Der Regisseur Paul Greengrass besitzt ein Talent, unheroische Filme über Menschen zu drehen, die man als Helden bezeichnen könnte. Wie die Passagiere an Bord von „Flug 93“
(fd 37 628), die verhinderten, dass ihre Maschine am 11. September 2001 ins Pentagon gelenkt wurde. Vielleicht fällt auch Ivan Cooper, der irische Aktivist aus „Bloody Sunday“
(fd 38 982) in diese Kategorie, und selbst über Matt Damons Ex-Geheimdienstkiller Jason Bourne brechen die Konflikte eher herein, als dass er sie sucht.
In seinem aktuellen Film widmet sich Greengrass den Geschehnissen rund um das Containerschiff „Alabama“, das 2009 vor der Küste Somalias von Piraten überfallen wurde. Dem ästhetischen Konzept, das viele seiner Filme nach wahren Begebenheiten auszeichnet, ist er dabei treu geblieben. Mit der Handkamera stürzt sich die Inszenierung in das nervöse Chaos, das im Dorf von Abduwali Muse herrscht, als eine Miliz, vielleicht auch nur eine Bande bewaffneter Banditen, dort einfällt und Geld verlangt: Die armen Fischer sollen endlich mal wieder ein Schiff überfallen. Parallel dazu verlässt Richard Phillips (Tom Hanks) sein kleines Haus in Vermont, setzt sich in den Flieger über den Atlantik und bereitet mit seiner Crew in professioneller Ruhe die Beladung vor. Ziel der „Alabama“ ist Mombasa in Kenia.
Greengrass flirtet mit einem multiperspektivischen Ansatz, indem er zu Beginn solche Kontraste skizziert. Die riesige „Alabama“ schwebt selbst unter Bedrohung noch majestätisch über das Wasser, das Kommandoboot der Piraten ist kaum größer als die Brücke, von der aus Phillips über sein Schiff residiert. Unter den Somalis herrscht Hektik und Aggression, mit der sie sich auch physisch aufreiben. Die beherrschte Angst der Amerikaner, als sie die Piraten auf dem Radar entdecken, kanalisiert sich in die Technik: Funksprüche, die Geschwindigkeit erhöhen, Wendemanöver einleiten, bluffen. Greengrass gelingt es, eine packende Sequenz außerhalb der Standardsituationen des Actionthrillers zu inszenieren: Aktion und Reaktion liegen Seemeilen voneinander entfernt, wobei die eine Seite seltsam unbewegt kämpft, mit Wellen aus Funk und Wasser.
Beim zweiten Versuch schaffen es die Piraten unter der Führung von Muse dann doch, an Bord der „Alabama“ zu gelangen. Die Handlungsräume werden klaustrophobischer. Greengrass liebt es, in klar definierten Umgebungen und in zeitlicher Verdichtung die Intensität zu erhöhen. Tom Hanks liefert in der Hauptrolle eine Meisterleistung. Seine Figur ist souverän im Berufsalltag, ohne autoritär zu sein, beherrscht und klug unter Druck – doch die Angst bahnt sich trotzdem ihren Weg: in die ein wenig zu weit aufgerissenen Augen, in den halb offen stehenden Mund, in die nur ein klein bisschen zu hektisch herausplatzenden Lügen, mit denen Phillips seine Crew schützen will, die im Maschinenraum Zuflucht gesucht hat.
Schließlich kommt noch eine Bedrohung von außen hinzu, als die US-Navy zur Rettung eilt: eine vorgebliche Rettung, die mindestens für die Geiselnehmer, womöglich aber auch für den Kapitän den Tod bedeutet. Nun sitzen sie also wirklich alle in einem Boot. Diese räumliche Situation erweist sich als dankbar für den ausgewogenen Ansatz des Films, der die Kidnapper mit unterschiedlichen persönlichen Eigenschaften zeichnet und sich abmüht, ihnen glaubhafte Hintergründe und eine über die pure Habgier hinausgehende Motivation zu verleihen. Es wird Blut fließen, das ist von Anfang an klar, und alleine das ist für Greengrass schon eine Katastrophe. Um wessen Blut es sich dabei handelt, ist, wenn nicht vollkommen unwichtig, so doch eher zweitrangig.
Dennoch bleibt der Film bei der Skizzierung der Ursachen für die Piraterie zwangsläufig oberflächlich, und es gibt keine Zweifel, dass Phillips, der weiße Amerikaner, die Identifikationsfigur für das Publikum darstellen soll. Auch über die Authentizität von Greengrass’ Darstellungen, die wesentlich auf dem Buch „A Captain’s Duty“ des echten Richard Phillips beruhen, gibt es mittlerweile Kontroversen: Einige Mitglieder der Besatzung werfen Phillips vor, Warnungen über Piratenaktivität nicht ernst genug genommen zu haben. Doch auch wenn der Film nicht als Reflexion eines Konflikts zwischen den Siegern und Verlierern der Globalisierung taugt, so ist er dennoch ein Paradebeispiel für kluges und komplexes Thrillerkino.