Vier ehemalige politische Gefangene aus Chile, der Türkei, Tibet und dem Kongo haben in der Schweiz Asyl gefunden und erzählen von ihrer Vergangenheit sowie von ihren Leiden. Bewegendes, klug durchdachtes dokumentarisches Porträt von Menschen, die ihren Überzeugungen treu geblieben sind. Bisweilen bricht der Film sein Konzept, sich ganz auf die Erinnerungen der Protagonisten zu verlassen, zugunsten emotionalisierender Exkurse auf, was auf Kosten der Stringenz geht.
- Ab 14.
Weiterleben
Dokumentarfilm | Schweiz 2011 | 92 Minuten
Regie: Hans Haldimann
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Filmdaten
- Originaltitel
- WEITERLEBEN
- Produktionsland
- Schweiz
- Produktionsjahr
- 2011
- Produktionsfirma
- Haldimann Filmprod.
- Regie
- Hans Haldimann
- Buch
- Hans Haldimann
- Kamera
- Hans Haldimann
- Musik
- Daniel Almada · Martin Iannacone
- Schnitt
- Mirjam Krakenberger
- Länge
- 92 Minuten
- Kinostart
- 09.02.2012
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Den „vielen Menschen, die für mehr Freiheit und Gerechtigkeit gekämpft haben und teuer dafür bezahlen mussten“, hat Hans Haldimann „Weiterleben“ gewidmet. Die Vergangenheitsform dieser Widmung irritiert, weil der Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit wohl nie abgeschlossen sein wird. Für die vier Protagonisten seines Films allerdings gehört das Fighten in eine frühere Phase ihres Lebens. Einer Phase, die sie nun, da sie in der Schweiz leben, hinter sich lassen wollen. Weil das Leben kurz ist und weil man mit der Vergangenheit abschließen muss, um nach traumatischen Erlebnissen weiterleben zu können. Selbst seine Muttersprache, erzählt Jorge Molina, habe er abgelegt, um sich von dem zu befreien, was ihm damals in Chile widerfuhr. Bisweilen haben die Protagonisten Mühe, über ihre Erlebnisse zu sprechen: Jorge Molina, 1949 geboren in Valparaiso, besaß eine kleine Druckerei und sah mit Allende eine bessere Zeit anbrechen. Doch dann kam Pinochet. Molina wurde als Mitglied der sozialistischen Partei verhaftet. Es folgten Gefängnis, Folter, Entlassung und erneute Verhaftung; ein furchtbarer Kreislauf. Schlimmer noch als die körperlichen Schmerzen war die Demütigung. Molina, seit 29 Jahren in der Schweiz, ist angekommen in einem neuen Leben. So wie der Kurde Ali Bicer, der sich als 15-Jähriger in Ankara friedlich für die Freiheit der Kurden einzusetzen begann und seiner politischen Gesinnung und ethnischen Zugehörigkeit wegen als 21-Jähriger zum Tode verurteilt wurde. 15 Jahre später kam er frei und fand in der Schweiz ein Exil. Hier geht es ihm relativ gut, er hat eine Lebenspartnerin, eine Tochter, zwei Restaurants. Anders als die beiden Männer spricht Phuntsog Nyidron aus Tibet in ihrer Muttersprache; die Kongolesin Rose Catherine Karrer-Nzayamo spricht Französisch. Die beiden Frauen sind noch nicht lange genug dem Schrecken entkommen; ihre Wunden sind frischer. Karrer-Nzayamo verlor in Folge der Folterungen der die Schergen Mobutus ihre Nieren und muss dreimal pro Woche zur Dialyse, Nyidron, seit 2006 in der Schweiz, ist so krank, dass sie nur zeitweise arbeiten kann. Die vier Menschen haben kein größeres Ziel als ein möglichst „normales Leben“. Dennoch erklären sie, dass sie genauso wieder handeln würden.
Dieses Bekenntnis nimmt den Zuschauer richtig mit, in einem Film, der seinen Schrecken einzig aus den Schilderungen der Protagonisten bezieht. Man muss es Haldimann hoch anrechnen, dass er die geschilderten Gräuel nicht zu visualisieren versucht. Es gibt in „Weiterleben“ nur die erzählte Erinnerung und die Erzählenden, manchmal, wenn es zu emotional wird – Landschaftsaufnahmen: Verweilbilder von Flüssen, Seen, Bergen, Tälern, Wiesen, Feldern. Ein striktes Konzept, das dessen strenge Form der Film dann aber – und da muss man mit dem Regisseur ein wenig ins Gericht gehen – doch bricht: Alis Mutter, die Söhne und die Tochter von Karrer-Nzayamo, auch die kurz eingeblendete Reise mit Molina an den Ort seines Leidens mischen bedauerliche Nebentöne in einen Film, der in seinen Grundzügen so groß und stark angedacht ist. Auch wenn es generell zu befürworten ist, dass (gerade in) Dokumentarfilmen nicht nur Talking Heads zu sehen sind: Im Falle von „Weiterleben“ hätten einige erläuternde Sätze und zusätzliche Angaben, wie etwa eine Erklärung, wie die vier Protagonisten den Weg in die Schweiz fanden, mehr gebracht als eine dieser doch etwas plumpen Versuche der emotionalen Anbiederung.
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