Die Entdeckung der Unendlichkeit

Biopic | Großbritannien 2014 | 123 Minuten

Regie: James Marsh

Verfilmung der Biografie von Jane Hawking, der Ex-Ehefrau des britischen Physikers Stephen Hawking, über das Leben mit dem trotz seiner degenerativen Nervenerkrankung zum weltbekannten Raum-Zeit-Theoretiker avancierten Wissenschaftler. Berührend, ohne sentimental Hawkings sich verschlechternden Gesundheitszustand auszubeuten, entfaltet sich die sehr versöhnliche Sichtweise der Frau, die ihrem Mann seine steile Karriere ermöglichte. Der Versuch, die eingeschränkte Artikulationsfähigkeit des Erkrankten durch eine spannende Inszenierung seines beweglichen Innenlebens auszugleichen, durchbricht die ansonsten eher klassische Erzählhaltung. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE THEORY OF EVERYTHING
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Working Title Films
Regie
James Marsh
Buch
Anthony McCarten
Kamera
Benoît Delhomme
Musik
Jóhann Jóhannsson
Schnitt
Jinx Godfrey
Darsteller
Eddie Redmayne (Stephen Hawking) · Felicity Jones (Jane Hawking) · Maxine Peake (Elaine Mason) · Charlie Cox (Jonathan Jones) · Emily Watson (Beryl Wilde)
Länge
123 Minuten
Kinostart
25.12.2014
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Biopic | Drama
Externe Links
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Diskussion
Der größte Feind des Genies ist nicht selten sein Körper. Beethoven verlor das Gehör, Frida Kahlo kämpfte zeitlebens gegen Schmerzen, Gustave Flaubert und Leonardo da Vinci waren Epileptiker. Der Verlust erscheint umso tragischer, je größer die Verdienste für die Menschheit sind. Der Physiker Stephen Hawking, der an Amyotropher Lateralsklerose leidet, hat sich in einem Interview selbst einmal als „Archetyp des behinderten Genies“ beschrieben. Tatsächlich dürfte die ALS wohl eine der schlimmsten „lock in“-Erfahrungen sein, die ein Mensch im eigenen Körper erfahren kann. Während die für den Bewegungsapparat zuständigen Nervenzellen degenerieren und Hawkings Körper lähmen, rast sein Geist in Höchstgeschwindigkeit durch Raum und Zeit. Mit der Bewegung seiner Finger, später der seiner Augen diktiert Hawkings dem Computer Bestseller wie „Eine kurze Geschichte der Zeit“. Auf der Beliebtheitsskala steht Hawking ohnehin mit „augenzwinkernden“ Auftritten in „Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrhundert“ oder als Voice-Over in „Die Simpsons“ ganz oben. Für die ALS-Spendenaktion der Ice Bucket Challenge ließ er diesen Sommer seine Kinder mit Eiswasser übergießen. Da war das Buch seiner Ex-Frau Jane bereits zweimal erschienen: Erstmals neun Jahre nach der Scheidung im Jahr 1999, und dann nochmals neun Jahre später, umgeschrieben unter dem Titel „Travelling to Infinity: My Life with Stephen“. Ähnlich versöhnlich in der Schilderung einer Ehe voller Liebe und Leid ist auch die Verfilmung von James Marsh, die mit der verschwommenen Erinnerung an einen Karriere-Höhepunkt beginnt, obwohl der Empfang durch Queen Elizabeth für den König der Physik vielleicht gar nicht zu den Höhepunkten zählt. Und so steigt der Film eigentlich erst 1963 mit der gemeinsamen Cambridge-Studienzeit von Stephen und Jane ein, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Sie singt im Kirchenchor, er liebt Wagner, sie ist eine gläubige Studentin alter Sprachen, er Student der Kosmologie, der Religion für intelligente Atheisten, grinst Stephen einmal. Zu diesem Zeitpunkt geht es ihm noch gut, das Stolpern oder ein paar Ungeschicklichkeiten werden erst später als Motoneuron-Erkrankung diagnostiziert. Mit einer Lebenserwartung von zwei Jahren. Kurz vor dem geistigen Durchbruch steht der körperliche Einbruch. Jane und Stephen heiraten dennoch, bekommen das erste ihrer insgesamt drei Kinder und freuen sich über die Anerkennung, die der promovierte Stephen zunehmend erfährt. Die Zeit wird Stephens großes Thema, obwohl er selbst keine mehr zu haben scheint. Er wird immer immobiler und verliert nach einem Luftröhrenschnitt die Möglichkeit zur Artikulation. Die Pflege und Verantwortung ist für Jane kaum noch zu tragen, als zwei Menschen die familiäre Situation stabilisieren und zugleich in Frage stellen: Janes hilfsbereiter Chorleiter Jonathan und Stephens neue Übersetzerin Elaine. Die Inszenierung eines Genies, das nerdiger als die anderen Nerds ist, kein Thema für seine Doktorarbeit, aber die Frau seines Lebens findet, ist „A Beautiful Mind“ (fd 35 304) von Ron Howard anfangs nicht unähnlich. Im Gegensatz zu dem dort porträtierten, an paranoider Schizophrenie erkrankten Mathematikers John Forbes Nash verfügt Hawking aber über die Begabung, Wissenschaft verständlich zu vermitteln. Dass er dabei brennende Fragen nach Gott, dem Ursprung allen Seins und der Zeit nie aus den Augen verlor, könnte der Grund für seine Beliebtheit sein. Und auch dafür, dass Marshs Film berührt, ohne die Tragik des körperlichen Niedergangs bei vollkommener geistiger Gegenwart zu instrumentalisieren. Lieber konzentriert sich der Film auf die schwierige Rolle, die Jane als Ehefrau, Mutter und Pflegerin abverlangt wird. Die kathartischen Momente gehören allerdings Hawking und seinem kongenialen Darsteller Eddie Redmayne; Momente, in denen Bewunderung für ein Leben und ein Werk gezollt wird, die sich eigentlich gegenseitig ausschließen. Die Wahrscheinlichkeit für Glück, so sagt Hawking einmal, gleiche einer Zahl gegen Null. Sein Leben aber scheint glücklich zu sein, zumindest schildert das Biopic auf den Spuren von Jane Hawking dies so. Da der Physiker als Filmfigur kaum noch Gefühlsregungen zeigen kann, übernehmen die Bilder diese Funktion, obwohl sie nie wie in „Schmetterling und Taucherglocke“ (fd 38 648) die Perspektive des Eingeschlossenen nachzuahmen versuchen: seine Pupille wandelt sich zur Supernova, in einer Vision kann er einfach aufstehen, plötzlich spult der Film zurück, bis zu dem Moment, wo sich Stephen mit Jane noch im Kreis drehen konnte. Der gemeinsam beschrittene Zirkel wird sich in zwei parallel nebeneinander herlaufende Linien aufspalten. Was dazwischen liegt, ist das Chaos des Lebens, das sich auch auf die Alterserwartung auswirken kann: Anfang 2015 wird Stephen Hawking 73 Jahre alt.
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