Nach einem Schlaganfall erwacht der Chefredakteur einer französischen Zeitschrift gelähmt in einem Krankenhaus. Nur sein Verstand ist noch intakt. Nach anfänglicher Verzweiflung nimmt er die Herausforderung seiner Erkrankung an und berichtet mit Hilfe eines binären Systems aus der Welt, in der er jetzt lebt. Der zu Beginn strenge, konsequente, in der Hauptrolle vorzüglich gespielte Experimentalfilm nach wahren Begebenheiten entwickelt eine große Leichtigkeit, wobei er über den Einzelfall hinaus Grundfragen der menschlichen Existenz thematisiert. Dabei stimmt er das Hohelied der Kreativität und Kunst an und lässt nie Sentimentalität aufkommen. (Kinotipp der katholischen Filmkritik)
- Sehenswert ab 16.
Schmetterling und Taucherglocke
Drama | Frankreich/USA 2007 | 112 Minuten
Regie: Julian Schnabel
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Filmdaten
- Originaltitel
- LE SCAPHANDRE ET LE PAPILLON
- Produktionsland
- Frankreich/USA
- Produktionsjahr
- 2007
- Produktionsfirma
- Pathé Renn Prod./France 3 Cinéma/The Kennedy-Marshall Company
- Regie
- Julian Schnabel
- Buch
- Ronald Harwood
- Kamera
- Janusz Kaminski
- Musik
- Paul Cantelon
- Schnitt
- Juliette Welfling
- Darsteller
- Mathieu Amalric (Jean-Do) · Emmanuelle Seigner (Celine Desmoulins) · Marie-Josée Croze (Henriette Roi) · Anne Consigny (Claude) · Patrick Chesnais (Dr. Lepage)
- Länge
- 112 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
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Heimkino
Diskussion
Würde dieser Film nicht auf einer wahren Begebenheit beruhen, man müsste seine Geschichte erfinden; erfände man sie aber, glaubte sie einem kein Mensch. Nach einem Schlaganfall erwacht der „Elle“-Chefredakteur Jean-Dominique Bauby völlig gelähmt, als „Gemüse“, in einem Krankenhaus. Allein sein Verstand ist noch völlig intakt, eine klaustrophobische Horrorerfahrung par excellence, die im Kino – in Dalton Trumbos „Johnny zieht in den Krieg“ (fd 18 211) – oder im Fernsehen – in Jon Amiels „The Singing Detective“ (1986) – schon mehrfach Thema war. Der Regisseur Julian Schnabel und sein Kameramann Janusz Kaminski arbeiten lange Zeit mit der subjektiven Kamera, um dem Zuschauer ein Gefühl für den Effekt des Locked-In-Syndroms auf den Protagonisten zu geben. Bauby ist lange Zeit nur Hirn, Stimme und Auge; es dauert sogar, bis der Protagonist realisiert, dass er auch seine Stimme verloren hat, dass er nur zu sich selbst spricht. Der Zuschauer freilich hört seine zwischen Unverständnis, Sarkasmus und Verzweiflung changierenden Reflexionen aus dem Off. Minutenlang ist „Schmetterling und Taucherglocke“ ein strenger, sehr konsequenter Experimentalfilm voller Unschärfen, mangelhafter Blickausschnitte und Ab- und Aufblenden, die den Lidschlag des intakten Auges simulieren. Auch später werden die Figuren mitunter direkt in die Kamera sprechen und agieren. Es dauert, bis Bauby seine fürchterliche Situation realisiert: Er „erkennt“ sich schemenhaft als bizarr verzerrten Körper ohne Hoffnung auf Rekonvaleszenz, muss lernen, sich allein durch ein System binären Zwinkerns mit seiner Umwelt zu verständigen. Für einen Intellektuellen und professionellen Texter wie Bauby ist ein solcher Befund natürlich skandalös, weshalb auch der erste verständliche Kommunikationsversuch die Bitte um Sterbehilfe ist. Doch in der Filmwelt Julian Schnabels, selbst umstrittener und doch höchst erfolgreicher bildender Künstler, entsteht Kreativität aus der Überwindung ihrer Hindernisse, seien dies Diskriminierung aus Gründen von „Race and Class“ („Basquiat“, fd 32 274) oder Gender-Fragen wie in „Before Night Falls“ (fd 36 331). Was Bauby bleibt, sind seine Fantasie und seine Erinnerungen – und die Herausforderung und der Wille, aus der Welt, in der er jetzt lebt, zu berichten. Er tut dies mit einer unglaublichen Leichtigkeit, mit treffendem Witz und eleganten Pointen.
