Ein 14-jähriges Mädchen ist die Heldin dieses umwerfenden Debütfilms der Haneke-Schülerin Katharina Mückstein. Die bis ins Detail durchdachte Komposition zeugt von ungewöhnlicher Reife. Zu Dialogen hat die 1982 geborene Regisseurin keinerlei Affinität. Was auch nicht nötig ist. Der Gang, der Ton der Stimmen, die Art, wie sich die Darstellerinnen anziehen, erzählen viel mehr. Obwohl die Handlung eher unspektakulär daher kommt, schafft die Kamera von Michael Schindegger dichte Momente, die sich tief einprägen. Vom Genre her ein Sozialdrama, wundert man sich schnell darüber, wie stark die Welt außen vor bleibt und doch in minimalen Informationen präsent ist.
Jasmin, gespielt von der famosen Entdeckung Sophie Stockinger, lebt bei einer mittelständischen Pflegefamilie, die gerade einen Italienurlaub plant. Die gleichaltrige leibliche Tochter toleriert die Fremde, deren Mutter im Gefängnis saß, nur widerwillig. Als sie Besuch von einer Freundin erhält, gibt das eingeschworene Duo Jasmin mit Sticheleien über ihre Kleider und die wenig feminine äußere Erscheinung zu verstehen, dass sie nicht dazu gehört. Ohnehin bereits gekränkt, gerät sie beim Stichwort „Knast-Mutter“ außer sich und schlägt zu. Dann haut sie mit ihrem Fahrrad ab, nachdem sie sich aus einer Jacke im Flur Geld gestohlen hat.
Die Ausreißerin hat ein festes Ziel vor Augen. Ihre Mutter hat ihre Strafe abgesessen und arbeitet in einem Blumengroßbetrieb. Hierhin fährt Jasmin in einer langen, visuell und musikalisch glänzenden Einstellung an einem menschenleeren Industriegebiet vorbei. In ihrem Gesicht rumort es, eine beschwerte Gefühlslandschaft, die im Verlauf des Films im Wechsel mit meditativen Naturaufnahmen immer wieder ins Zentrum rückt. Auch in der Begegnung mit der zunächst reservierten Mutter, die sich von Jasmins hartnäckiger Bestimmtheit aber überzeugen lässt und einen gemeinsamen Wochenend-Trip in ihr Herkunftsdorf wagt.
Mutter und Tochter steigen in einem antiquierten Hotel ab. Sie wandern, essen Himbeeren und führen zaghafte Gespräche. Jasmin kann sich an ihrem Gegenüber nicht satt sehen. Nach Jahren der unerfüllten Sehnsucht gerät für sie sogar das Haarkämmen zum Ereignis. Nachts im Doppelbett schaffen sie es dann endlich, sich auch körperlich näher zu kommen. Nina Proll spielt diese Annäherung mit minimalem Aufwand. Als sie vor Freude, ihr verlorenes Kind in den Armen zu halten, weint, versteht man, wie viel Kraft sie das gekostet hat, die Gefängniszeit durchzustehen. Ihr Panzer löst sich allmählich. Umso bitterer für Jasmin, dass der Hotelbesitzer auch ein Auge auf sie geworfen hat. Vergeblich versucht sie seine Charmeoffensive zu sabotieren. Zumal die plötzlich lebenslustige Mutter es genießt, umworben zu werden. Sie entscheidet sich während des gemeinsamen Disco-Besuchs für den Mann. Die Tochter schickt sie zum Schlafen ins Hotel.
Die zarte Bindung, die zwischen ihnen zu wachsen begann, hat einen Dämpfer bekommen. Die Realität erweist sich komplizierter als die Projektion, die sich Jasmin in ihrer Fantasie von der Idealmutter gemacht hat. Sie ist nicht mehr allein, ihre Identität nicht mehr ganz so brüchig, aber ein erfülltes Leben muss sie sich trotzdem selbst erkämpfen. Damit fängt sie in der letzten symbolträchtigen Szene an. Sie lernt schwimmen. Eine Fähigkeit, die sie an Gleichaltrigen, die aus in ihren Augen intakten Familien stammen, seit langem beneidet.
Der Regisseurin gelingt mit großem kinematografischem Ernst eine kleine Preziose der Erkundung jener Übergangszeit zwischen den Wünschen der Kindheit und den Ernüchterungen der Jugend, die für manche bereits in der Familie beginnen. Die Sorgfalt im Umgang mit Licht und Ton, die Aufmerksamkeit für psychologische Nuancen lassen auf Großes hoffen.