„Seit ihrem ersten Tag hat sie Türen eingetreten“, heißt es über die FBI-Agentin Kate Macer, die an der Grenze zu Mexiko die Verstecke der Drogenmafia aushebt, Razzien durchführt, zu spät kommt, um die dicken Fische zu schnappen. Nicht zuletzt darum geht es in der zweiten US-amerikanischen Produktion des kanadischen Regisseurs Denis Villeneuve: sich die Hände schmutzig zu machen oder die Füße oder die Seele im Drogenkrieg. Und wie das im Krieg so zu sein scheint, fließt die Propaganda des Begriffs mit seinem Inhalt in eins, bis niemand mehr so recht weiß, ob der Krieg den Rechtsstaat aushebeln durfte, weil das im Krieg nun mal der Fall ist, oder ob er überhaupt nur so genannt wurde, um die eigenen Methoden so drastisch wie möglich ausgestalten zu können.
Die Gegenseite, das zeigt die erste Runde des Türeneintretens mit Kate Macer, besteht aus jener Sorte von Menschen, die ihre Mordopfer in Folie einwickeln, zu Dutzenden zwischen den Hauswänden verstecken und die Räume drumherum von Handlangern bewohnen lassen. Südlich der US-amerikanischen Grenze wird Macer bald halbierte Körper von einer Straßenbrücke hängen sehen. Doch diese so archaische, maximal konfrontativ ausgestellte Gewalt lassen Villeneuve und sein Drehbuchautor Taylor Sheridan auf die mysteriöse, teils abstrakte, in jedem Falle aber scheinlegitimierte Gewalt der amerikanischen Regierung prallen. Es dauert lange, bis Macer weiß oder zu wissen glaubt, wer dieser Matt Graver ist, der sie bei einem Meeting mit dem Versprechen vom FBI abgeworben hat, dass sie in seinem Trupp endlich mal an die dicken Fische herankommen könne. Immer mit dabei, im Anzug und mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck, ist der schweigsame Alejandro, der früher mal in die Geschäfte eines Kartells in Kolumbien verstrickt gewesen ist. Ein Berater. Einer, der weiß, was zu tun ist.
Für Kate Macer und ihren FBI-Kollegen Reggie Wayne, der ebenfalls neu zu dieser Eingreiftruppe gestoßen ist, gilt das ganz und gar nicht. Die Desorientierung, sei sie moralischer oder kognitiver Art, prägt die aktuellen Arbeiten von Denis Villeneuve wesentlich: In „Prisoners“ (
(fd 41 958), 2013) vergisst sich ein Vater auf einem Rachefeldzug beinahe selbst; im ungleich verrätselteren „Enemy“ (
(fd 42 386), 2013) sucht ein College-Professor ein neues Leben im Leben seines Doppelgängers. In „Sicario“ scheint sich sogar die Natur gegen die Protagonisten verschworen zu haben. In riesigen Panorama-Totalen voller Kargheit spürt man die Hitze flirren, in einem Tunnelsystem unter dieser Steppe sorgen die körnigen Bilder des Nachtsichtgeräts so wenig für Übersicht wie die satten, weichen Flächen der Wärmebildkamera. Und an Alejandro, diesem stoischen Monolithen, muss ohnehin jeder Blick brechen. Benicio Del Toro spielt ihn mit präziser Langsamkeit, mit einer sagenhaft bedrohlichen Ruhe.
Mit wem haben sich Macer und Wayne also eingelassen? Beim ersten gemeinsamen Einsatz, einem Gefangenentransfer von Mexiko in die USA, zögern die neuen Kampfgenossen auffallend kurz, bevor sie umso gründlicher mit dem Schießen beginnen. Zuvor aber hat die Kamera von Roger Deakins jedes Auto in dem Stau, in dem der Konvoi kurz hinter der Grenze steckenbleibt, mit paranoider Genauigkeit abgefahren, wobei er auf einem Wagen mit jungen Männern auffällig verharrt, die südländisch aussehen und vermutlich tätowiert sind. So wie die Erzählung diesem „racial profiling“ gleichzeitig Recht gibt und es zu verabscheuen scheint, so liegen auch die Zupackenden, die, die sich die Hände schmutzig machen und vorgeblich wissen, was zu tun ist, richtig und zugleich vollkommen falsch. Ein vertrackter Thriller über einen vertrackten Konflikt, in dem die, die vom Film zu Gegnern erklärt werden, nicht viel mehr Suspense betreiben als die Mitstreiter oder die üblen Ahnungen dessen, wozu diese in der Lage sein könnten.