Eine junge Mutter trennt sich vom Vater ihres zweijährigen Sohns, schlägt sich ohne Arbeit oder festes Einkommen durch und macht unterschiedliche Erfahrungen mit Freundinnen, die ihre Hilfe versprochen haben. Mit bewegter Kamera und pointierter Montage zeichnet der Film die Lebensträume junger Menschen in Polen, ihr Bedürfnis nach Freiheit, Unabhängigkeit und einem selbstbestimmten Leben nach, wobei die authentisch und psychologisch präzise gezeichnete, kraftvoll gespielte Titelfigur ebenso fasziniert wie abstößt. Zugleich beschreibt der Film das gesellschaftliche Umfeld, das von Hilflosigkeit, Selbstsucht, Bequemlichkeit und Feigheit geprägt ist.
- Sehenswert ab 16.
Ich heiße Ki
Drama | Polen 2011 | 99 Minuten
Regie: Leszek Dawid
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Filmdaten
- Originaltitel
- KI - NIE POLUBISZ JA
- Produktionsland
- Polen
- Produktionsjahr
- 2011
- Produktionsfirma
- Skorpion Arte/Film Factory/Hydrafilm/Piramida Film/Studio Ufo
- Regie
- Leszek Dawid
- Buch
- Pawel Ferdek · Leszek Dawid · Lukasz Gutt
- Kamera
- Lukasz Gutt
- Musik
- Patrycja Bukowska
- Schnitt
- Jaroslaw Kaminski
- Darsteller
- Roma Gasiorowska (Kinga / "Ki") · Adam Woronowicz (Mikotaj / "Miko") · Kamil Malecki (Piotrus / "Pio") · Krzysztof Ogloza (Antoni / "Anto") · Sylwia Juszczak (Dorota / "Dor")
- Länge
- 99 Minuten
- Kinostart
- 26.11.2015
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Vielschichtiges Porträt einer jungen Mutter
Diskussion
Die erste Szene gibt den Ton des Films vor: Kinga, die von ihren Freunden nur Ki genannt wird, bereitet für sich und ihren zweijährigen Sohn Piotrus das Frühstück zu. Im Abwaschbecken türmt sich Geschirr, überall liegt etwas herum. Die Zeit drängt, aber niemand hilft. Obwohl sie sich einigermaßen routiniert durch das Chaos zu manövrieren vermag, wirkt die junge Mutter gestresst. Ki liebt ihren kleinen Sohn innig, das zeigen die Blicke, die Worte, die Berührungen. Und doch sehnt sie sich auch nach einem anderen Leben; sie will ausgehen, tanzen, flirten. Wenn sie sich mit dem verschlafen in die Küche schlurfenden Kindsvater streitet, ihm Untätigkeit vorwirft, hat sie dazu vielleicht allen Grund, aber zugleich kann sie verletzend und ungerecht sein. Roma Gasiorowska spielt die Ambivalenz ihrer Figur kraftvoll aus und versetzt von Anfang an in ein Wechselbad der Gefühle: Ki, dieses ruppige Mädchen mit der rauen Stimme, zieht an und stößt ab.
Nach „Jestem Bogiem“ (2012), einem Porträtfilm über Aufstieg und Tod eines Hip-Hop-Stars aus Katowice, wendet sich Leszek Dawid in seinem zweiten Spielfilm erneut den Lebensträumen von 20-Jährigen zu, ihrem Bedürfnis nach Freiheit, Unabhängigkeit und einem selbstbestimmten Leben. Authentisch und psychologisch präzise, mit einer bewegten Kamera (Lukasz Gutt), die der Titelfigur unentwegt auf den Fersen ist, wird der Alltag einer unverheirateten, selbst vaterlos aufgewachsenen Mutter skizziert. Dabei geht es der Inszenierung nicht nur um Kis Befindlichkeiten, um ihre Suche nach Erfüllung und Anerkennung, sondern auch um das Verhältnis der Gesellschaft ihr gegenüber. Der Regisseur schaut ganz konkret auf die Menschen in Kis Umgebung, hebt ihre Hilflosigkeit, Ungeschicklichkeit, Bequemlichkeit oder Selbstsucht hervor, ihr Unwissen über die physischen und psychischen Gefährdungen, denen Ki ausgesetzt ist. Da sind die Freundinnen, die versprechen, ihr zu helfen, aber keine Zeit haben, wenn Unterstützung gebraucht wird. Da ist Miko, der Mitbewohner in der neuen Wohngemeinschaft, der ihr und dem Kind zunächst reserviert begegnet, dann aber in schwierigen Situationen unerwartet hilft und sich am Ende doch feige aus dem Staub macht. Etwas klischeehaft und vorhersehbar wirkt die Figur des Direktors für Sozialfürsorge: ein feister, schleimiger Mann, der Ki mit der Einschränkung der Erziehungsrechte und der Einweisung des Kindes in ein Heim droht und sie doch nur in sein Bett haben will.
Um sich ein kleines Honorar zu verdienen, posiert Ki gelegentlich für Aktstudien in der Kunstakademie. Doch sie will mehr. Ihr Ziel ist ein selbst entworfenes experimentelles Kunstprojekt, in dem sie Videoinstallationen zum Thema Liebe und zu ihrer eigenen Lebenssituation zu verdichten sucht. Dafür interviewt sie, mit provokant auf ihre weiße Hose aufgetragener roter Farbe, noch einmal den Taxifahrer, in dessen Auto Piotrus zur Welt kam. Oder sie filmt heimlich den Direktor für Sozialfürsorge, eine Sequenz, für die sie sich sogar von ihm begrapschen lässt.
Ob ihr Traum, Künstlerin zu werden, aufgeht oder nur als naiv belächelt und von anderen, der skeptischen Galeristin etwa, für eigene Zwecke benutzt wird, bleibt offen. Leszek Dawid lässt sich weder auf ein Resümee noch auf ein schnelles Urteil ein; er begleitet Ki ein Stück ihres Wegs und verabschiedet sich von ihr so, wie er sie in den Film einführte: in einem weiteren Moment der Unsicherheit und des Umbruchs. Und dennoch überwiegt das Prinzip Hoffnung: Ki, so vermitteln der Film und seine physisch ungemein präsente Hauptdarstellerin, wird ihren Weg gehen, so oder so. Sie behält ihren Kopf oben, sie beißt sich durch, auch wenn das eine Kraft kostet, deren Reservoir nicht unerschöpflich ist.
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