Die Schönheit wird gern als schwarzes Schaf unter jenen Eigenschaften identifiziert, die zum gesellschaftlichen Aufstieg führen. Sie ist genauso angeboren wie Intelligenz oder andere Talente. Trotzdem gilt sie als rein „äußerliche“ Eigenschaft als weniger respektabel – zumindest, wenn es um männliche Vorzüge geht. Dementsprechend herablassend wurden schöne Männer in fast allen Jahrhunderten bezüglich ihrer Denkfähigkeit unterschätzt. Einer der literarischen Klassiker, die sich mit Fluch und Segen, mit der Anziehungs- und Abstoßungskraft maskuliner Schönheit befassen, ist Guy de Maupassants Roman vom „Bel Ami“, der seine Karriere in der Pariser Gesellschaft durch die Betten der Ehefrauen einflussreicher Männer antritt. Gespielt wird er in dieser neuen Verfilmung von einem Schauspieler, dem das Problem der Unterschätzung aufgrund seines Images als Schönling vertraut sein dürfte: Robert Pattinson wurde als Vampir Edward der „Twilight“-Saga
(fd 39 085) bekannt, der mit kleiner Nase, kantigem Kinn und in der Sonne glitzernder Haut zum Beschützer von Hals und Hymen seiner geliebten Menschenfrau Bella wird. Horden von Mädchen wollten Bella sein. Horden von Hollywoods Grandes Dames dürfen nun das sexuelle Versprechen einlösen, das Stephanie Meyers Romanreihe gierigen Mädchenaugen mit dem Anspruch der Enthaltsamkeit vorenthielt.
Georges Duroy ist schön. Zu schön, um als Ex-Soldat und ungebildeter Bauernsohn im Paris des Jahres 1890 am Hungertuch zu nagen. „Bel Ami“ nennen ihn die vernachlässigten Ehefrauen, als Georges vom Zeitungsredakteur Forestier, einem ehemaligen Kriegskameraden, in die feine Gesellschaft eingeführt wird. Die Ehemänner sind betagt, ihre Haarpracht ist in dem Ausmaß gewichen, wie ihre Bäuche zugenommen haben. Der Emporkömmling Georges wird in eine Gesellschaft der Meinungs- und Politikmacher eingebunden, während die Regierung die Invasion von Marokko vorantreibt. Die Strippenzieher und Nutznießer der politischen Manöver sitzen in den Redaktionen der Zeitungen. Die eigentlichen „Hinterfrauen“ hingegen sitzen zu Hause. Dekadenter kann man eine Gesellschaft nicht vorführen. Georges trifft auf Männer, die durch das geschriebene Wort Regierungen stürzen und wieder emporheben, deren Ziel Moral zu sein scheint und die doch nur auf das aus sind, dessen Klang bald auch Georges betört: Geld. Er wird mitspielen und dafür die einzige Währung benutzen, die ihm zur Verfügung steht: seine körperliche Attraktivität. Er wird Liebschaften und Zweckehen eingehen, um seine Position zu verbessern – und damit Strategien einsetzen, die im Spiel um Ansehen und Status eigentlich den Frauen vorbehalten sind. Dass er dabei mit etwas spielt, was nicht nur seinen Partnerinnen, sondern auch ihm einen hohen emotionalen Preis abverlangt, ist ihm im Rausch von Hochmut und Dreistigkeit lange nicht klar.
Duroys Aufstieg vom „Wörterwäscher“ zum Millionär bzw. vom Frontmann der intelligenten Artikel seiner „Ghostwriterin“ Madeleine Forestier zu deren zweitem Ehemann wird durch eine Abfolge von Affären mit denen begleitet, die in Paris tatsächlich etwas zu sagen haben: den Ehefrauen, denen es (noch) nicht möglich ist, Ämter und Berufe auszufüllen, die aber klug genug sind, ihre Männer zu beeinflussen und zu leiten. Georges mit dem ebenmäßigen Antlitz über dem perfekt modellierten Körper wird in der Hochphase der Industrialisierung und Rationalisierung schlicht unterschätzt (wie auch die Frauen): Die Männer erniedrigen und verachten ihn. Die erwachte Libido ihrer Frauen und Töchter können sie dennoch nicht kontrollieren.
„Bel Ami“ ist, ähnlich wie die Titelfigur, vor allem aufwändig-schönes Ausstattungskino mit einer Garde schwergewichtiger weiblicher Hollywood-Stars, die Robert Pattinson gar nicht so sehr gegen die seidene Wand spielen, wie man vielleicht vermuten könnte. In Georges wird Selbstbewusstsein und Misstrauen wachsen, wie der Zylinder auf seinem Kopf, und das zeichnet sich auch in der Mimik des erst 25-jährigen Schauspielers ab. Er lässt zwar immer noch gerne im Zusammenkneifen der Augen und dem Zusammenpressen des Kiefers den irritierten Vampir heraushängen, schafft es aber, die in der Figur angelegte unterschwellige Rohheit mit nervöser Empfindlichkeit, die coole Eleganz mit einem verzweifelten Lebenshunger zu verbinden. Dafür, dass sein Image als Mädchenschwarm und Vorzeigevampir in die Rolle hineinspielt, kann er nichts. Es schadet aber auch nichts, sondern koppelt die attraktiv bebilderte Historien-Dramödie über die Schönheit der Macht und die Macht der Schönheit hintersinnig ans Celebrity-Zeitalter.