Seit Kindertagen haben Ibrahim Gezer Bienen und Honig fasziniert. Er weiß alles über sie und den süßen Energiespender, was ihm in seiner Heimat im Südosten der Türkei einen bescheidenen Wohlstand sicherte. Doch dann zerstörte der türkisch-kurdische Bürgerkrieg alles; seine Familie zerfiel, er selbst floh in die Schweiz, wo ihn die Behörden in eine Behindertenwerkstatt steckten. Sein gütiges Wesen aber bewahrte ihn auch in der Fremde vor Hass und Verzweiflung. Ein stiller Dokumentarfilm über einen stillen Mann, der alle Schicksalsschläge im nahezu zärtlichen Umgang mit den Bienen in Balance zu halten weiß. (O.m.d.U.)
- Ab 10.
Der Imker
Dokumentarfilm | Schweiz 2013 | 112 Minuten
Regie: Mano Khalil
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Filmdaten
- Originaltitel
- DER IMKER
- Produktionsland
- Schweiz
- Produktionsjahr
- 2013
- Produktionsfirma
- Frame Film/SRF/ARTE
- Regie
- Mano Khalil
- Buch
- Mano Khalil
- Kamera
- Mano Khalil · Steff Bossert
- Musik
- Mario Batkovic
- Schnitt
- Thomas Bachmann
- Länge
- 112 Minuten
- Kinostart
- 30.01.2014
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 10.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Ibrahim Gezer ist der Inbegriff eines gütigen Mannes. Über sein von einem weißen Schnauzer und grauen Stoppeln gerahmtes Gesicht huscht der beständige Anflug eines Lächelns. Dass der kurdische Imker ein Freund der Bienen ist, mit denen er sich noch besser als mit Menschen versteht, wäre auch ohne die Bilder klar, die ihn ohne Schutzkleidung inmitten der summenden Insekten zeigen. Ebenso wie sein freundlich-vertrauter Umgang mit Schweizer Sennern. Dabei hat es das Leben gar nicht gut mit ihm gemeint, das der stillen Gestalt harte Schicksalsschläge aufbürdete, den Verlust seiner Frau, zweier Kinder und all seines Hab und Guts, bis er nur noch seine nackte Haut retten konnte und mit den Resten seiner Familie in die Schweiz floh.
Dort wurde Gezer zwar als politischer Flüchtling anerkannt, fiel damit aber zugleich in die Fänge staatlicher Obhut. Zur „Eingliederung“, das zeigt der leise Dokumentarfilm von Mano Khalil nicht ohne einen gewissen Sarkasmus, beorderte man ihn in eine Behindertenwerkstatt, wo er, der Imker, ausgerechnet Honigbonbons verpacken soll („Was für ein Glück!“, schwärmt der Vorarbeiter bar jeder Ironie). Die Bienenzucht, der er auch hier, rund um Andermatt und Basel, nachgeht, nachgehen muss, gilt in den Augen der Behörden nicht als Broterwerb. Eigentlich ist der hagere Mann ja längst im Rentenalter, womit ihm der Fließbandjob erspart bleiben würde, doch dafür muss er erst einen komplizierten Nachweis erbringen – und das alles mit äußerst rudimentären Sprachkenntnissen seiner neuen Heimat.
Geboren wurde Gezer in einer anderen Zeit, inmitten anderer Berge, im türkischen Teil von Kurdistan, wo er noch als Junge die Imkerei entdeckte, ein Pionier aus Liebe und Leidenschaft. In seiner glücklichsten Zeit brachte er es auf bis zu 500 Bienenvölker, elf Kinder und ein neugebautes Haus. Doch dann verschlang der Krieg sein Dasein und zerstörte nach und nach alles, was sein Leben und sein Glück ausmachte.
Andere wären daran zerbrochen, hätten sich nicht erholt vom Leid und den seelischen Versteinerungen der Hiobsbotschaften. Doch Gezer verfiel in Hass und Verzweiflung. Der Film schickt sich nicht an, sein Geheimnis zu lüften, wie er die Schicksalsschläge überlebt hat, auch nicht den Tod seines Sohnes, den er wenige Tage zuvor noch auf Bildern aus einem PKK-Camp entdeckt hatte. Stattdessen sucht die Inszenierung fast unmerkliche Übergänge in die Vergangenheit. Die Kamera gleitet dann von den engen Schweizer Tälern in die weitschwingenden Bergketten Ostanatoliens, um Gezers früheres Leben einzuholen, das er doch in sich trägt, verborgen in den tiefen Falten seines Gesichtes. Bei der Trauerfeier für seinen Sohn sind seine Züge geisterhaft erstarrt, bei der Hochzeit einer Tochter geschäftig bewegt; nur im Umgang mit den Bienen, den er seinem Enkel und allen anderen, die sich dafür interessieren, zu lehren versucht, scheinen alle Masken abzufallen.
Bisweilen läuft die Inszenierung Gefahr, ihre respektvolle Beiläufigkeit, mit der sie Gezer in seinem Alltag begleitet, zugunsten einer symbolhafteren Aufladung aus den Augen zu verlieren. Dann wird aus dem Schicksal des kurdischen Bienenflüsterers fast etwas Exemplarisches, das sich als Quintessenz weitersagen ließe. Doch Khalil erliegt der sentimentalen Bedeutungsfalle nicht, sondern flicht fast unvermittelt immer wieder Begegnungen Gezers mit Menschen aus der Schweiz ein, die Freunde geworden sind, aus Sympathie und einem „zwecklosen“ Miteinander, das nicht in den üblichen Zwecksetzungen aufgeht. Was Gezer dabei fühlt oder denkt, muss man aus den Bildern erschließen, die von seinem aktuellen, gegenwärtigen Leben erzählen, von seiner Liebe zu den Bienen und der Ruhe, die vom Schweigen der Berge ausgeht. Näher kann man einem Menschen mit der Kamera eigentlich nicht kommen.
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