Das merkwürdige Kätzchen

- | Deutschland 2013 | 72 Minuten

Regie: Ramon Zürcher

Ein von Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ angeregtes, experimentelles Kammerspiel: In einer Berliner Altbauwohnung gehen Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn ein und aus. Dabei ist das Klima in dem bildungsbürgerlichen Haushalt ziemlich aggressiv. Mit absurden Dialogen und schräger bis surrealer Situationskomik sowie theatralen Momenten entfaltet sich die minimalistische Handlung als eindrucksvolles Pandämonium einer deutschen Mittelschichtsfamilie. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb)
Regie
Ramon Zürcher
Buch
Ramon Zürcher
Kamera
Alexander Haßkerl
Schnitt
Ramon Zürcher
Darsteller
Jenny Schily (Mutter) · Anjorka Strechel (Karin) · Mia Kasalo (Clara) · Luk Pfaff (Simon) · Matthias Dittmer (Vater)
Länge
72 Minuten
Kinostart
02.01.2014
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
absolut (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Endlich mal ein Langdebüt, das reichlich aus dem Rahmen fällt. Entstanden an der dffb im Anschluss an ein Seminar von Béla Tarr, diente Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ als Anregung für eine so sonderbar wie betörend irrlichtende Familienaufstellung. Das atmosphärisch warm fotografierte Kammerspiel, mit einer Vorliebe für malerische Rückenansichten und gestochen scharfe Stillleben von Milchgläsern oder sanft zuckenden Faltern, verortet sich bis auf wenige bebilderte Erinnerungseinschübe durchgehend in einer Berliner Altbauwohnung. Es herrscht ein Kommen und Gehen von Verwandten, Nachbarskindern und Freunden, die mit Vorliebe aus dem statischen Bild treten und aus dem Off weiter zu hören sind. Wie in einem typisch französischen Stelldichein auf dem Lande plant man einen gemeinsamen Wochenend-Abend am Küchentisch. Banale Alltagshandlungen treiben das minimalistische Geschehen voran. Es geht um Orangenschalen, die stets mit der weißen Hautfläche auf dem Boden landen. Um das Knurren der Katze, in das der Hund wie hypnotisiert mit einstimmt. Eine Flasche kreist aus unerklärlichen Gründen im Kochtopf. Eine Wurst quittiert alle Speiseversuche mit Fettfontänen. Die Reparatur einer Waschmaschine gehört noch zu den konkreteren Anlässen für Situationskomik und absurde Dialoge, die sich um profane Erlebnisse einzelner Figuren auf ihren Exkursionen in die Außenwelt drehen. Wie auf einer Bühne treten sie mit ihren monologischen Erzählungen in den Vordergrund, nicht ohne notorisch von dem Rest der desinteressierten Versammelten gestört zu werden. Ohnehin herrscht eine latent aggressive Spannung zwischen den auf den ersten Blick freundlich gesinnten Vertretern einer großstädtisch gebildeten Mittelschicht. Kleine Sticheleien wechseln sich in der fein beobachteten Milieustudie mit sadistischen Demütigungen ab. Eine erzählerisch aufgeladene, wunderbar eigensinnige Geigenmusik peitscht die einzelnen Szenen voran. Die Oma nimmt niemanden wahr und hält die Sippe auf Distanz, indem sie den Tag im Bett verschläft. Wenn die aufgeweckte Clara, die jüngste im glänzend aufspielenden Ensemble, nicht Einkaufslisten schreibt, die von Rechtschreibfehlern wimmeln, versucht sie, die lauten Geräusche der Espressomaschine zu überschreien. Dabei sorgt das penetrant häufig gebrauchte Gerät nur für die harmlosere Variante einer abgewürgten Kommunikation. Mit dem Hund will niemand spielen, weil jeder glaubt, sich so zu seinem Sklaven zu machen. Regisseur Ramon Zürcher erschafft eine kaum merkliche Kriegsstimmung. Nicht ohne Grund spricht der ältere Bruder von Gewaltausbrüchen, die er Gedankenspielen vorziehe. Am Ende steht die großartige Jenny Schily allein im Dunkel der Küche, mit schmerzverzerrtem Muttergesicht, isoliert und eingeschlossen in einen Panzer, den sie scheinbar vom menschelnden Riesenkäfer Gregor Samsa geerbt hat. Ein erstaunlicher Fremdkörper im deutschen Film, der die Aussicht auf den eigentlichen Abschlussfilm von Ramon Zürcher, der dieser hochkarätigen Etüde noch folgen muss, rosig stimmt.
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