Verwackelte und verwaschene Bilder, aufgenommen mit einer Handykamera, zeigen eine unübersichtliche Szenerie: eine U-Bahnstation mitten in der Nacht, vier junge Afroamerikaner sitzen an eine Wand gelehnt, ein weiterer liegt wenige Meter entfernt am Boden, bewacht von mehreren Polizisten. Es herrscht Chaos, aus allen Richtungen sind Geschrei und wüste Beschimpfungen zu hören, von den Männern am Boden und ihren Bewachern wie von den Passagieren der Bahn, die an der Station gestoppt worden ist. Die Situation eskaliert, bis einer der Polizisten seine Pistole zieht und einem Mann in den Rücken feuert.
Was der amerikanische Regisseur Ryan Coogler zu Beginn seines Spielfilmdebüts präsentiert, sind dokumentarische Aufnahmen von einem Vorfall, der in den USA hohe Wellen schlug: der Tod des 22-jährigen Oscar Grant aus der Nähe von San Francisco, der in den frühen Morgenstunden des 1. Januar 2009 in einer U-Bahn in eine Schlägerei geriet und bei der Kontrolle an der nächsten Station erschossen wurde. Die Videos mehrerer Zugpassagiere kursierten bald darauf im Netz und lösten teilweise auch gewalttätige Proteste aus. Der verantwortliche Polizist erhielt nur eine geringe Gefängnisstrafe, da er angab, statt seines Elektroschockers unbeabsichtigt die Dienstwaffe gezogen zu haben.
Ryan Coogler interessiert sich aber nicht primär für das Skandalträchtige des Falls; ihm geht es vor allem um ein Porträt des Menschen Oscar Grant, weshalb er sich auf die Handlungen am letzten Tag seines Lebens konzentriert. Der junge Mann, wegen Drogendealerei vorbestraft, ist Vater einer vierjährigen Tochter und hat gerade seine Arbeit in einem Supermarkt verloren. Doch er versucht, sein Leben in den Griff zu bekommen. Er schwört seiner Freundin hoch und heilig, dass er sie nie wieder betrügen und dass er auch mit dem Dealen aufhören wird; die letzte Tüte Marihuana schüttet er an diesem Tag ins Meer, obwohl er das Geld gut gebrauchen könnte. Er versucht (vergeblich), seinen früheren Chef zu überreden, ihm seinen alten Job wiederzugeben. Seiner Mutter verspricht er, sich künftig wie ein Erwachsener aufzuführen und für seine Tochter zu sorgen.
Oscar ist beileibe kein Heiliger, aber auch alles andere als ein übler Kerl. Der charismatische Newcomer Michael B. Jordan verleiht dieser Figur einen lausbübischen Charme, der nachvollziehbar macht, warum Oscars Familie ihm immer wieder verzeiht, und der ihn auch für die Zuschauer zum Sympathieträger macht. Im Wissen um sein trauriges Ende hätte der Film leicht zur einseitigen Opferverklärung geraten können, doch die Inszenierung steuert dem bewusst entgegen. Anfangs ist die Leinwand noch dunkel; man hört, wie sich Oscar und seine Freundin über ihre Vorsätze fürs neue Jahr unterhalten. Oscar amüsiert es, dass Sophia sich gesünder ernähren will, da er dies angesichts der nährstoffreichen Kochkünste ihrer latinostämmigen Familie für aussichtslos hält. Sein Schlussstrich unter die kriminelle Vergangenheit hat allerdings ähnlich geringe Aussichten auf Erfolg, da auch er sich von seinem Milieu nicht vom einen auf den anderen Tag lösen kann. An das Versprechen, seiner Freundin treu zu bleiben, erinnert er sich nur ein paar Stunden, bis er mit einer anderen Frau flirtet; er ist oft leichtsinnig und unzuverlässig, und auch mit der Ehrlichkeit nimmt er es nicht so genau.
Was aus Oscar Grant geworden wäre, schwebt als große, unbeantwortbare Frage über dem ganzen Film, der seinen Figuren mit der Handkamera äußerst nahe kommt und in der ersten Hälfte ein ungewöhnlich dichtes Bild vom Umfeld des Protagonisten zeichnet: Eine Welt, die von Armut und schlechten Zukunftsaussichten geprägt ist, aber durch zwischenmenschliche Bande und vor allem das entschlossene Auftreten von Oscars Mutter und Freundin zusammengehalten wird. Die Milieuzeichnung erinnert manchmal an die frühen Werke von Spike Lee oder „Boyz ’n the Hood“
(fd 29 358) von John Singleton, doch Coogler schafft es mit bemerkenswertem Selbstbewusstsein, eine eigene Handschrift zu entwickeln. Wo Singleton mitunter ins Triviale abrutscht und Lee mit zorniger Einseitigkeit polemisiert, stellt Cooglers fein austarierter Film den Rassismus als eher unterschwellig vorhandenes, nichtsdestoweniger aber virulentes Problem dar. Das umfasst eine Geburtstagskartenindustrie, die sich eine glückliche afroamerikanische Familie offenbar nicht vorstellen kann, aber auch die fulminante Kulmination des Films.
Minutiös rekonstruiert Coogler in der zweiten Hälfte die Ereignisse an der Fruitvale Station und lässt die Selbstverständlichkeit, mit der die hellhäutigen Polizisten Oscar und seine Freunde als Bedrohung einstufen, als eine absehbare Folge des gesellschaftlichen Klimas der Angst erscheinen. So bemerkenswert unparteiisch sich der Film gibt, ist er letztlich aber resignativ: Auch in einer Zeit, in der Barack Obama Präsident ist und Millionen von Amerikanern auf die Fernsehweisheiten von Oprah Winfrey hören, erscheint das harmonische Zusammenleben zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe als pure Utopie.