Ein Jugendlicher hält sich mit ausgestrecktem Arm ein Gewehr an den Kopf. Fast scheint es, als würde er spielen. Aber dann setzt er per Telefon seine eigene Todesanzeige in die Lokalzeitung und schießt sich in den Kopf. Mike überlebt. Das Gewehr des verschwundenen Vaters war nur mit Platzpatronen geladen. Schon kurz nachdem er im Krankenhaus wieder aufwacht, wird er von seiner energischen und zielbewussten Mutter zurück in die Schule geschickt. Dort wird der Junge, der wie der Star-Boxer Mike Tyson heißt, jedoch selbst kein bisschen sportlich ist, von den älteren, den gleichaltrigen und den jüngeren Mitschülern gleichermaßen geärgert und drangsaliert. Zuhause dominiert seine Mutter Cynthia sein Leben, seinen Vater hat er nie kennengelernt.
Mike will sterben, obwohl er noch gar nicht richtig gelebt hat. Aber nach dem gescheiterten Selbstmordversuch ändert sich sein verhasstes Leben: Durch die falsche Todesanzeige alarmiert, steht zum einen plötzlich sein Vater vor der Haustür und möchte Kontakt zu ihm aufbauen. Zum anderen zwingt ihn das Jugendamt in eine Art Therapie, um Lebensfreude zu gewinnen. Mike lernt die attraktive Tanztherapeutin Miranda kennen, durch die sich ihm ein Kosmos ganz neuer Gefühle eröffnet. Überdies erhält seine Todessehnsucht Auftrieb, als ihm ein Tumor im Gehirn diagnostiziert wird. Zwar könnte er durch eine Operation geheilt werden, aber Mike verheimlicht den Befund, schaut sich im Bestattungsunternehmen Särge an und beginnt, sich aus gestohlenen Brettern einen Sarg zu zimmern.
„Coconut Hero“ ist ein Film über das Erwachsenwerden in einer manisch langweiligen kanadischen Kleinstadt. Es geht um ernste, sehr ernste Themen: um das Sterben, um Trennungen, um die Unfähigkeit, das Leben zu genießen. Florian Cossen und seiner Drehbuchautorin Elena von Saucken ist eine ganz wunderbare Mischung aus existenzieller Tiefe und Heiterkeit gelungen, mit einer erfrischenden Prise Absurdität und schwarzem Humor. Die Dialoge sind hervorragend, und immer wieder bietet die Handlung überraschende Wendungen – die Mike schließlich dazu bringen, sich zu entscheiden. Die Landschaft wird selbst zum Protagonisten, die kleine Holzfällerstadt, aus der gradlinige Straßen hunderte von Kilometern durch den dichten Wald führen, bevor sich etwas ändert. Die Kamera hat diese in atmosphärischen Spätsommer- und Frühherbstbildern eingefangen, aber auch die Poesie des Absurden, wenn Mike nach der Tumordiagnose fröhlich und ausgelassen mit dem Fahrrad durch die Stadt fährt, begleitet von Rossini-Musik.
Auch das Schauspieler-Ensemble überzeugt: Alex Ozerov verkörpert hervorragend den melancholischen Selbstmörder, der durch seinen besonderen Humor beeindruckt, Sebastian Schipper als wortkarger Vater, der zu seinem eigenen Scheitern steht, Krista Bridges als Mutter, die ihr Leben mit einem Energie- und Aktivitätsteppich zudeckt, um sich selbst keine unangenehmen Fragen stellen zu müssen, schließlich Bea Santos als Tänzerin, die pure Lebenslust verkörpert. Liebevoll konstruiert sind auch die Nebenfiguren: der Priester, der Arzt, die Nachbarn und die Mitschüler.
„Coconut Hero“ ist ein Film über das Leben und den Tod, bei dem selbst eine Beerdigung in warmem Sommerlicht liegt. Ein Film über die pubertäre Idee des Sterbens, das unerbittliche Rad des Lebens, der aber auch vermittelt, dass man das Leben nur wirklich lieben und wertschätzen kann, wenn man das Sterben akzeptiert. Dabei moralisiert er „Coconut Hero“ nicht und beantwortet keine existenziellen Fragen. Am Ende muss der Zuschauer entscheiden, was für ihn Gültigkeit hat: das auf einem Grabstein eingemeißelte strenge „dead is dead“ (tot ist tot) oder das leichte, flüchtige „Hello“, das die Wolken am Himmel bilden.