Es ist vor allem ein Bild, das unvergesslich bleibt: Ein riesiges Kreuzfahrtschiff gleitet in den Hafen von Venedig, die Kamera nimmt die Einfahrt aus der Perspektive einer schmalen Gasse auf. Vorn im Bild klein und fragil wirkende Häuserfluchten, dahinter das vielgeschossige Monstrum, das Tausende von Urlaubern an Land spült. Die Stadt Venedig wird von ihrer eigenen Legende erdrückt: Etwa 60.000 Gäste kommen jeden Tag hierher; der Jahresumsatz der Tourismusindustrie liegt bei 1,5 Milliarden Euro. Alles dreht sich um die Maximierung des Profits – wie ein letzter verzweifelter Tanz auf dem Vulkan, bevor die Stadt für immer untergeht.
Andreas Pichlers Dokumentarfilm entfaltet sich wie das Requiem für eine Geliebte. Die Kamera sucht nach Spuren der alten Schönheit, nach Zeugnissen der wechselvollen Geschichte, auch nach „echten“ Venezianern, von denen es nur noch 58.000 gibt, so wenig wie nach der großen Pestilenz 1438. Die moderne Pest, so argumentiert der Film, ist der Tourismus: Im Zeitraffer rasen Busse heran und schütten ihre Menschenlast für ein paar Stunden in der nah am Infarkt balancierenden Metropole aus. Wie ein letztes Aufschimmern besserer Zeiten wirkt eine sentimentale Szene aus „Der Windhund von Venedig“ (fd 9416) von Dino Risi: Hier kümmerte sich der Gondoliere noch um jede einzelne US-amerikanische Besucherin. Das stimmte zwar schon damals nicht, vermittelt aber die Ahnung, dass es vor der Massenabfertigung von heute durchaus eine Art authentisches Venedig gegeben haben könnte.
Pichler erkundet die Gefühle und Gedanken von Einheimischen: „Zum Markusplatz“, sagt eine Schriftstellerin, „gehe ich nur noch nachts um zwei, wenn es endlich leer ist. Tagsüber sind dort Barbaren.“ Ein Architekt und Makler sagt: „Es bleibt eine tiefe innere Bitterkeit. Ich bin nicht stolz auf mein Leben, im Gegenteil.“ Auf einem „Dogen-Ball“ treffen sich Adlige und Leute aus der Hochfinanz, um das klassische Venedig wieder aufleben zu lassen, eine Eintrittskarte kostet mehrere tausend Euro: pure Dekadenz. Zahllose Prachtwohnungen sind an reiche Ausländer verkauft, die oft nur zur Stippvisite anlegen; den Rest der Zeit bleiben die Fensterläden geschlossen wie in einem Totenhaus. Rapper singen ihr bitteres Lied: „Hochwasser, spül’ sie weg...“ Die mit dem Tourismus verdienten Milliarden fließen an der Stadt vorbei in die Kassen internationaler Konzerne; junge Leute ziehen fort, weil sie hier keine Zukunft mehr sehen, sondern miterleben müssen, dass uralte Villen von ungeklärtem Wasser unterspült werden und verfallen, Schulen, Märkte, Postämter und Krankenhäuser geschlossen werden, die Stadtoberen nicht eingreifen, sondern alles dem Immobilienmarkt überlassen. Wo die Infrastruktur zusammenbricht, ist kein Leben mehr. Im Jahr 2030, so resümiert der Film, wird hier niemand mehr wohnen; Venedig ist dann eine reine Touristenstadt.
Bisweilen wünscht man sich, dass die Inszenierung der ungeheuerlichen Opferung Venedigs an den Mammon frecher und sarkastischer begegnen oder dass die Traurigkeit in Zorn umschlagen würde. Vielleicht hätte der Regisseur dafür auf manche Redundanz in der Gedankenführung und Bildkomposition verzichten und noch tiefer und konkreter in die Machenschaften der Immobilien- und Finanzmafia hineinleuchten sollen. Was indes bleibt, ist eine filmische Mahnung und Warnung: Venedig als Menetekel für ein Universum, das dem Geldverdienen alles unterzuordnen scheint und dabei Tradition und Vernunft vergisst.