Das Monster renne frei herum und sei nur schwer wieder einzufangen. Sehr bildlich umschreibt der indigene Amerikaner Russell Jim vom Umweltsanierungsprogramm der Yakama-Nation ein Problem, für das der Forscher Ju Wang in China einen wesentlich pragmatischeren Vergleich findet: „Wenn man ein Haus baut, sollte man die Toilette nicht vergessen.“ Im Fall der Endlagerung von hochradioaktivem Atommüll aber müsste ein solch „Abort“ tatsächlich am liebsten dort liegen, wohin Edgar Hagens Dokumentarfilm gerne reisen würde: an den sichersten Ort der Erde. Dafür steigt der Schweizer auf Kamelrücken und Schiffe, in Flugzeuge, Jeeps und manchmal auch ins Video-Archiv – der sicherste Ort der Erde ist bestenfalls auch der abgelegenste.
Über 350.000 Tonnen strahlender Müll müssen mittlerweile für Hunderttausende von Jahre sicher verwahrt werden. Doch das Resultat der vernachlässigten Entsorgungsfrage ist ein fortgesetztes weltweites Geschachere, das Hagen auf seiner Recherche porträtiert – und dabei mit den amerikanischen Atomtests, dem chinesischen Energiehunger und den deutsch-britischen Castor-Transporten auch eine kleine Nukleargeschichte des Erde skizziert.
Dass sich die Begriffe „sicherster Ort“ und „Erde“ eigentlich ausschließen, zumal für eine so unbestimmte Zeitspanne in der Zukunft, machen die Zweifel der Umweltverbände wie auch die der Staaten klar: Welches Material entzieht sich der korrodierenden Wirkung von Wasser? Welcher Granitblock widersteht den tektonischen Verschiebungen der Platten? Welche Höhle kann vor dem Zugriff zukünftiger Generationen geschützt werden? Ein Vulkan in der Nachbarschaft oder ein zersplitterter Basalt als Höhlenwand werden dabei schnell zum unwägbaren Risiko.
Die unerschütterliche Haltung der Menschen, die an den potenziellen Endlager-Standorten leben, ist hingegen leicht einzuschätzen: „Nein!“, schallt es unisono über den Erdball, wenn Hagens Endlager-Experte Charles McCombie oder einer seiner Kollegen auftauchen und die Anwohner davon zu überzeugen versuchen, dass sie ihr Land zum Wohle aller mit den tief in der Erde vergrabenen Nukliden teilen sollten.
Dass „Endlager“ mehrmals auch auf dem Land von Ureinwohnern geplant wurde, ist doppelt tragisch. Die kommentarlose Doppelung von zwei indigenen Vertretern, die der Film an der Hanford Site auf dem Gebiet der Yakama-Stämme und am Yucca-Mountain der westlichen Shoshonen neben der Nevada Test Side trifft, sind dafür umso aussagekräftig. Ohne sich über den Ursprung des Problems, den Bau von Bomben und Atomkraftwerken, weiter auszulassen, sind es Hagens vermeintlich treuherzige Fragen, die fast schon mit Galgenhumor eine skurrile Forscher-Gemeinschaft enttarnen, die im Rahmen millionenschwerer Projekte nach Lösungen fahnden, die keiner haben will – bis auf diese Handvoll nicht weniger skurriler Volksvertreter, die das wirtschaftliche Wohl ihrer Gemeinden in die Waagschale werfen.
Hagens eigene Haltung zur Atomenergie spiegelt sich insbesondere in der Bildermontage, die sich bisweilen als pure Demontage entpuppt. So erzählt McCombie davon, dass er die Kerntechnik für unabdingbar halte und sein Projekt „1985 Jahre“ trotz erfolglosem „Standortnachweis“ ein Erfolg gewesen sei, weil die AKWs eben nicht abgeschaltet wurden. Prompt folgt der Schnitt auf einen riesigen Reaktor-Schornstein direkt hinter einer Siedlung, in der Kinder spielen und ein Dünge-Traktor friedlich um die Ecke tuckert. Auf die hellblauen „Steckbrett-Tänze“ der Brennstäbe in ihren Abklingbecken folgen Archivaufnahmen von Atomfässern, die jetzt auf schlammigem Meeresgrund vor sich hin korrodieren – unterlegt mit einer Musik, die eines Krimis würdig wäre, analog zur Spannung von Hagens Recherche, die seinem monströsen Thema mehr als angemessen ist.