Tepenin ardi - Beyond the Hill

Drama | Türkei/Griechenland 2012 | 94 Minuten

Regie: Emin Alper

Irgendwo in der einsamen Bergwelt Anatoliens lebt ein alternder Patriarch mit seinen Söhnen und Enkeln in kargen Verhältnissen, die von Abhängigkeiten und schwelenden Aggressionen geprägt sind. Die ständige Alarmbereitschaft wegen der gefürchteten Angriffe von Nomaden prägt das Lebensgefühl. Eine bildgewaltige türkische Western-Parabel, in der der Realismus der Erzählung immer wieder von surrealen Einschlägen unterwandert wird. Hinter dem Familienporträt schimmert ein bissiger Kommentar zu türkischen Gesellschaftsstrukturen auf. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TEPENIN ARDI
Produktionsland
Türkei/Griechenland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Bulut Film/Two Thirtyfive
Regie
Emin Alper
Buch
Emin Alper
Kamera
George Chiper-Lillemark
Musik
Volkan Akmehmet · Inanç Sanver
Schnitt
Özcan Vardar
Darsteller
Tamer Levent (Faik) · Reha Özcan (Nusret) · Mehmet Özgür (Mehmet) · Berk Hakman (Zafer) · Furkan Berk Kiran (Caner)
Länge
94 Minuten
Kinostart
15.11.2012
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Er muss mit einem Gewehr umgehen und saufen können, außerdem soll er die Konfrontation mit dem Feind nicht scheuen: Das macht einen Mann zum „richtigen Mann“, zumindest wenn es nach dem Männerbund in Emin Alpers Langfilmdebüt geht. Am Anfang grüßt der Horrorfilm: Die subjektive Kamera streift durch ein Pappelwäldchen, mit angestrengtem Schnaufen und einem Stock werden die jungen Bäumchen weg gepeitscht. Wer da schnauft und peitscht, ist nicht zu sehen. Patriarch Faik hat auch etwas gehört. Er springt aus dem Bett, greift zur Flinte und läuft im Pyjama hinaus in die anatolische Berglandschaft. Da ist keiner. Der Feind hinter dem Berg, das sind die Nomaden, da ist sich Faik sicher, auch wenn Mehmet schon zu Beginn leise Zweifel anmeldet: Wahrscheinlich sei es doch nur ein Wiesel gewesen. Mehmet ist Faiks Sohn, aber eher ein Leibeigener, denn es kommt einmal zur Sprache, dass er dem Patriarchen Geld schuldet. Mehmet und seine Familie, seine Frau Meryem, die kleine Tochter Aliye und Süleyman, der große, „Sülü“ gerufene Sohn sind also von Faik abhängig. Sie leben mit ihm in seinem kleinen, weiß gekalkten Haus auf seinem Stück Land in der Einöde. Ein klappriger Jeep fährt eine einsame Straße entlang, er bringt Faiks zweiten Sohn und seine beiden Enkel, die auf Besuch aus der Stadt kommen. Zunächst ist nur die Straße zu sehen, nah, von schräg oben, der Jeep fährt von rechts ins Bild, die Kamera schwenkt ihm nach. Dann geht der Blick frontal durch die Windschutzscheibe, der Fahrer sitzt dort, neben ihm Faiks Sohn Nusret. Im Hintergrund auf den Bänken die beiden Enkel: Caner und sein älterer Bruder Zafer. Die Kamera nimmt Zafers Profil ins Visier, wie er nach hinten gewandt aus dem Fenster schaut, die Landschaft, ein Telegrafenmast, trockene Gräser rauschen an ihm vorbei. Unvermittelt springt die Perspektive aus der Nahaufnahme in die Totale, in einen ausgedehnten Panoramablick: Der Jeep fährt auf der Straße durch die karstig-ockergelbe, spärlich bewaldete Berglandschaft. Diese Perspektivwechsel kehren immer wieder, sie sind ein starkes Stilmittel. Gerade durch die unvermittelten Totalen, oft aus einer Aufsicht, wird ein zunächst unbenannter Störenfried, Feind oder Beobachter suggeriert. Dass auf diese Weise vor allem Faiks Paranoia visualisiert wird, ist am Anfang keineswegs klar. Faik ist nicht der Einzige, der sich verfolgt fühlt. Sein Enkel Zafer ist seit seinem Militärdienst traumatisiert, er muss Tabletten nehmen. Als er im Fluss badet (in dem es keine Fische mehr gibt, was zur leicht morbiden Grundstimmung beiträgt) und seinen Kopf aus dem Wasser hebt, sieht er, wie ein Trupp Soldaten den Fluss durchquert. Lautlos, in voller Montur und Tarnung, schieben sich die Männer durch die Strömung und verschwinden, einer nach dem anderen, im saftigen Grün der Uferböschung. Die Soldaten tauchen noch öfter auf, Zafer wird auch mit ihnen sprechen, seine Halluzinationen werden im Verlauf heftiger. Was kaum überraschend ist angesichts der schwelenden Aggressionen und Ängste in der Männergruppe. Frauen spielen keine Rolle: Meryem ist zum ersten Mal nach 25 Minuten zu sehen. Sie ist reines Objekt, hat auf Zuruf zu funktionieren und muss die verbalen Avancen von Faik und einen Übergriff des alkoholisierten Nusret über sich ergehen lassen. Zuvor haben die Männer am Lagerfeuer schwadroniert, Raki getrunken und eine Ziege verspeist, die Faik den Nomaden gestohlen hat; diese haben angeblich ihre Ziegen auf seinem Land weiden lassen. Die Gewehre liegen immer bereit, die Nomaden könnten ja auftauchen, um Rache zu nehmen. Sülüs Hund wird erschossen, Nusret geht mit zwei Schrotkugeln im Bein zu Boden, die Spannungen in der Gruppe aus drei Generationen kulminieren. Da bieten sich Faiks Nomaden doch als dankbare Projektionsfläche für alle Beteiligten an. „Tepenin Ardi“ ist eine Western-Parabel mit parodistischen Elementen – die Männergesellschaft am Lagerfeuer ist geradezu lächerlich – in berauschendem CinemaScope. Das Absurde, Surreale unterwandert stets den Realismus der Oberfläche. Der Feind „hinter dem Berg“, der nie zu sehen ist, erinnert an die Tartaren in Dino Buzzatis Roman „Die Tatarenwüste“, der 1976 von Valerio Zurlini verfilmt wurde (fd 20 222). Darin werden die Tataren „hinter der Wüste“ lokalisiert; ihr Angriff wird von den Soldaten in der Festung ebenso gefürchtet wie herbeigesehnt. Mit großer Stilsicherheit hat der 38-jährige Emin Alper, der in Istanbul Wirtschafts- und Geschichtswissenschaften studiert hat, seinen ersten Film komponiert. Dieser lässt sich mühelos auch als bissiger Kommentar zu türkischen Gesellschaftsstrukturen und türkischer Politik lesen: Das Patriarchat, der Kurdenkonflikt, Armenien sind Traumata, die nicht sein dürfen – und deshalb umso schlimmer brennen.
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