An Heiligabend verteilt Stalin Geschenke an den britischen Geheimdienst. Die Stimmung ist angeheitert, und als der Mann mit Maske und Kostüm die Bühne der feucht-fröhlichen Weihnachtsfeier betritt, gibt es kein Halten mehr. Alle stimmen die sowjetische Hymne an; allein George Smiley steht am Fenster und sieht mit Schrecken, dass seine Frau einen anderen küsst. Im Leben des MI6-Agenten gibt es gleich zwei große Unbekannte: den KGB-Chef „Karla“ und den Nebenbuhler aus den eigenen Reihen. Als Smiley beauftragt wird, einen mutmaßlichen Maulwurf an der Spitze des britischen Geheimdiensts zu enttarnen, zeigt sich, dass in seinem Metier alles beruflich ist und nichts nur privat. John Le Carrés Roman „Dame, König, As, Spion“ erschien 1974 und handelt von der Hochzeit des Ost-West-Konflikts. Mittlerweile ist der Kalte Krieg nur noch eine lauwarme Erinnerung, und seine Leinwand-Protagonisten wurden von den neuen Helden rettungslos abgehängt: Was sind schon James Bonds kleine Extras gegen die Ein-Mann-Armee Jason Bourne? In seiner brillanten Verfilmung des Romans tritt Tomas Alfredson, der mit „So finster die Nacht“ (fd 39 056) bereits dem Vampir-Genre erfolgreich allen Glanz austrieb, deswegen die Flucht nach hinten an: Er widersteht der naheliegenden Versuchung, die Geschichte zu modernisieren, und schwelgt stattdessen in scheinbar rettungslos veralteter Technik und der erstaunlichen Effizienz einer grauen Bürokratie. Wie das Buch ähnelt der zu Beginn der 1970er-Jahre spielende Film am ehesten dem taktischen Positionsspiel beim Schach. Es ist ein einziges Abwägen, Belauern und Fallen-Stellen; der Geduldigere hat das bessere Ende für sich. Das Spiel beginnt standesgemäß hinter dem Eisernen Vorhang: Ein Agent des britischen Geheimdiensts reist nach Budapest, um einen hochrangigen Überläufer zu treffen, wird aber stattdessen vom KGB erwartet. Auf diese Weise erhärtet sich der Verdacht, dass es im engsten Kreis des MI6 einen Verräter gibt. Der von allen „Control“ gerufene Chef nimmt seinen Hut, sein treuer Vasall Smiley folgt ihm ungefragt in den Ruhestand. Aus diesem wird er allerdings bald wieder zurückberufen, um Ermittlungen gegen das eigene Haus zu führen. Ein Außendienstler der Marke Bond berichtet, dass sich der halbe Ostblock vor Lachen über den MI6 den Bauch hält, und blickt sich bei jedem Halbsatz ängstlich über die Schulter. Aller Glamour ist von diesem Mann fürs Grobe abgefallen; der Kalte Krieg ist nur ein schmutziges Geschäft, auch wenn der interne Spitzname für den Geheimdienst, „Circus“, den Spionen etwas anderes vorgaukeln soll. In den letzten Jahren ist es im britischen Film- und Fernsehgeschäft üblich geworden, die eigene Nachkriegsdemokratie als Geisel einheimischer Geheimdienste und Geheimorganisationen zu beschreiben. In dieser Hinsicht nimmt sich „Dame, König, As, Spion“ neben Filmen wie „Bank Job“ (fd 38 776) oder der Fernsehserie „The Hour“ erstaunlich zurückhaltend aus, und das, obwohl seine Geschichte auf dem Fall des KGB-Spions Kim Philby und dessen Gesinnungsgenossen aus dem erlauchten Kreis der Cambridge Five beruht. Alfredson setzt hier auf subtile Nadelstiche und zeigt lieber, wie das Spionagegeschäft das Privatleben der Spione prägt und nicht selten zerstört. Niemand darf sich eine Blöße geben, weshalb jeder jeden zu überwachen scheint; kein Wunder, dass Smileys London in etwa so viel zirzensische Lebensfreude ausstrahlt wie das leergefegte Budapest. Wie es sich für einen Film gehört, der an der Oberfläche betont unspektakulär erscheint, stecken die Details voller amüsanter Teufeleien. Das beginnt schon mit zwei Besetzungscoups: Der Leinwand-Zertrümmerer Gary Oldman spielt die graue Eminenz Smiley und Benedict Cumberbatch, der Sherlock Holmes aus der BBC-Miniserie, seinen treuen Doktor Watson. Ansonsten stehen die Zeichen des Wandels an der Satire-Wand: Während im Hintergrund eingestreute Hippies ein neues Zeitalter verkünden, ist der MI6 immer noch im Wahn vergangener Größe gefangen. Allein Smiley scheint zu akzeptieren, dass nicht nur er, sondern das britische Empire als Ganzes eine Schachfigur im Spiel der großen Mächte ist. Am Ende kehrt seine Ehefrau zu ihm zurück; was möglicherweise das einzige unvergiftete Geschenk aus Stalins großem Sack ist.