Eine so genannte Surrogatpartnerin behandelt in New York Männer, die sich vor Intimität, Berührungen oder nackter Haut fürchten. Als sie es mit einem besonders widerspenstigen Patienten zu tun bekommt, entgleitet ihr die Kontrolle, und sie verliebt sich in ihn. Der stilistisch souverän komponierte Debütfilm wirft einen interessierten Blick auf ein noch wenig bekanntes Phänomen im Unschärfebereich zwischen professioneller und privater Intimität. Am dramaturgisch zentralen Punkt, dem Kontrollverlust über die eigenen Emotionen, weicht die Inszenierung allerdings auf Nebenschauplätze aus und diskreditiert die Hauptfigur als sozial vereinsamte Frau, die mit ihrer eigenen Beziehungslosigkeit nicht klarkommt. (O.m.d.U.)
- Ab 16.
She's Lost Control
Drama | USA/Deutschland 2014 | 90 Minuten
Regie: Anja Marquardt
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Filmdaten
- Originaltitel
- SHE'S LOST CONTROL
- Produktionsland
- USA/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2014
- Produktionsfirma
- SLC Film/Rotor Film
- Regie
- Anja Marquardt
- Buch
- Anja Marquardt
- Kamera
- Zachary Galler
- Musik
- Simon Taufique
- Schnitt
- Nick Carew
- Darsteller
- Brooke Bloom (Ronah) · Marc Menchaca (Johnny) · Dennis Boutsikaris (Dr. Alan Cassidy) · Laila Robins (Irene) · Tobias Segal (Christopher)
- Länge
- 90 Minuten
- Kinostart
- 14.05.2015
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Stilistisch souveräner Debütfilm über eine "Surrogatpartnerin" mit inhaltlichen Fragwürdigkeiten
Diskussion
Ronah trifft sich mit Männern zum Reden, zu Körperkontakt- und Blickaustausch-Übungen, zum Sex. Ihre Kunden – oder besser: Patienten –, von einem Psychotherapeuten überwiesen, leiden alle auf unterschiedliche Weise an körperlichen und sexuellen Hemmungen, sie flüchten vor Berührungen, haben Angst vor nackter Haut und Intimität. Ronah ist eine Sexualbegleiterin. Als so genannte Surrogatpartnerin ersetzt sie temporär den so gefürchteten Sexualpartner.
Das Schwammige, Unkonturierte und daher Beunruhigende, das in dieser in den 1970er-Jahren von den Sexualforschern Masters und Johnson eingeführten und nach wie vor umstrittenen Methode liegt, wird dabei in eine um Ordnung bemühte Form eingefasst. Ronahs Rhetorik ist von Begriffen wie Sicherheit und Professionalität durchwirkt, und wenn sie ihre Patienten voller Empathie anlächelt, ist das so wenig aufreizend wie ihre etwas altbackene Garderobe aus Bluse und Cardigan. Auch der Auftakt zu den „Behandlungen“ ist um größtmögliche Abgrenzung zur Prostitution bemüht: In einem Vertrag wird schriftlich festgehalten, dass das Treffen nicht der sexuellen Befriedigung dient, auch eine Speichelprobe gehört zum administrativen Teil. Ein Glas Whiskey zur Auflockerung wird dennoch geduldet, wenn auch nicht gerne gesehen.
Die in Berlin geborene Regisseurin Anja Marquardt wirft in ihrem ersten, in ihrer Wahlstadt New York gedrehten Spielfilm einen klinischen Blick auf ein ungewöhnliches Thema, lädt ihn aber immer mit Momenten des Unheimlichen auf: enge Häuserschluchten, dunkle Flure, versperrte Durchblicke und eine Atmosphäre von Unbehaustheit und Klaustrophobie prägen das Bild. Jenseits „regulärer“ Sexarbeit geht es um den Unschärfebereich zwischen professioneller und privater Intimität, zwischen therapeutischer Sexualassistenz und „echtem“ Sex.
Der erste und überzeugendste Teil des Films widmet sich ausgiebig dem merkwürdigen, mitunter auch leicht unangenehm anzusehenden surrogattherapeutischen Prozedere: Man sieht Ronah, wie sie liebevoll einen Patienten zu überreden versucht, sein T-Shirt auszuziehen, mit einem andern bezieht sie gemeinsam ein Bett, auf dem sie anschließend miteinander schlafen. Bei Johnny aber, einem neuen Patienten, hat Ronah es mit einem harten Brocken zu tun. Johnny ist misstrauisch, bissig bis feindselig, er flüchtet vorzeitig aus dem Zimmer oder taucht zu spät auf; dann wieder überrascht er durch charmante Anwandlungen und plötzliches Zutrauen.
Wie im Titel angedeutet, entgleitet Ronah zunehmend die Kontrolle; Gefühle entstehen, die nicht vorgesehen sind – oder die zumindest als Effekte einer Gegenübertragung danach verlangen, erkannt und ausgebremst zu werden. Der Souveränitätsverfall der Therapeutin manifestiert sich aber auch an scheinbaren Nebenschauplätzen: Ein Wasserschaden in ihrer Wohnung stört das häusliche Leben, Ronahs Bruder meldet sich mit der Nachricht, die Mutter sei verschwunden, wiederholt gibt es anonyme Anrufe. So atmosphärisch intensivierend diese Verstörungen auch sind, so sehr wirken sie doch auch symbolisch überfrachtet.
Marquardt hat einen interessanten Film gemacht, atmosphärisch dicht und stilistisch souverän komponiert. Doch vor allem in Bezug auf die Konstruktion der Hauptfigur - ihr als professionelles „Versagen“ angelasteter Kontrollverlust - ist „She’s Lost Control“ ziemlich ärgerlich. Schließlich wird Ronah als sozial vereinsamte und beziehungslose Frau gezeichnet, die abends alleine vor ihrem Essen sitzt, einen fremden Hund knuddelt und sich ihre Eizellen einfrieren lässt, um später vielleicht Kinder bekommen zu können. Was als Zeichen von Unabhängigkeit gelten könnte, wird bei Marquardt zum Defizit, zum Mangel. Am Ende ist Ronah die eigentliche Patientin des Films.
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