Die erste Verfilmung eines Romans von Charlotte Roche (im Herbst schließt sich an „Feuchtgebiete“ aus dem Jahr 2008 Sönke Wortmann mit „Schoßgebete“ an) beginnt mit einer Po-Spalte in Großaufnahme – die sich gegen die Erwartungshaltung blitzschnell in ein gebeugtes Knie auf einem Skateboard verwandelt. Es gehört zu Helen, einem zwischen Infantilität und entwaffnender Direktheit schwankenden Teenager, der sich partout alle Freiheiten herausnimmt, die seine männlichen Altersgenossen als Initiationsriten in die Erwachsenenwelt zu schätzen wissen. Sie treibt sich in verdreckten Clubs herum, kratzt und riecht hemmungslos an ihren Genitalien, hält handelsübliche Hygieneempfehlungen für überbewertet, fabuliert unaufgefordert über gewagte Sex-Praktiken und ist komatösen Drogenexzessen nicht abgeneigt. Dass sie sich zum 18. Geburtstag einen Bordellbesuch gönnt, überrascht da nicht weiter. Ein nach den herkömmlichen Geschlechterzuweisungen gänzlich unweibliches Wesen. Und: eine erfrischende Sensation im überschaubaren Figurenspektrum des deutschen Films, was auch erklärt, warum sich David Wnendt, der früh gepriesene Regisseur von „Die Kriegerin“, für diese widerspenstige Berliner Stadtneurotikerin erwärmen konnte.
Neben der famosen Hauptdarstellerin Carla Juri ist er mit seinen zielpublikumsnahen Regieeinfällen à la „Trainspotting“ und „Die fabelhafte Welt der Amélie“ und der erstaunlich souveränen Schauspielerführung ein Glücksfall für einen Stoff, der leicht zu einer Nummernrevue aneinandergereihter Pubertätszumutungen hätte werden können. Nicht, dass Explizites in diesem an Fäkalien- und Masturbationswitzen reichen Voyeur-Festessen unterrepräsentiert wäre. Helen strapaziert mit ihrer ermüdenden Sex-Fixierung schnell die Geduldsreserven, und fast empfindet man böse Genugtuung, als sie mit ihrer analen Rasierverletzung in einem Krankenhaus landet. Wäre da nur nicht das fatale Aufmerksamkeitsüberangebot durch das medizinische Personal, das sie zu einem neuerlichen Feuerwerk lustvoller Grenzüberschreitungen anstachelt. Mit dem Auftritt der Eltern bekommt das exhibitionistische Elend einen Dämpfer, und eine aufs Treffendste altmodische Gesellschaftsanalyse lässt den unbeschwert anarchischen Ton gerade noch rechtzeitig kippen. Helens Familie, deren Geschichte in zeitversetzten surrealen Rückblenden erzählt wird, ist ein Musterexemplar an Dysfunktionalität. Die lieblose und sauberkeitsbesessene Mutter, grandios verkörpert von Meret Becker, vergräbt ihre Depressionen in einem Karussell aus esoterischen Glaubensrichtungen, während der Vater auf der Flucht vor dem Älterwerden sein Heil in übermäßiger Arbeit und statusbewusstem Konsum sucht. Da braucht es schon starker Signale, um als emotional unterversorgtes Wohlstandskind der „Generation Porno“ in die Köpfe der heillos egomanischen Erziehungsberechtigten durchzudringen, etwa mit einer finalen Autoaggression, die Helen fast mit dem Tod bezahlt und die sie in die Arme eines klugen Pflegers treibt, der den Zweck ihrer sprunghaften Provokationen durchschaut.
Vieles hat gnadenlos ausgedient in dieser satirisch entzauberten Welt: der Schutzraum der Familie, die als scheinheilig denunzierte Privatheit samt der Verheißungen der Sexualität, die zum Schlachtfeld postfeministischer Selbstentwürfe mutiert ist. Eine überraschend gelungene Romanübersetzung in das Coming-of-Age-Genre zwischen Narzissmus und Verzweiflung, reich an animierten Strecken und eingestreuten Filmzitaten, von Kubricks „Odyssee im Weltraum“ bis zu „Die Körperfresser kommen“. Nicht zu vergessen der gut sortierte Soundtrack für jede altersgerechte Entgleisung, etwa die betörende Spazierfahrt der halbnackten Helen durch die Krankenhausflure zur Musik der Hippie-Veteranen Canned Heat. So gelassen und mit sich selbst im Reinen kann die Jugend sein.