Ein einseitig auf Schießereien konzentrierter Trailer, den die Verleihfirma wochenlang in amerikanischen Kinos gezeigt hatte, verschaffte "Boyz' N The Hood" die traurige Publizität, von der Regisseur John Singleton im Vorspann seines Filmes spricht (vgl. fd 17/1991, S. 44). Einer von 21 Schwarzen kommt in Los Angeles ums Leben, heißt es dort, ermordet von Schwarzen. Krawalle in und vor den Erstaufführungskinos forderten zwei Menschenleben und 35 Verletzte. Die Fakten attestieren dem Film seine Wirklichkeitstreue. Dabei ist "Boyz' N The Hood" alles andere als ein gewalttätiges Gang-Movie.Singleton, selbst aufgewachsen in jenem Teil von Los Angeles, den man "The Hood" nennt, beschreibt in seinem Erstlingsfilm die Jugend eines jungen Schwarzen, der von der Mutter dem alleinlebenden Vater zum Zwecke der Erziehung des Kindes an der Haustür abgeliefert wird. Dieser Vater mit dem nicht unbedacht gewählten Namen Furious Styles ist eine der besten Vaterfiguren, die seit langer Zeit auf der Leinwand zu sehen waren. Er lebt inmitten der Drogen- und Gewaltszene, in der Kinder normalerweise von den Müttern aufgezogen werden, ohne den Rückhalt eines Vaters und ohne Hilfe, wie man sich in dieser Umgebung täglicher Schießereien, Überfälle und Rauschgiftdelikte zurechtfinden kann. Furious Style versucht, anders zu sein. Er bemüht sich, seinem Sohn Tre Verantwortungsbewußtsein zu vermitteln, ihn auf unausweichliche Konflikte vorzubereiten, ihm klarzumachen, was es bedeutet, als Schwarzer unter schwarzen Gangs in einem schwarzen Ghetto zu leben. Er will Tre nicht aurwachsen lassen wie den Freund auf der anderen Straßenseite, der etwas erreichen möchte im Leben, aber nicht weiß, woran er sich orientieren könnte. Oder wie dessen Halbbruder, der schon als Kind zur Kriminalität neigt und, herangewachsen, mit dem Revolver herumfuchtelt, weil ihm das die einzige Bestätigung von Männlichkeit in einer von Gangs infizierten Umgebung zu sein scheint. Furious geht nicht gerade zimperlich mit seinem Sohn um, aber er behaut die richtigen Kanten und Ecken.In seinem Mittelteil droht der Film in einer melodramatischen Romanze zu versickern, der ein bißchen zu viel Aufmerksamkeit gewidmet wird. Der Liebesbeziehung zwischen Tre und einem streng katholischen Mädchen, das keinen Sex vor der Eheschließung haben will, kommt nicht mehr Bedeutung zu als in jeder beliebigen anderen Umgebung. Sie spricht Pubertätskonflikte an, die zur Entwicklungsphase hinzugehören, denen der Zuschauer aber kaum mehr entnehmen kann, als daß die jungen Leute im südlichen Zentrum von Los Angeles mit größerer Offenheit und drastischerer Wortwahl damit umgehen, als es vielleicht andernorts üblich wäre.Glücklicherweise fängt sich der Film nach dem Intermezzo recht schnell wieder und bringt die Story zu einem nicht gerade erstaunlich originellen, aber konsequenten Ende. Die Gruppe der Freunde wird in Streitereien des Viertels verwickelt, und der Junge von gegenüber kommt darin um. In einer Mischung von Entsetzen, Empörung und Rachegefühlen macht sich auch Tre auf, die Täter für ihre sinnlose Brutalität bezahlen zu lassen. Doch das Vorbild semes Vaters ist in ihm schon zu tief verwurzelt, als daß er noch dabei wäre, wenn neue Gewalt die alte zu rächen versucht.Singletons Film ist nicht auf der geistigen Ebene von Spike Lees "Jungle Fever" angesiedelt, er reflektiert nicht Hintergründe und Motivationen für schwarzes Selbstverständnis und afro-amerikanischen Dogmatismus. "Boyz' N The Hood" ist ein Film in der Tradition simpler, aber wirkungsvoller "Message"-Filme. Singleton will nicht an intellektuelles Filmpublikum herankommen, sondern an die Schwarzen der amerikanischen Großstadt-Ghettos. Sie sollen und werden sich wiedererkennen in den Personen und in den Umgebungen seines Films. Es ist ihr täglicher Lebensraum, der da auf der Leinwand erscheint, bis hin zu den fortwährend kreisenden Polizeihubschraubern, deren nervtötendes Geräusch die Dialoge immer wieder überdeckt. Auch die Machart des Films ist entsprechend, wenn man will: konventionell. Singleton erzählt seine Story so geradeaus wie nur möglich. Keine artistischen Abschweifungen, kein Buhlen um Aufmerksamkeit hochschulgebildeter Filmfans. Nicht einmal vor dicken Übertreibungen schreckt er zurück: Stop-Schilder als Mahnung, die Einbahnstraße als Symbolzeichen, das auch ohne Filmbildung verstanden wird, oder der am Ende zurückbleibende Schriftzug "Increase the Peace".Was Singletons Film vielleicht tatsächlich einigen Effekt aufseine Zuschauer in den Ghettos haben läßt, ist das Bemühen, stets nicht nur die Aktion und das Drama zu zeigen, bei denen Filme für diese Publikumsschicht normalerweise haltmachen, sondern auch die Konsequenzen. Reaktionen bei den Freunden, in den Familien, im sozialen Umfeld gehören stets mit dazu. Und zwar nicht als moralisierendes Nachgeplänkel, sondern als dramatischer Bestandteil der Handlung. "Boyz' N The Hood" ist ein Film, der seine Funktion besitzt im Umfeld amerikanischer Großstädte und bei dem Gewaltakte in und um die Kinos, die ihn spielen, auch nur so lange passierten, als niemand aus eigner Anschauung wußte, worum es hier wirklich geht. Es ist eben nicht die Wiederholung der Gang-Klischees, nicht die neuerliche Aufarbeitung des Rassenkonflikts, nicht Hollywoods Action-Kino zu Lasten farbiger "Asozialer", sondern es ist der Film eines Insiders. Es geht nicht um das Leid, das Weiße den Schwarzen antun, sondern um das Leid, das Schwarze ihren schwarzen Brüdern zufügen. Es ist eine bittere Bestandsaufnahme, verpackt in eine anrührende Teenager-Geschichte, für nicht-amerikanische Zuschauer eine Lektion zur notwendigen Korrektur ihres von Tourismus-Werbung geprägten Amerika-Bildes.