Parabeton - Pier Luigi Nervi und römischer Beton

Dokumentarfilm | Deutschland 2012 | 100 Minuten

Regie: Heinz Emigholz

Faszinierender Dokumentarfilm, der die Betonbauten des italienischen Architekten Pier Luigi Nervi (1891-1979), die von den 1930er-Jahren bis in die 1970er-Jahre entstanden, antiken Bauwerken gegenüberstellt, die mit einem Vorläufer des modernen Betons als Baustoff errichtet wurden. Aus der Gegenüberstellung ergibt sich ebenso ein produktives Spannungsverhältnis wie aus den großzügigen Proportionen und Linien der Häuser und einer Bildsprache, die den Blick nicht zum Schweifen einlädt, sondern die Bauwerke in unbeweglichen, streng kadrierten Einstellungen einfängt und zu einer "imaginären Architektur in der Zeit" zusammenfügt. (Der Film gehört zu Emigholz' Zyklus "Photographie und jenseits", der sich mit Produkten menschlicher Gestaltung befasst; zugleich ist er der erste Teil des Unterprogramms "Aufbruch der Moderne", zu dem auch "Perret in Frankreich und Algerien" gehört.) - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Filmgalerie 451/WDR/3sat
Regie
Heinz Emigholz
Buch
Heinz Emigholz
Kamera
Heinz Emigholz
Schnitt
Heinz Emigholz · Till Beckmann
Länge
100 Minuten
Kinostart
31.05.2012
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Wer hätte gedacht, dass der Beton, dessen rohe Wucht doch als Markenzeichen der Moderne gilt, bereits von den alten Römern erfunden wurde? Tatsächlich wären viele ihrer berühmtesten Bauwerke ohne den „römischen Beton“ nicht denkbar gewesen und wohl erst recht nicht mehr erhalten. Ein Vorläufer des heutigen Baustoffs, der aus Steinen, Sand, gebranntem Kalk und Puzzolanen gemischt wurde, kam bei der Konstruktion der Pantheon-Kuppel ebenso zum Einsatz wie beim Bau weiter Teile des Kolosseums. Deshalb beginnt „Parabeton – Pier Luigi Nervi und römischer Beton“ mit Ansichten vom Tempel des Merkurs, der im 1. Jahrhundert v. Chr. in der Nähe von Neapel errichtet wurde, auch wenn im Zentrum des Dokumentarfilms das ganz und gar moderne Werk des Bauingenieurs Nervi (1891-1979) steht. Im weiteren Verlauf werden in chronologischer Folge ihrer Entstehung 17 Bauten vorgestellt, die der Italiener zwischen 1932 und 1971 in seinem Heimatland errichtete, sowie acht antike Stätten. Dabei bleiben die Texteinblendungen, die das jeweilige Gebäude sowie seinen Ort, sein Alter und das Datum der Filmaufnahmen benennen, die einzigen Informationen, die die unkommentierten Bilder ergänzen. Wie in seinen bisherigen Architekturfilmen verlässt sich Heinz Emigholz auch hier darauf, dass die Zuschauer durch Addition der einzelnen visuellen Eindrücke das jeweilige Gebäude in Gedanken rekonstruieren. „Eine lineare Abfolge filmischer Einstellungen erzeugt im Gehirn des Betrachters eine imaginäre Architektur in der Zeit“, beschreibt der Berliner Filmemacher und bildende Künstler sein Ziel. Daher reiht er Einstellungen, die jeweils nur wenige Sekunden dauern, durch vergleichsweise harte Schnitte aneinander, wobei als Richtlinie „das menschliche Maß des Sehens“ dient, weshalb er sich auf Normalobjektive beschränkt. Der beharrliche Verzicht auf Weitwinkel, mit denen konventionelle Architekturfotografie gerne Räume zusammenfasst, hat freilich zur Folge, dass hier viele Ansichten auffallend kleinteilig erscheinen. Gemessen zum Beispiel an den Eigenheimen, die Emigholz in „Schindlers Häuser“ (fd 38 196) dokumentierte, haben Nervis Bauten nämlich oft gigantische Maße. Dass sich der Filmemacher, nachdem er einst in „Sullivans Banken“ (1993-2000) noch Schwenks zuließ, in seinen Architekturfilmen nunmehr ganz auf statische, mitunter leicht verkantete Einstellungen beschränkt, wirkt dabei erst recht wie eine Disziplinierung unserer Schaulust: Die Innovationen, die der italienische Bauingenieur dem Beton abgewann und die sich nicht zuletzt in der scheinbaren Schwerelosigkeit seiner Dachkonstruktionen artikulierten, laden nämlich förmlich dazu ein, mit den eigenen Augen den Schwung von Pfeilern und Tragwerken nachzuvollziehen. Während Emigholz einerseits „den filmischen Nachvollzug der unmittelbaren Erfahrung von Räumen“ anstrebt, setzt er dem Blick also zugleich enge Grenzen. Darin liegt der widersprüchliche Reiz dieser spröden Ästhetik, der hier besonders zur Geltung kommt, weil die abgebildeten Gebäude keine Privathäuser sind, die neugierigen Blicken im Normalfall verschlossen bleiben. Als architekturinteressierter Laie kann man oft die schöne Überraschung erleben, informell Zutritt zu ähnlichen Sportstätten oder Messehallen zu erhalten, wie Nervi sie gebaut hat; wenn man erst einmal drinnen ist, darf man erfahrungsgemäß ziellos umherstreifen – weshalb umso mehr auffällt, wie fixiert der Blick in diesem Film bleibt. Ein anderes produktives Spannungsverhältnis ergibt sich aus der Kontrastierung von modernen Fabriken, Lagerhallen oder der Audienzhalle des Papstes mit antiken Bauwerken. So wird bewusst gemacht, dass die kühnen Konstruktionen Nervis womöglich ebenfalls zwei Jahrtausende überdauern könnten. Dass sie mittlerweile als architektonische Meisterwerke kanonisiert sind, unterstreicht der Umstand, dass in einer porträtierten Turiner Ausstellungshalle gerade eine Schau zum Werk ihres Baumeisters stattfand, als Emigholz dort drehte. Das verhindert nicht, dass Bauten der Nachkriegszeit bald eher verfallen sein könnten als antike Ruinen. Angesichts der strengen Nüchternheit von Emigholz’ Ästhetik wirkt es umso eindringlicher, wenn seine Kamera im Turiner Palast der Arbeit, der dem Verfall preisgegeben scheint, stoisch den Kadaver eines streunenden Hundes ins Bild rückt, der das majestätische Bauwerk neben zahlreich umherflatternden Tauben offenbar zu seinem Quartier erkoren hat.
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