Drama | Österreich/USA 2012 | 106 Minuten

Regie: Jem Cohen

Essayistischer Film über das Kunsthistorische Museum in Wien. Erzählt aus der Perspektive eines Museumswärters, geht er vor allem den Bezügen des Kunstraums Museum zum ihn umgebenden Stadtraum nach. Mit Hilfe unterschiedlicher Filmmaterialien sowie einer Montage, die assoziativ Verbindungen zwischen Innen und Außen, Kunst, Betrachter und Stadtleben herstellt, gelingt eine atmosphärische Hommage an Wien und seine altehrwürdige Kunstinstitution. Zugleich ist der Film eine lohnenswerte Reflexion über das Verhältnis von Museumskunst und Gegenwart. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MUSEUM HOURS
Produktionsland
Österreich/USA
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Little Magnet Films/Gravity Hill/KGP Kranzelbinder Gabriele Prod.
Regie
Jem Cohen
Buch
Jem Cohen
Kamera
Jem Cohen · Peter Roehsler
Schnitt
Jem Cohen · Marc Vives
Darsteller
Mary Margaret O'Hara (Anne) · Bobby Sommer (Johann) · Ela Piplits (Gerda)
Länge
106 Minuten
Kinostart
10.04.2014
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Essaystische Doku über das Kunsthistorische Museum in Wien von Jem Cohen.

Diskussion
Das Kunsthistorische Museum in Wien erscheint in der ersten, unbewegten Einstellung wie ein schwerer Koloss; „the big old one“ wird es an einer Stelle einmal passend genannt. „Museum Hours“ eröffnet mit einer Raumtotale, die einen sitzenden Aufseher in einem der imposanten Gemäldesäle hinter einer roten Kordel zeigt – eine winzige Figur in einem vor Geschichtsträchtigkeit nur so ächzenden Raum. Von dieser Prämisse aus befragt der New Yorker Filmemacher Jem Cohen das Museum und seine Kunstwerke auf ihr Verhältnis zur Gegenwart – zur gesellschaftlichen Realität, zur Alltagswelt und speziell zum städtischen Raum. Die Kunst bleibt also nicht innerhalb der institutionellen Rahmung, sondern tritt auf die Straße, ins „Leben“, und sie infiziert und verändert die Wahrnehmung. Erzählt wird der Film aus der Perspektive des Museumswärters Johann Leitner, eines schon etwas älteren Mannes, einem Einzelgänger und Liebhaber von Heavy Metal. Aus dem Off spricht er über seine Arbeit, über das unvermeidliche Gefühl der Langeweile, aber auch über angenehme Formen des Zeitvertreibs (etwa das Suchen von Eiern auf Bruegel-Gemälden). Beobachtungen von Besuchern beim Beobachten von Kunst reihen sich an Beobachtungen von Gemälden und eher allgemeine Reflexionen über das Museum. Die Begegnung mit der Kanadierin Anne, die wegen ihrer im Koma liegenden Cousine ins winterlich graue Wien kommt, setzt schließlich so etwas wie eine lose Narration in Gang, ist aber eher Anlass für das Ineinandergreifen von Bildbetrachtung und Bildbeschreibung, von Museums- und Stadtraum. „Museum Hours“ ist erzähl-, genre- und bildtechnisch disparat (die Innenaufnahmen im Museum sind in klarem, scharfen HD gedreht, die Außenaufnahmen auf leicht entrückt wirkende 16-mm), die einzelnen Teile fügen sich aber dennoch zu einem organischen Ganzen zusammen. Cohen verbindet dokumentarische Szenen mit beiläufig inszenierten Momenten, dazwischen geschoben sind Einstellungen von Gemälden, meist Ausschnitte oder zur Nahaufnahme vergrößerter Details, die teilweise nahtlos in Einstellungen des Außenraums übergehen. In einer Szene beschreibt Leitner aus dem Off einige Gegenständen auf einem Bild und geht dabei fließend in die Beschreibung einer urbanen Momentaufnahme über. Die Montage von Gemälden und Stadt ist frei assoziativ, gelegentlich ergeben sich visuelle Analogien (Krähen auf einem Gemälde, Krähen auf dem Dach eines Gebäudes), doch kaum sind diese beiden Ebenen momenthaft zur Deckung gekommen, driften sie auch schon wieder auseinander. Die Demokratisierung qua Dezentralisierung von Bruegels Bildern macht „Museum Hours“ auch im Stadtraum ausfindig. Alles, was in den Fokus des Blicks – und der Kamera – gerät, kann „interessant“ und somit der Betrachtung wert sein. Der Schauseite des Museums stellt Cohen eine graue, unrepräsentative Rückseite der Stadt entgegen: schmuddelige Bars, Imbissbuden, den Flohmarkt am Naschmarkt. Gerade hier, in all den scheinbar wertlosen Dingen – halbkaputte Laptops, vom Regen durchweichte Bücherkisten, olle VHS-Kassetten und billige Ölbilder – entdeckt die Inszenierung eine versteckte Schönheit; sie werden zu Objekten der ästhetischen Betrachtung, den Kunstgegenständen gleichwertig. Bei aller Sensibilisierung für ein aufmerksames, offenes und voraussetzungsloses Schauen geht es Cohen aber kaum um eine Dekontextualisierung von Kunst. Auch wenn „Museum Hours“ mitunter wie aus der Zeit gefallen anmutet, wächst sich das Eigenbrötlerische nie zur Weltferne aus, im Gegenteil: Museumskunst und Gegenwart waren wohl selten in so enger Nachbarschaft zu sehen.
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