Wer darauf gespannt ist, wie eine filmische Mischung aus David Lynch, Stanley Kubrick und David Cronenberg aussehen könnte, dem sei „Enemy“ empfohlen, der jüngste Film des kanadischen Regisseurs Denis Villeneuve. Es ist eine faszinierende Doppelgänger-Geschichte, die das mit Erinnerungen an Edgar Allan Poe und Sigmund Freud besetzte Sujet auf geheimnisvolle und zumindest beim ersten Sehen verwirrende Weise variiert.
Der Handlung ist das Motto „Chaos is order yet undeciphered“ (Chaos ist Ordnung, nur noch nicht entschlüsselt) vorangestellt. Der Zuschauer fühlt sich von der ersten Szene an in ein wirres Durcheinander von Verwicklungen und Doppeldeutigkeiten hineingeworfen. In einem Nachtclub, der aus „Eyes Wide Shut“
(fd 33 836) entliehen sein könnte, wird unter anderem zelebriert, wie eine der Frauen ihren Fuß auf eine lebende Tarantel setzt. Spinnen und an Spinnen erinnernde Symbole begleiten die Geschichte eines unsicheren und mit seiner Existenz unzufriedenen Universitätsdozenten namens Adam auf Schritt und Tritt.
Der Film spielt in Toronto, doch die Stadt ist in den matten, albtraumhaft bedrückenden Bildern uniformer Hochhausfasaden kaum wiederzuerkennen. Das Leben wirkt in seiner Uniformität wie der automatisierte Entwurf für einen Science-Fiction-Film. Ebenso automatisch läuft Adams Dasein zwischen Geschichtsvorlesungen und gelegentlichen Besuchen seiner Freundin ab. Bis er eines Nachts in einem entliehenen Video auf einen drittklassigen Darsteller stößt, der ihm aufs Haar ähnlich sieht. Er macht sich auf die Suche nach dem Doppelgänger, und schon nach einem ersten Treffen in einem Motel am Rande der Stadt wird die Suche zur Obsession. Adams Existenz verschachtelt sich bis zur Unentwirrbarkeit mit der seines Abbilds, während eine Vielzahl von Anspielungen und Hinweiszeichen darauf hindeuten, dass die vermeintliche Realität nichts anderes als eine dissoziative Störung sein könnte.
Villeneuve vermag das Spiel mit gespaltenen Persönlichkeiten und angedeuteten Metamorphosen vor allem deshalb so spannungsreich zu gestalten, weil er sich mit Jake Gyllenhaal auf einen Schauspieler verlassen kann, dessen Darstellung beider Figuren von minimalen physiognomischen Veränderungen getragen wird. Eine ausgeklügelte Schnitttechnik und eine punktuell die Gefühle der Zuschauer manipulierende Filmmusik fördern den irritierenden Zusammenklang der sich allmählich verdichtenden Horrorelemente und intrikaten erotischen Verflechtungen.
Vor dem Hintergrund der manchmal bis zur Abstraktion getriebenen Darstellung und der eiskalten Fotografie gewinnt der Film einen individuellen Stil, der die Neugier auf den Fortgang der Story auch dann noch befördert, wenn die Erzählung selbst gelegentlich konventionelle Züge annimmt. Vor allem weiß Villeneuve genau, wann es an der Zeit ist, das Spinnen-Motiv beim Zuschauer wieder in Erinnerung zu bringen – bis zur letzten Einstellung seines dann nicht mehr ganz so rätselhaften Films.