Drama | Großbritannien 2013 | 109 Minuten

Regie: Joanna Hogg

Ein gut situiertes Londoner Künstlerehepaar sieht sich aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen, nach 20 Jahren sein gemeinsames Haus zu verkaufen. Die Trennung von den gewohnten Räumen löst nachhaltige Verschiebungen innerhalb der Beziehung aus, die auch die kreative Arbeit betreffen. Mit analytischer Klarheit und scharfsinnigem Witz seziert der Film den Ablöseprozess zwischen Paar und Haus. Das außergewöhnliche Drama um eine „menage à trois“ erweitert das Genre des Beziehungsfilms um eine raumimmanente Komponente. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
EXHIBITION
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Wild Horses Film/BFI/BBC Films/Rooks Nest Ent.
Regie
Joanna Hogg
Buch
Joanna Hogg
Kamera
Ed Rutherford
Schnitt
Helle le Fevre
Darsteller
Viv Albertine (D) · Liam Gillick (H) · Tom Hiddleston (Immobilienmakler) · Harry Kershaw (Immobilienmakler) · Mary Roscoe (Nachbarin)
Länge
109 Minuten
Kinostart
11.12.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Als Beziehungsfilm ist „Exhibition“ von Joanna Hogg eher unberechenbar. Der Film beschreibt ein Dreiecksverhältnis: zwischen einem gut situierten Künstlerehepaar, D und H genannt, und ihrem Haus. Dieses Haus in Kensington im Westen von London ist eine dritte Größe: es organisiert die Beziehung, die Arbeitssphäre, das Verhältnis zur Außenwelt – „it’s in the walls“, erklärt D einmal das Einschreibungsverhältnis von Raum und Beziehung. Als H und D (gespielt von dem Künstler Liam Gillick und der Musikerin Viv Albertine, die in den 1970er-Jahren als Gitarristin der Girl-Punkband „The Slits“ bekannt wurde) beschließen, das Haus nach fast 20 Jahren zu verkaufen, verschieben sich die Koordinaten in dieser „Dreierbeziehung“. Vor allem bei D löst der bevorstehende Abschied Ängste aus, die nicht nur ihre Ehe betreffen, sondern auch ihre künstlerische Produktion. Hogg beobachtet Ds Ablöseprozess und die damit verbundenen kreativen wie sexuellen Spannungen mit einer Mischung aus analytischer Klarheit und scharfsinnigem Witz. Seit ihrem Spielfilmdebut „Unrelated“ (2007) gilt Joanna Hogg als präzise Beobachterin von bürgerlichen Verhaltensweisen oder genauer gesagt der Verkrampfungen und Verklemmungen einer oberen Mittelschicht. Die britische Regisseurin hat sich dabei auf nach innen gewendete Ausdrucksformen von Dysfunktionalität „spezialisiert“: unterdrückte Spannungen und Kommunikationsverfehlungen weiß sie gleichermaßen beklemmend, peinlich berührend und komisch in Szene zu setzen. Charakteristisch sind ferner lange, halbtotale Einstellungen und eine meist statische Kamera. In „Exhibition“ ist das Haus des Paares – es wurde 1969 von dem britischen Architekten James Melvin gebaut, dem auch der Film gewidmet ist – nahezu solitärer Schauplatz des Films. Hogg inszeniert den Raum als eine insulare Behausung, Schutzraum nach Außen und Seismograph seines Innenlebens – eine Art Aufzeichnungsapparat für Schwingungen und Dynamiken in der Beziehung wie auch für die eigene kreative Produktivität und Hemmung. Dabei materialisiert der Film diesen „Aufzeichnungsprozess“ durch eine komplexe Soundarchitektur, durch das Zusammenwirken von Geräuschen, die das Haus einerseits erzeugt, andererseits aufnimmt. Wiederholt führt Hogg Bewegungen und Sounds in einer ebenso vielschichtigen wie rhythmischen Choreografie zusammen: Außengeräusche wie Polizeisirenen, Verkehrs- und Baustellenlärm, das Auf- und Zuschieben der Türen, das Hinauf- und Hinabsteigen der engen, raumprägenden Wendeltreppe, das penetrante Getröte der Sprechanlage, über die D und H kommunizieren, wenn sie jeder für sich in ihren übereinanderliegenden Arbeitsräumen beschäftigt sind. Die akustische Spur des Hauses ist für die übergriffige D aber auch Auslöser von Unruhe und Kontrollwahn: Wenn H über ihr mit seinem Eames-Bürostuhl umherrollt, sieht man sie in ihrer Arbeit innehalten und lauschen, wie um seine Position im Raum zu orten. Mehr noch aber wird die Durchlässigkeit des Hauses von der Architektur der Glasfassaden vorgegeben. Die Fenster eröffnen einen ungehinderten Ausblick, werden bei Dunkelheit aber auch zu Spiegeln und stellen die Bewohner auf eine gut beleuchtete Bühne: das Haus stellt sich selbst aus, es wird zur Titel gebenden Schau, eine Einladung zu Exhibitionismus und Voyeurismus. Die Performancekünstlerin D nimmt darin mehrfach die Position einer Skulptur ein. Gleich in der ersten Szene sieht man sie, eng an ein Fenster geschmiegt, regungslos auf der Fensterbank liegen, später nähert sich ihr Körper mimetisch einer Raumecke an oder umschlingt einen Stein im Garten. Oder sie ist mit einem Stuhl zugange, biegt ihren Körper über Lehne und Sitzfläche, testet, auch in diversen Verkleidungen, Positionen und Haltungen aus, die Bereiche der Sexualität und Erotik berühren – während H akkurat an seinem Computer sitzt und saubere, grafische Arbeit verrichtet. Diese recht klischierte Rollenverteilung könnte man Hogg vorwerfen, wenn sie diese nicht mitunter gefährlich nahe an die Grenze zur Parodie treiben würde – ohne freilich die entlastenden Distanzierungsmomente einer Parodie wirklich zuzulassen. „Exhibition“ ist nichts weniger als die Erweiterung des Beziehungsfilms durch eine raumimmanente Komponente. Was passiert mit einer Ehe, wenn die Wände, in denen sie mit abgespeichert ist, nicht mehr das Leben umgeben?
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