Zum Job eines ordentlichen Privatdetektivs gehört es, sich gelegentlich in dunklen Gassen mit dubiosen Gestalten zu treffen. So viel ist selbst Larry „Doc“ Sportello bewusst, der im Jahr 1970 in Los Angeles als Schnüffler arbeitet, obwohl er im Grunde viel lieber als Hippie am Strand leben würde: sorglos und ohne viel mehr als Luft, Liebe und – vor allem – immer genug Drogen. Zumindest darauf verzichtet er bei seiner Detektivarbeit niemals, auch wenn die Dauerdröhnung sein Warnsystem vor Gefahren nahezu komplett ausschaltet und ihm häufige Wahrnehmungslücken beschert.
Der dichte Nebel, den Paul Thomas Anderson in dieser Szene von „Inherent Vice – Natürliche Mängel“ wabern lässt, mag daher auch ein Abbild von Docs nebelverhangenem Geist sein – in jedem Fall fügt er sich perfekt in ein stilvolles Film Noir-Zitat ein: Eine mysteriöse Asiatin hat den Detektiv hinter einen zwielichtigen Club geführt und das Feld dann einem Unbekannten überlassen. Der stellt sich als genau jener Mann heraus, den Doc finden soll, ein Ex-Saxophonspieler und Ex-Junkie. Doch wie jedes andere Mal, wenn in diesem Film ein Rätsel gelöst wird, taucht sofort ein größeres auf: Hat der Verschwundene seinen Tod vorgetäuscht, um gegen die Kriegspolitik der Regierung zu kämpfen, oder will er nur genau diesen Eindruck erwecken und ist in Wahrheit ein FBI-Spitzel? Und was genau ist seine Rolle in der gewaltigen Verschwörung, die Doc dunkel ahnt, aber selbst bei klarerem Verstand kaum je begreifen könnte?
„Ich weiß nicht, was ich gerade gesehen habe“, lautet das Fazit des Detektivs nach dieser Szene, und als Zuschauer ist man ihm nur um so viel voraus, dass man sich sagen kann, dass es darauf in einer Adaption eines Thomas-Pynchon-Romans auch gar nicht ankommt. Getreu der Vorlage ist Andersons Film eine verspielte Mischung unterschiedlichster Stilformen und Ausdrucksmittel, die sich zu einer höchst unterhaltsamen, aber auch reichlich irrwitzigen Noir-Variante verbinden, die Dashiell Hammett ähnlich viel verdankt wie den Kiffer-Komödien von Cheech & Chong. Wie schon in „Boogie Nights“
(fd 33 156) hat Anderson die 1970er-Jahre als schillernde Epoche rekonstruiert, deren zeitgeschichtliche Gegebenheiten von der Hippie-Kultur über den Vietnamkrieg bis zum Kommunistenhass allerdings nur durch die verzerrte Wahrnehmung seiner Hauptfigur vorgeführt werden. Joaquin Phoenix’ Doc Sportello wirkt mit zerzaustem Lockenhaar, riesigen Koteletten, Strohhut und Sandalen, als habe man ihm im Drogenrausch eine Detektiv-Lizenz aufs Auge gedrückt, aus der er nun das Beste zu machen versucht.
Docs Ansätze von Professionalität bleiben jedoch spärlich im Vergleich zu den zahllosen Momenten, in denen Phoenix mit einem wunderbaren Ausdruck des Nichtbegreifens um sich blickt. Was nur allzu verständlich ist: Die Bitte einer früheren Freundin, ihren reichen Liebhaber zu beschützen, mündet in einen wahrhaft labyrinthischen Fall, bei dem sowohl die Ex als auch ihr reicher Freund von der Bildfläche verschwinden, dessen Leibwächter ermordet wird und irgendwie auch abgehalfterte Filmstars, ausgerissene Bürgerstöchter, Baseballschläger schwingende Profikiller, paramilitärische Nazis und drogenabhängige Zahnärzte mit drinhängen.
Das Verhalten der offiziellen Gesetzesvertreter befeuert Docs Paranoia zusätzlich: Eine befreundete Staatsanwältin – gespielt von Reese Witherspoon als köstlich verbissene Jane-Fonda-Doppelgängerin – entzieht sich ihm, und dem FBI sind die Verschwundenen völlig egal, während ihn sein alter Widersacher „Bigfoot“ Bjornsen vom LAPD zum Mordverdächtigen erklärt.
An diesem von Josh Brolin mit großartiger Bärbeißigkeit dargestellten Bullen, der Doc zu seinem Vergnügen nach Feierabend am Telefon als „Hippie“ beschimpft und ihm regelmäßig die Tür eintritt, zeigt sich am deutlichsten, dass Anderson die Welt von „Inherent Vice“ mit fleischgewordenen Comic-Figuren bevölkert hat. Entsprechend deftig und absurd sind die zahlreichen visuellen und verbalen Gags, mit denen der Regisseur in Erinnerung ruft, dass bereits „Boogie Nights“ eine ähnlich abstruse – und ähnlich komische – Drogenszene beinhaltete und dass er bei „Punch-Drunk Love“
(fd 35 888) als erster Filmemacher die Brachialkomik von Adam Sandler für ein anspruchsvolles Szenario zunutze machte. Dementsprechend wird Docs Geschichte auch nicht von einer lakonischen „Hardboiled“-Männerstimme erzählt, sondern mit dem schrillen Organ seiner Hippie-Freundin Sortilège; die Möglichkeit, dass all der Irrsinn in „Inherent Vice“ nur eine weitere Drogenhalluzination sein könnte, wird dadurch noch wahrscheinlicher. Was letztlich aber keine große Rolle spielt, denn Andersons Film-Noir-Parodie ist vor allem eins: ein Riesenspaß.