Funktion wird sie auch im Film inszeniert. So gibt es von ihr allerhand Erklärungen zu hören: über die Differenz von Islam und Islamismus, Gewissenfreiheit und „Gefangene des Gewissens“, über die Auflösung des Ichs im gleichgeschalteten Kollektiv und so weiter. Was Bouzar doziert, lässt sich dann auch geradezu lehrbuchmäßig in Mélanies schrittweiser Veränderung nachverfolgen: ihre naive Verliebtheit zu einem manipulativen Jungen, der sie mit Propaganda-Material infiltriert, ihre Konvertierung zum Islam, die Ablöse von der Mutter, schließlich der Fanatismus – bis hin zur Abreise nach Syrien.
„Der Himmel wird warten“ ist eine pädagogische Lektion über die Islamisierung von Teenagern, erzählt in zwei gegenläufigen Bewegungen: Gehirnwäsche und Rückgewinnung des Selbst, radikale Islamisierung und Entradikalisierung. Da der Film die Mechanismen dieses diffizilen Prozesses so anschaulich und letztlich überaus einfach erklärt, kann man den Figuren jedoch kaum mit Offenheit begegnen; die Haltung ist eher: Mädchen, wie kannst du nur so doof sein! Für Sonia und Mélanie kommt so eine andere Form der Gefangenschaft hinzu: die im dramaturgischen Korsett eines Films, dessen „Mission“ sich in schlichter Aufklärung erschöpft.