Der Film rekonstruiert die Ereignisse im nordirischen Londonderry vom 30. Januar 1972, als katholische Bürgerrechtler zu einer friedlichen Demonstration aufriefen, die von britischen Fallschirmspringern blutig niedergeschlagen wurde. Obwohl der Film keinen Hehl aus seiner Sympathieverteilung macht, betreibt er keine Ursachenforschungen und Schuldzuweisungen, registriert vielmehr das Geschehen in einer nahezu dokumentarischen Form und bietet damit "Geschichtskino" im besten Sinne des Wortes.
- Sehenswert ab 16.
Bloody Sunday
Drama | Großbritannien/Irland 2002 | 103 Minuten
Regie: Paul Greengrass
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Filmdaten
- Originaltitel
- BLOODY SUNDAY
- Produktionsland
- Großbritannien/Irland
- Produktionsjahr
- 2002
- Produktionsfirma
- Bórd Scannán na hÉireann/Granada/Hell's Kitchen/Portman Entertainment
- Regie
- Paul Greengrass
- Buch
- Paul Greengrass
- Kamera
- Ivan Strasburg
- Musik
- Dominic Muldowney
- Schnitt
- Clare Douglas
- Darsteller
- James Nesbitt (Ivan Cooper) · Allan Gildea (Kevin McCorry) · Gerard Crossan (Eamonn McCann) · Mary Moulds (Bernadette Devlin) · Carmel McCallion (Bridget Bond)
- Länge
- 103 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12 (DVD)
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
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- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
Samstagabend, 30. Januar 1972: „Derry Civil Rights Association“ steht in blauen Buchstaben auf dem Tuch. Die Atmosphäre im Gemeindesaal ist aufgeheizt, aber voller Hoffnung. Die Bürgerrechtler vor dem Banner bekräftigen ihren Plan, in einer friedlichen Demonstration gegen die soziale und wirtschaftliche Benachteiligung der Katholiken in Nordirland zu protestieren. Wenige Stunden später hat sich das Transparent rot gefärbt. Darunter liegt ein Mann, von einer Gewehrkugel in den Kopf niedergestreckt. Aus dem Banner ist ein Leichentuch geworden. Wie dieser harmlose Demonstrant sterben 13 Menschen an diesem Tag im Stadtzentrum von Derry, erschossen von britischen Fallschirmjägern. Die Überlebenden werden ihn Blutsonntag nennen, den Tag, an dem der Nordirlandkonflikt endgültig eskalierte.
Paul Greengrass erzählt die wahre Geschichte nach, ohne Sentimentalität, frei von Pathos und ohne den muffigen Geruch von Geschichtslektion. Mit „Flug 93“ (fd 37 628), dem Film über das am 11. September 2001 in Pennsylvania abgestürzte Flugzeug, hat Greengrass einem breiten Publikum demonstriert, welchen unheimlichen Sog eine auf das „Dokumentarische“ skelettierte Handlung entfalten kann. Erprobt hatte der Brite diesen Stil der Unmittelbarkeit bereits zuvor in „Bloody Sunday“ und gewann damit auf der „Berlinale“ 2002 den „Goldenen Bären“. Vier Jahre später wurde der Film auf arte gezeigt, erst jetzt läuft er regulär in den deutschen Kinos an. Spät und doch nicht zu spät: Im zehnten Jahr der von Tony Blair zur Wahrheitsfindung eingesetzten „Saville Inquiry“ ist noch immer kein abschließendes Urteil zu den Geschehnissen gesprochen.
Greengrass macht aus seiner Haltung keinen Hehl. Den befehlshabenden Major seiner Majestät schildert er als kalten Zyniker, der die Friedhofsruhe nach dem Massaker in seinem Sinn deutet: „Immerhin scheint Londonderry heute still zu sein. Wir sind einen Schritt weiter in Richtung Gesetz und Ordnung gekommen.“ Seine Soldaten zeigt der Film als kopflose Kampfmaschinen, die im Verlauf ihres Einsatzes auf alles schießen, was sich bewegt. Ob die Fallschirmjäger oder die Heckenschützen der IRA das Feuer eröffnet haben, lässt Greengrass offen. Seine Sympathie gilt vor allem dem protestantischen Politiker Ivan Cooper, der sich den mehrheitlich katholischen Bürgerrechtlern angeschlossen hat, sowie einer weiteren Figur, die zwischen die Fronten gerät: Der halbwüchsige Katholik Gerry liebt ein Mädchen, das aus dem protestantischen Sektor der Stadt stammt. Am Ende ist Gerry tot. Seine Kumpels schließen sich der „Irish Republican Army“ an. Und Cooper hält die Trauerrede auf die Bürgerrechtsbewegung. „Dies ist der größte Sieg, den die IRA je erleben wird“, fügt er bleich hinzu.
Greengrass’ von Handkamera-Einsatz, schnellen Schnitten und jähen Orts-Sprüngen bestimmte Ästhetik lässt die Spielszenen wie aus Fernsehdokumenten herausgeschnitten wirken. 24 dramatische Stunden im Leben der Bewohner von Derry werden zu einem überwältigenden Szenario der Eskalation gerafft. Die Handlung springt zwischen dem Demonstrationszug, der Kommandozentrale der britischen Militärführung und dem Standort der Fallschirmjäger hin und her. Wie im Fall von „Flug 93“ wird jede Art von Überblick bewusst unterbunden. Die Wackelkontakt-artigen Ab- und Aufblenden, mit denen Greengrass die Schauplätze und Szenen eher separiert denn verbindet, machen die gestörte Kommunikation zwischen den Gruppen sinnfällig. Spätestens zur Halbzeit des Films – die Demo fällt auseinander, Steine fliegen, Wasserwerfer und Tränengas kommen zum Einsatz, erste Schüsse fallen – überträgt sich das Gefühl von Orientierungslosigkeit auf den Zuschauer. Schwer erträglich sind die Momente blutiger Gewalt, zu cineastischen Orgien missraten sie jedoch nie. Das gezeigte Maß an Brutalität ist unumgänglich, denn es öffnet die Augen für das Leid der Opfer. Diese Perspektive wird im „Geschichtskino“ immer seltener. Im Gegensatz zu vieldiskutierten Täterfilmen wie „Der Untergang“ (fd 36 679) und „Der Baader-Meinhof-Komplex“ (fd 38 920) bietet „Bloody Sunday“ das Gegenprogramm, das unser Kino braucht.
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