Nach dem Tod der Mutter verliert eine ohnehin schon kriselnde Familie den Boden, weil der Schicksalsschlag das Auseinanderdriften der Hinterbliebenen weiter beschleunigt. Der Verlust zwingt aber auch, sich die Mitschuld an der Misere einzugestehen. Eine filmsprachlich zwar eher konventionelle Begräbnisgroteske, die gleichwohl geschickt zwischen Drama und Komödie balanciert und den souverän agierenden Darstellern viel Raum gewährt. Der bemerkenswerte Debütfilm bewahrt mit komischen Szenen vor allzu viel Existenzialismus.
- Ab 14.
Tage die bleiben
Komödie | Deutschland 2011 | 106 Minuten
Regie: Pia Strietmann
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2011
- Produktionsfirma
- Toccata Film/Esperanto Ent./BR/WDR
- Regie
- Pia Strietmann
- Buch
- Pia Strietmann · Tanja Schmidbauer
- Kamera
- Stephan Vorbrugg
- Musik
- Martin Stock
- Schnitt
- Sandy Saffels · Denis Bachter
- Darsteller
- Götz Schubert (Christian Dewenter) · Max Riemelt (Lars Dewenter) · Mathilde Bundschuh (Elaine Dewenter) · Lena Stolze (Andrea Dewenter) · Michael Kranz (Benjamin)
- Länge
- 106 Minuten
- Kinostart
- 26.01.2012
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Komödie | Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Ein deutsches Filmdebüt zwischen Ang Lees „Eissturm“ (fd 32 888) und Kieslowskis „Drei Farben: Blau“ (fd 30 507): Nach dem tödlichen Autounfall der Mutter verliert eine ohnehin kriselnde Familie den Boden. Der Schatten der Trennung hing schon länger über ihr, die Hausfrau war gerade dabei, den Absprung zu wagen und ein neues Leben zu beginnen. Bevor der Tod die bisherige Welt auflöst und ihren Traum einer gerade in die Gänge kommenden Karriere als Autorin zerstört, bröckelt es schon gewaltig. Der mit der Erziehung der Kinder überforderte Ehemann sucht Trost in den Armen einer Geliebten. Der Sohn flüchtet aus der Provinz nach Berlin und hält sich nach dem Abitur als Schauspieler über Wasser. Die pubertierende Tochter kämpft vergeblich darum, sich einen Reim auf die selbstbezüglichen Kapriolen der Erwachsenen zu machen. Der brutale Zufall beschleunigt lediglich das Auseinanderdriften der Hinterbliebenen, die das Interesse an den Sorgen und Wünschen der anderen längst verloren haben. Und doch treibt sie an dem Nullpunkt plötzlich eine Art Phantomschmerz um: Der Verlust eines sehr nahen Menschen lässt sich nicht mit den üblichen Fluchtreflexen abschütteln. Er wirft Fragen auf und zwingt, sich der eigenen Mitschuld an der Misere zu stellen.
Dass sich die prekäre Gefühlslage nach der Schockstarre in bizarren Handlungen äußert, ist ein legitimer Erzählmodus der 1978 geborenen Regisseurin Pia Strietmann, der ihren Erstlingsfilm mit komischen Szenen vor einem allzu aufgesetzten Existenzialismus bewahrt. Die Gratwanderung zwischen Drama und Komödie gelingt ihr dabei erstaunlich gut. Strietmanns Begräbnisgroteske verhilft den einsam Trauernden dazu, einander zu begegnen und die Hilfe eines erstaunlich mitfühlenden Totengräbers anzunehmen. Während die unterdrückten Emotionen für unvermeidliche Konflikte und Schuldzuweisungen sorgen, muss ein Sarg ausgewählt oder das Umfeld über den Bestattungstermin informiert werden. Dabei liegt unter dem Aberwitz der Situation stets eine ernste Grundmelodie. Die Inszenierung verrät ihre Figuren nicht an ein gefälliges Pointenfeuerwerk. Während die visuelle Sprache konventionellen Lösungen verhaftet bleibt und an einer austauschbaren Fernsehästhetik gerade so vorbeischrammt, bleibt das Personal wahrhaftig und gefährdet genug, um auch auf der großen Leinwand zu berühren. Als dankbares Schauspielervehikel überzeugt der Film ohnehin. Wegen des überschaubaren Handlungsgerüsts bekommt die kleinste Nebenrolle ein Gewicht, dem die Beteiligten durchweg ihren Stempel aufdrücken können. Vor allem die vom verfrühten Zerfall der engsten Bindungen angeschlagenen Geschwister bieten genug erzählerisches Potenzial, um die handelsübliche Dynamik aus dem Ruder laufender Bewältigungsstrategien in Gang zu setzen. Wenn sich die Jüngste, gesegnet mit einem famosen Weltschmerzgesicht, wegen ihres notorisch Streit suchenden Bruders betrinkt und mit ihrer Freundin das Sexualleben der Männer einer eiskalten Inspektion unterzieht, dann ist das nicht gerade originell, erfüllt aber die Erwartungen an die herzerweichenden Entgleisungen eines Teenagers. Wärmer kann der Tod nicht sein.
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