Ein Genie von Format hat kein Taktgefühl, ist egozentrisch, sprunghaft, und es setzt – vor allem – grenzenloses Vertrauen in die eigenen geistigen Fähigkeiten. In dieser Tradition von Leinwand-Genies präsentiert sich auch Alan Turing, der britische Mathematiker und Wegbereiter bei der Erfindung des Computers, im Biopic „The Imitation Game“: Er melde sich nicht, um Großbritannien im Zweiten Weltkrieg vor dem Feind zu beschützen, erklärt der 27-Jährige, als er 1939 in Bletchley Park vorstellig wird. In der geheimen Anlage sollen die Codes geknackt werden, mit denen der Militärapparat der Nazis operiert und die zum großen Teil von der als unentschlüsselbar geltenden Enigma-Maschine produziert werden – die einzige Aufgabe, die Turing für eine seinem Verstand entsprechende Herausforderung hält. Dass er sich mit seiner Arroganz unter den anderen Kryptographen und bei seinen Vorgesetzten sofort Feinde macht, stört ihn nicht, betrachtet er diese doch ohnehin nur als Ballast bei seiner Mission. Er vertraut allein seiner Idee einer selbständig operierenden Maschine, die ihm helfen soll, die richtige Formel zu finden. Wesentlich leichter zu entschlüsseln als die Enigma-Codes sind die Formeln, nach denen „The Imitation Game“ funktioniert. Der amerikanische Drehbuchautor Graham Moore und der norwegische Regisseur Morten Tyldum haben den Film nach klassischen Biopic-Regeln angelegt und sich die historischen Fakten dementsprechend zurechtarrangiert. Der Held muss sich mit ignoranten Gegenspielern herumschlagen, die ihm Steine in den Weg legen, weil sie Turings Maschine für eine Spinnerei halten. Das Drehbuch hat dafür eine Reihe von Konfrontationsszenen erfunden, die dank guter Dialoge recht effektiv ausfallen, auch wenn sie ein wenig überdeutlich um Sympathie für den Außenseiter buhlen. Dieser erscheint ich-fixiert, herablassend und ohne Sinn für Humor – der Urvater aller Nerds. Seine Besetzung mit Benedict Cumberbatch lag nach dessen Nerd-Rolle als „Sherlock“ auf der Hand; Cumberbatch bietet allerdings nicht einfach eine Wiederholung seiner populären Rolle, sondern legt Turing als verwundbaren, im Grunde zutiefst verunsicherten Menschen an. Sicher fühlt der sich nur bei seinen Berechnungen; sein scheinbares Unberührtsein ist nur Fassade, wie die wenigen, unerwarteten und darum umso berührenderen emotionalen Ausbrüche zeigen. Auch erlebt Turing allmählich eine Erziehung zum Menschen und muss einsehen, dass er seine Aufgabe nur lösen kann, wenn er seine Kollegen mit einbezieht. Die schauspielerische Klasse von Cumberbatch sowie die soliden Leistungen der anderen Darsteller sind die Trümpfe eines Films, dessen Inszenierung wenig eigenständige Akzente setzt. Regisseur Tyldum orientiert sich stattdessen stark an jüngeren britischen Kinoerfolgen, insbesondere an „The King’s Speech“ (in der Konzentration auf Darsteller und Dialoge, (fd 40 315)) und „Dame, König, As, Spion“ (in einem Nebenplot um einen russischen Spion in Turings Team, (fd 40 886)), ohne die individuelle Meisterschaft dieser beiden Filme zu erreichen. Am besten funktioniert „The Imitation Game“, wo er Turings Charakter mit der spannend erzählten Geschichte der Enigma-Entschlüsselung verknüpft, die nach Ansicht mancher Historiker den Zweiten Weltkrieg um mindestens zwei Jahre verkürzte. Nur ist das eben nicht alles, was zu Alan Turings Leben dazugehört. Dass er 1951 ins Visier der Justiz geriet, weil er homosexuell war und damit nach damaliger britischer Rechtsauffassung ein Straftäter, dass er sich einer „Behandlung“ unterziehen musste, um eine Haftstrafe zu vermeiden, und 1954 – möglicherweise in selbstmörderischer Absicht – an einer Cyanid-Vergiftung starb, stellt die Rahmenerzählung des Films dar, hinzu kommen Rückblicke auf Turings Schulzeit und seine Schwärmerei für einen älteren Jungen. Trotz dieser beiden zusätzlichen Ebenen hat der Film aber letztlich ein schiefes Verhältnis zur sexuellen Ausrichtung seines Helden: Turing ist nie im zärtlichen Kontakt mit einem anderen Mann zu sehen; in den Sequenzen während der Kriegsjahre bleibt seine Homosexualität abstrakt und wird von der ausführlich thematisierten Freundschaft mit dem einzigen weiblichen Mitglied seines Teams überlagert. So richtig verbinden wollen sich Kriegsheldendasein und unglückliches Privatleben nicht, was in der Summe dazu führt, dass die Gleichung „Spannende Geschichtsstunde + Bewegtes Schicksal mit traurigem Ende = Großes Kino“ nicht ganz so glatt aufgeht, wie es die Macher des Films wohl beabsichtigt haben.