„Schmetterling und Taucherglocke“ schlägt also auf mehreren Ebenen existenzielle Fragen an, diskutiert die Frage der Sterbehilfe, erzählt von der Überwindung des Körpers durch den Geist und spürt den Wurzeln der Kreativität nach. Im weiteren Verlauf öffnet der Film seine Erzählperspektive; andere Figuren kommen ins Spiel, Bauby selbst wird als „skandalöses Objekt“ gegen sein lässiges Parlando gesetzt. Auch kommen jetzt Erinnerungen an das Leben vor dem Schlaganfall ins Spiel. Da ist der Mann, der einst mit Baudy einen Flug tauschte. Das Flugzeug wurde entführt, und der Mann lebte vier Jahre als Geisel in Beirut. Zufall und/oder Schicksal? Da ist die Begegnung mit dem Freund, der erzählt, wie ganz Paris Baubys Schicksal diskutiert. Da sind die Erinnerungen an das Pflegen des alten Vaters; Erinnerungen an die alte Berufstätigkeit und die Konflikte im Privatleben. Mit Hilfe des Erzählens kehrt Bauby ins Leben zurück, beginnt geradezu ein neues Leben, das ihm mitunter sogar „wertvoller“ als seine frühere Existenz erscheint. Dass der Film nie in kitschiges „Krankheit als Chance“-Pathos abgleitet, dafür sorgen der Sarkasmus des Erzählers, das mutige, keinerlei Sentimentalitäten erlaubende Spiel des famosen Hauptdarstellers Mathieu Amalric, eines erlesen zusammengestellten Ensembles mit schönen Begegnungen mit Max von Sydow, Niels Arestrup und Isaach de Bankole und – nicht zu unterschätzen – ein idiosynkratisch zusammengestellter Soundtrack voller Kostbarkeiten von Velvet Underground über Ultra Orange & Emmanuelle und Tom Waits bis hin zu Charles Trenet, der die Bilderwelten von „Schmetterling und Taucherglocke“ ständig um neue Kon- und Subtexte erweitert oder auch eine Kommentarfunktion erhält. So abstrahiert Schnabels Film ebenso klug wie differenziert vom Einzelfall und stellt Grundfragen der menschlichen Existenz, wie es mit rein filmischen Mittels kaum bisher so konzise und zugleich so leicht gelungen sein dürfte.
Dass Bauby wenige Tage nach Veröffentlichung seines Erlebnisberichts aus dem Innern einer Taucherglocke starb, gehört zu dieser Geschichte hinzu, aber diese sinnhafte Pointe stellt das zuvor Gezeigte keineswegs in Frage. Es mag banal klingen, aber Schnabels zutiefst berührender Film ist eine Feier des Lebens unter ungewöhnlichen Umständen, ein Hohelied auf Kreativität und Kunst durch die Kunst. Zugleich aber vermeidet er, vielleicht sogar mehr als das zugrunde liegende Buch, eine nahe liegende Apologie des Rein-Geistigen. Nicht zuletzt zeigen Baubys Erinnerungen in Schnabels Version, dass auch das Leben vor dem Schlaganfall so reich war, dass es als Bildreservoir und Wegzehrung „für die Zeit danach“ taugt.
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