Sechs Lieder der walisischen Musikerin, Sämgerin und Komponistin Cate Le Bon bilden das Gerüst einer ebenso vielstimmigen wie bizarren Liebeserklärung an die Stadt Glasgow. Im Langfilmdebüt des britischen Künstlers Phil Collins werden die Songs von Menschen aus allen Generationen und Schichten interpretiert. Die zwischen Sozialdokumentation, Musical, Animation, Late-Night-Medley und Skurrilitätenkabinett changierende Stadt-Symphonie verwebt unterschiedlichstes Material, wobei die Vielfalt und Fülle die Einheit des Films immer wieder zu sprengen droht. Auch wenn das Mischverhältnis des kaleidoskopartigen Potpourris nicht immer gelingt, vermögen vor allem die Musical-Passagen zu berühren.
- Ab 14.
Tomorrow is always too long
Musikdokumentation | Großbritannien/Deutschland 2014 | 85 Minuten
Regie: Phil Collins
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Filmdaten
- Originaltitel
- TOMORROW IS ALWAYS TOO LONG
- Produktionsland
- Großbritannien/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2014
- Produktionsfirma
- Shady Lane Prod.
- Regie
- Phil Collins
- Buch
- Ewan Morrison · Phil Collins
- Kamera
- Michael McDonough
- Musik
- Cate Le Bon · Barry Burns
- Schnitt
- Cristóvão A. dos Reis · Casey Raymond
- Länge
- 85 Minuten
- Kinostart
- 17.03.2016
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Musikdokumentation
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Ebenso vielstimmige wie bizarre musikalische Liebeserklärung an Glasgow
Diskussion
„Are you with me now?“, singt ein junger Mann mit karottenrotem Haar und starkem schottischen Akzent. Er sitzt in einer engen Gefängniszelle in Glasgow, doch der Song, unterlegt mit den satten Klängen des Royal Scottish National Orchestra, scheint die Mauern vergessen zu machen. Groß und feierlich ist die Welt. Und der Mensch, sei er auch noch so einsam, stellt eine Verbindung zu dieser Welt her, besingt dieses Verhältnis und lädt dazu ein, daran teilzuhaben. Ähnliches passiert mit einem mäuschenhaft aussehenden Mädchen in Schuluniform, das abseits ihrer tanzenden Schulkameradinnen im Sportunterricht etwas verloren auf einer Bank sitzt, einem jungen Elternpaar und einem Senior.
Der britische Künstler Phil Collins, dessen Kurzfilme auf Festivals wie in Rotterdam und Oberhausen Aufsehen erregten, hat für seinen ersten Langfilm ein Jahr lang Menschen aus allen Generationen und Schichten mit der Kamera begleitet: im Schulunterricht, im Gefängnis, im Geburtsvorbereitungskurs, beim Seniorentanzkurs. Neben der Musicalebene treten die Menschen aus Glasgow auch in Fake-TV-Formaten auf: Eine blondbezopfte Fitnesstrainerin animiert in einem quietschrosa-farbenen Trainingsanzug zu gymnastischen Übungen und macht dabei furchtbar schlechte Witze. Ein älterer Herr bewirbt in einer Shopping-Sendung Handtücher. Ein schottischer Elvis-Imitator demonstriert die Zubereitung eines recht ekelig aussehenden Käse-Sandwichs. Oft kippen diese Nummern ins heillos Skurrile, etwa wenn in der Sendung „Search Me“ ein Plastikband beworben wird, das bei Airport-Sicherheitskontrollen zur willkommenen Körperabtastung führt. Oder wenn sich in der Astro-Show „Mind & Sprit“ die Ratgeberin während einer Aura-Session über die Verwerfungen des Social-Media-Zeitalters in Rage redet.
Die von der walisischen Musikerin Cate Le Bon komponierten Lieder sind fraglos das Kernstück des Films, um das herum sich der Rest – Late-Night-Fernsehschnipsel und Scherenschnittanimationen über eine von Drogen und Sex bestimmte Clubnacht – anordnet oder genauer: frei herumschwebt. Die Songs werden von „normalen“ Glasgower Bürgern gesungen, aus ihrem Alltag heraus, der eben sehr normal ist, mitunter grau und an sich wenig beschwingt. Doch gerade die Differenz aus Alltagsbeschränkung und Weltvergrößerung macht die sozialrealistisch grundierten Gesangspassagen so berührend.
Dazwischen fällt der Film in seinem Bemühen, ein möglichst breites und facettenreiches Bild der Stadt Glasgow zu zeigen, aber immer wieder auseinander. Nur allzu offensichtlich sieht man ihm seine Konzeption als Auftragsprojekt an: „Tomorrow Is Always Too Long“ entstand für die Glasgower „The Common Guild“, mit Geldern des Goethe-Instituts. Das Schnipselhafte mag sicherlich intendiert sein, doch auch ein kaleidoskopartiges Potpourri bedarf eines richtigen Mischverhältnisses. Ab und zu würde man den Fernseher gerne ausschalten und dafür lieber länger dem mäuschenhaften Mädchen lauschen.
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